Tichys Einblick
WIE KAPUTT IST DER RECHTSSTAAT?

Berlin: Oberstaatsanwalt will Taten

Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte (VBS) Ralph Knispel geht hart ins Gericht mit Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne): zu wenig Mitarbeiter, mangelhafte Ausstattung, mehr Straftaten. Der macht den CDU-Vorgänger verantwortlich.

Oberstaatsanwalt Ralph Knispel

© Gregor Leip

Nein, hier möchte man wirklich nicht Angeklagter sein. Wer das Kriminalgericht Moabit in der Turmstraße 91 betritt, weiß spätestens jetzt, was Ehrfurcht bedeutet. So mögen es sich die Erbauer ganz zu Beginn des 20. Jahrhunderts gedacht haben. Und es funktioniert bis heute: Moderne Sparlampen funzeln die tageslichtfernen Treppenaufgänge in die Zeit ihrer Erbauung zurück.

Würde uns Ralph Knispel nicht selbst an der wuchtigen Edelstahlbarriere im Eingangsbereich abholen, wir hätten sein Büro nicht gefunden. So üppig die Raumgestaltung, so schwer drückt die emotionale Patina Hunderttausender Schicksale aus über einhundert Jahren Berliner Strafjustiz.

Dennoch kann man sich des Eindrucks eines potemkinschen Dorfes nicht erwehren, denn das Büro Knispels hinter der schweren Holztür in Sandsteinzarge ist ausgestattet mit den schlichtesten Möbeln in heller Pressspanfurnier-Jugendzimmeroptik. An der Wand hinterm Schreibtisch ein modernes Ölbild mit großem blauem Elefantenpo, die Botschaft des 1960 Geborenen könnte kaum eindeutiger sein: Vorsicht, ich vertraue auf die Kraft, Dinge auch einmal an mir abprallen zu lassen. Aber nein, hier möchte man trotzdem nicht Ankläger sein. Die „Bild“-Zeitung legt ihm gar die Worte in den Mund: „Der Rechtsstaat ist kaputt!“ TE wird er in einem zweistündigen Gespräch erklären: „Der Worte sind genug gewechselt, es müssen Taten folgen!“

Eine Aufforderung, die aus dem Munde des schlanken Elefanten klingt wie ein
Fehdehandschuh. Hingeworfen direkt vor die Füße des grünen Justizsenators des Landes Berlin, Dirk Behrendt. Konfrontiert mit den Anwürfen Knispels, sendet er TE eine viele Zeilen lange Gegenrede. Formuliert von Sebastian Brux, Pressesprecher Behrendts. Brux ist ebenfalls kein Unbekannter, war er doch schon Büroleiter bei Volker Beck, dem Grünen mit Crystal Meth.

Law & Order oder nur Sprüche?

Hört man Brux zur Kritik von Knispel, klingt das, als sei sein grüner Justizsenator ein echter Law-and-Order-Politiker: „Aufrüstung und Stellenausbau: Wenn Herr Knispel sich deswegen mit der aktuellen Situation unzufrieden zeigt, ist das das Ergebnis der früheren Sparpolitik.“ Damit meint er Nichtarbeit von Thomas Heilmann (CDU). Man könne doch nicht in zehn Monaten lösen, „was unter den Vorgängern nicht angepackt wurde“. Schon feiert sich der Senator als Retter der Berliner Justiz. Die Arbeit von Behrendt sei der „größte Erfolg für die Berliner Justiz in den letzten 25 Jahren“.

Steht man vor dem Durchbruch? Wird Oberstaatsanwalt Ralph Knispel doch noch begreifen, was ihm da für ein rot-rot- grüner Senatssegen ins Haus geschneit ist? Noch erzählt er uns von Verteidigern, die voller Mitleid auf die Staatsanwaltschaft schauen, der sie ja eigentlich in herzlicher Gegnerschaft gegenüberstehen müssten. Und Behrendt bestätigt sogar die Missstände, wenn er eingesteht, dass die räumliche Situation auf dem Justizcampus Moabit angespannt sei. Man sei längst auf der Suche nach zusätzlichen Gebäuden. Nun bittet Behrendt Knispel um mehr Zeit: „Wir können die Versäumnisse der Vorjahre nicht über Nacht aufholen, wir packen es aber an, nachdem zu lange nichts passiert ist.“

Dass nun ausgerechnet ein grüner Senator aufräumen will, braucht offensichtlich Zeit, glaubwürdig zu werden. Der Pressesprecher des Justizsenators weiter: „Es ist zutreffend, dass in der gesamten Berliner Verwaltung und auch in der Justiz in den vergangenen 15 Jahren Stellen gekürzt und zu wenig Neueinstellungen vorgenommen wurden. Auch wurden kaum Gebäude in der Justiz saniert und auf Verdichtung statt Ausweitung gesetzt.“

Ein Plan und echte Kriminelle

Warum kommt man dann aber nicht zusammen? Warum muss Brux explizit darauf hinweisen, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Generalstaatsanwaltschaft der Dienstaufsicht der Senatsverwaltung für Justiz unterstehen? Tatsächlich: In modernen privaten Unternehmen wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen für einen professionellen Mediator. Für einen, der von außen wieder zusammenführen kann, was doch zusammengehören sollte. Wenn Brux behauptet, die Haushaltsplanung des Justizsenators richte sich nach den gemeldeten Fallzahlen auch der Staatsanwaltschaften, mag Knispel das nicht erkennen: „Soweit sogenannte Fallzahlen und Entwicklungen zugrunde gelegt worden sein sollten, bilden die Planungen nicht erkennbar den in den letzten Jahren zu bewältigenden Anstieg der Kriminalität ab.“
Wenn Brux die im internationalen Vergleich „hervorragende Arbeit“ der Berliner Justiz hervorhebt, erwidert ihm der Oberstaatsanwalt in der seinem Fach eigenen Sprache: „Auf welchen Erkenntnissen diese Einschätzung beruht, ist weder dargetan noch sonst erkennbar. Die Innenansicht und Außenwirkung der Berliner Strafjustiz entwirft ein anderes Bild. Dem Senator wird weder die öffentliche noch mediale Wahrnehmung entgehen, die jedenfalls seine Sicht zu tragen überhaupt nicht geeignet ist.“

Wenn Brux sich so etwas wie Zurückhaltung erbittet, man sei ja erst zehn Monate im Amt, kommentiert Knispel trocken, man erwarte „schlicht ein entsprechendes Bemühen“. Indes, daran fehle es. Was man beim Vorsitzenden der Vereinigung Berliner Staatsanwälte (VBS) zwischen den Zeilen immer mit heraushört, ist der gefühlte Verlust von Wertschätzung für seinen Berufsstand.

Der Verdienst sei in seinem Bereich der schlechteste in der Bundesrepublik Deutschland. „Das wird auch der Justizminister schlicht so zur Kenntnis nehmen müssen und sollen.“ Wenn es um Aufstockung von Personal geht, erinnert Knispel daran, dass zum bestehenden Personal immer auch die mitgezählt werden, die abgeordnet sind. Aktuell seien 30 Kräfte gar nicht im Hause tätig. „Vier davon sind allein beim Generalbundesanwalt. Die fehlen hier und arbeiten dort!“

Auch Zuwanderung sei eines der ganz großen Probleme. „Wir haben seit Jahren beklagt, dass die Kriminalitätsentwicklung nach oben schnellt.“ Für Knispel ist der Umgang mit Straftaten von nichteuropäischen Straftätern eine Frage der Ehrlichkeit. „Aber man muss Tatsachen benennen können. Man muss Klientel benennen, um entsprechend vorgehen zu können.“

Im Lauf des Gesprächs in seinem kleinen Jugendzimmermöbelbüro offenbaren sich weitere Dilemmata. „Auslandsgespräche müssten angemeldet werden. PCs werden um 17 Uhr einfach mal abgestellt. Da können Sie dann am PC nicht mehr arbeiten.“

„Wenn eine Flutwelle auf Sie zukommt“, so Knispels Metapher, „und
ich drücke Ihnen einen Zahnputzbecher in die Hand, und Sie antworten: ,Nee, wir möchten hier einen richtigen Damm gebaut haben, wir möchten die Flutwelle eingrenzen können‘, dann wäre das eine Forderung, wo vielleicht einer sagen könnte: ‚Ach, das kostet doch Geld. Nehmen Sie doch zwei Zahnputzbecher.‘“

Nein, der Oberstaatsanwalt möchte, dass nun endlich Geld in die Hand genommen und investiert wird, sowohl was die sachliche als auch was die personelle Ausstattung anbelangt. „Wir können uns nicht damit begnügen zu hören, er stellt so viel ein wie noch nie. Erstens wage ich das zu bezweifeln, zweitens sind die Stellen noch nicht durch.“ Und Geld sei ja da, man müsse nur schauen, wie man es ausgibt: „Sie können natürlich auch in der Senatsverwaltung für Justiz für viele, viele Tausende Euro Kollegen fortbilden über ,Rassismus in der Mitte‘.“


Dieser Beitrag ist in Tichys Einblick Ausgabe 12/2017 erschienen >>