Tichys Einblick
Ideologische Fusion der Volksparteien

Blaupause für Merkel: Christdemokratisierung der SPD unter Schröder

Angela Merkels Umwandlung der CDU in eine sozialdemokratische Partei ging die Christdemokratisierung der SPD voraus: die Blaupause zur ideologischen Fusion von SPD und CDU. Flankiert und wattiert vom Schulterschluss Konzerne und Gewerkschaften.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Es geht ein Gespenst um: die Sozialdemokratisierung der CDU. Des Spiegel Journalist Jan Fleischhauer geht sogar noch weiter, wenn er den Bundestag ausschließlich besetzt sieht von Sozialdemokraten. Oder hatte er gar „Sozialisten“ gesagt? Andere, wie Ralf Stegner oder Ole van Beust (alle drei bei Maischberger), finden das ungerecht. Es ginge ja nicht an, Entscheidungen einfach auszulassen, nur weil sie unter Verdacht ständen, auf linken Positionen zu basieren.

Nun hat Angela Merkel zweifellos mit ihrer „Flüchtlingspolitik“, der Abschaffung (formal: Aussetzung) der Wehrpflicht, einer Eiszeit im Verhältnis zu den USA, der Abwicklung der Autoindustrie, wie wir sie kennen, und mit dem Atomausstieg Positionen der linken und grünen Oppositionsparteien übernommen. Zuletzt gemeinsam mit der SPD. Und wenn das in so großem Umfange passiert, dann lässt sich ein Linksruck nicht leugnen – vorausgesetzt, man will mit dieser Links-Rechts-Schablone argumentieren.

Der Linksrutsch der Union kam aber nicht über Nacht, er wurde nur besonders deutlich beispielsweise in der Kontroverse zwischen CSU und CDU,  mit Positionspapieren wie dem aus 2016, als die CSU einen Leitantrag stellte mit dem Titel: „Linksrutsch verhindern – Damit Deutschland Deutschland bleibt.“ Nebenbei bemerkt klingt Frau Merkels Mantra zur Bundestagswahl heute so, wie eine Lightversion dieses Leitantrags: „Für ein Deutschland, indem wir gut und gerne leben.“

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Der Leitantrag der CSU ist kaum ein halbes Jahr alt und liest sich heute schon wie eine sich nicht erfüllende Prophezeiung: „SPD, Grüne und Linkspartei (…) wollen mit einem rot-rot-grünen Linksbündnis die Regierung übernehmen.“ Davon sind sie längst meilenweit entfernt. „Wahlbetrug“ und „Heuchelei“ ist der Vorwurf der CSU zuallererst an den Koalitionspartner SPD. An die Linke gerichtet warnt man vor einer Übernahme der Regierungsgewalt der „Enkel Honeckers“, während heute die SPD in Gestalt des Außenministers Gabriel „traurig“ und „wehmütig“ sei, „dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass, wenn ich wieder in den Bundestag komme, zum ersten Mal nach 1945 im Reichstag am Rednerpult echte Nazis stehen.“

Die beiden wahrscheinlichsten Aspiranten auf den Thron des Oppositionsführers, der drittstärksten Partei im Bundestag (ausgehend von den Verhältnissen unter einer GroKo) werden so von beiden Seiten kaltgestellt.

Aber zurück zum Linksrutsch der CDU. Der ist keineswegs so neu. Schon Anfang 2009 gab sich der spätere Außenminister Guido Westerwelle „Entsetzt über den Linksrutsch der CDU“. Die CDU regierte damals mit der SPD in Großer Koalition. Was Christian Lindner heute anbietet, ist im Kern, was Westerwelle längst vorgekaut hat, als er gegenüber der FAZ erklärte, die Union werde hässlicher, „indem sie sich immer mehr sozialdemokratisiert.“ Westerwelle schloss mit den Worten: „(S)orgen Sie sich um Deutschland.“

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Wer also heute bezogen auf den „Linksrutsch“ der CDU von einer Zäsur spricht, liegt falsch. Nein, die Bundeskanzlerin ist nicht einmal die Blaupause für diese Divergenz in den grundsätzlichen Forderungen und Ziele einer großen Volkspartei. Denn vergessen wird dabei der Sündenfall eines Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Gegen seinen Umbau der SPD nach rechts muss seinen Genossen Bad Godesberg (Absage an den Marxismus) wie ein Spaziergang vorgekommen sein. Eine Sozialzäsur mit stumpfer Heckenschere als Einladung für Oskar Lafontaine zum Aufbau seiner Linkspartei und, wie schon 2014 die WELT ergänzte: Ein Umbau, der „die sozialdemokratische CDU-Kanzlerin Merkel erst möglich“ machte. Was heute bei Merkel immer noch vielen wie ein überraschender Positionswechsel vorkommt, ein impulsiv-emotional gesteuerter Rollentausch, war nichts weiter, als das Finale einer maximalen Annährung, dessen Vollzug sich eindrucksvoll noch einmal bestätigt hat im TV-Duell zwischen Merkel und Schulz. Mehr Belege braucht es nicht.

Wer heute eine Welle des Bürgerprotestes gegen Merkels Politik vermisst, der wahrscheinlich das Erstarken einer Partei rechts von der Union verhindert hätte, der soll sich für den Moment einmal vorstellen, der langjährige Unions-Bundeskanzler Helmut Kohl, hätte versucht, so etwas, wie Schröders Agenda 2010 durchzusetzen. Thomas Schmid, Ex-Sponti, später lange Jahre Herausgeber der WELT, schrieb eben da: „Mit Gerhard Schröder war es dann nur auf den ersten Blick paradoxer Weise ein regierender Sozialdemokrat, der neue Saiten aufzog.“

Sogar folgerichtig, möchte man anfügen. Denn ob er es gewollt hätte oder nicht, Helmut Kohl hätte niemals der Architekt einer Agenda 2010 sein können: Die SPD und die Gewerkschaften hätten einen Protest auf die Straße getragen, der sich nicht hätte verstecken müssen hinter den Protesten gegen die Nachrüstung, als im Oktober 1983 mehr als eine Million Deutsche Bürger als „Friedensbewegung“ auf die Straße gingen zu einem Zeitpunkt, als Helmut Kohl gerade erst ein Jahr im Amt war, welches er von einem Sozialdemokraten übernommen hatte.

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Gerhard Schröder hatte seine Wiederwahl auch dem Engagement der Gewerkschaften zu verdanken. Mit seiner Regierungserklärung von 2002 stieß er sie allerdings auf eine Weise vor den Kopf, die zum einen als bittere Enttäuschung erkannt wurde und zum anderen eine kraftvolle Opposition quasi unmöglich machten. Gerhard Schröder machte Unionspolitik von den rabiaten Hartz-Reformen bis zu einer Privatisierung von Staatsvermögen, wie es sich die Union niemals hätte ausdenken können. Schröder, Hartz, Riester und Rürup – betrachtet man ihre Politik, dann muss man feststellen: Solche Feindbilder hätte sich die SPD in der Ära vor Schröder in den Reihen der Union gewünscht.

Man darf also feststellen, dass Angela Merkels Umwandlung der CDU in eine sozialdemokratische Partei die Christdemokratisierung der SPD vorausging. Hier ist die Blaupause hin zur ideologischen Fusion von SPD und CDU. Flankiert und wattiert übrigens vom Schulterschluss von Konzernen und Gewerkschaften im Hintergrund: für einen gegliederten Arbeitsmarkt von gewerkschaftlich Geschützten, ungeschützten Leiharbeitern und Minijobbern, der sich in der Hoffnung der Industrie auf billige Arbeitskräfte der Immigranten fortgesetzt hat.