Tichys Einblick

Der Paygap: Wenn man seine Leser für blöd hält

Journalisten führen ihr Publikum manchmal ziemlich an der Nase herum. Ein gutes Beispiel lieferte neulich ein IT-Magazin zum Thema Lohnunterschied zwischen Mann und Frau.

Journalisten führen ihr Publikum manchmal ziemlich an der Nase herum. Mittels diskreter Umgehung der Fakten pimpen sie gerne mal ihre Schlagzeilen und meinen dann, es merkt keiner. Ein gutes Beispiel lieferte neulich das IT-Newsportal Golem.de. Es titelte: „Weibliche IBM-Angestellte verdienen in England 14,6 Prozent weniger.“ Ein ganz schön krasser Lohnunterschied. Ungerecht und diskriminierend. Denken sich wohl alle, die nicht weiterlesen – und viele lesen nach der Schlagzeile nicht weiter.

Im Textteil steh dann: „Zwischen beruflich gleichgestellten Frauen und Männern betrage der Unterschied etwa ein Prozent.“ Beruflich gleichgestellt heisst, gleiche Position und Qualifikation. Der Lohnunterschied (Paygap) von Frauen und Männern mit gleicher Position und Qualifikation beträgt bei IBM also etwa ein Prozent. Das ist praktisch nichts, NOTHING. Es ist so wenig, dass es keinen Piep wert wäre – ausser eben, man lässt in der Schlagzeile den zentralen Punkt weg.

Einen nicht-bereinigten Paygap für eine reisserische Schlagzeile zu instrumentalisieren, ist unprofessioneller Journalismus. Es ist ein manipulativer Versuch, seine Leser in bestimmte Denkbahnen zu lenken, nämlich dass IBM ein diskriminierender Arbeitgeber ist. Man nimmt in Kauf, dem Unternehmen zu schaden und dazu gehört eine zünftige Portion Verschlagenheit. Golem.de ist mit 1,92 Millionen Unique Usern im Monat (Quelle: Agof) kein Winzling.

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Ich tat also, was man in so einer Situation tut, ich twitterte den IBM-Text und schrieb an die Golem-Redaktion: „Wenn der 14%-Paygap aus der Schlagzeile im Textteil – und unter Berücksichtigung relevanter Fakten – plötzlich auf 1% schrumpft. Manche Journalisten gehen offensichtlich davon aus, dass ihre Leser ein bisserl verblödet sind.“ Die Antwort: „Wir sind hier anderer Meinung: Ein Paygap von 14 Prozent ist auch dann relevant, wenn er nicht darauf zurückzuführen ist, dass Frauen und Männer in derselben Position ungleich bezahlt werden, sondern darauf, dass Männer offenbar bessere Aufstiegschancen haben als Frauen.“

„Offenbar“ ist eine Projektion des Schreibers. Eine subjektive Annahme. Dass bei IBM mehr Männer aufsteigen, kann auch daran liegen, dass die Frauen dort nicht unbedingt aufsteigen wollen, oder viele Frauen nicht bereit sind, Vollzeit zu arbeiten, oder die Firma schlicht weniger Auswahl an Damen hat. Denn Tatsache ist: Wie ein Computer zusammengesetzt ist, interessiert die Mehrheit der Frauen dieses Planeten etwa so sehr wie das Innenleben eines Doppelschlitztoasters. Mit IT&Co. können Frauen im Durchschnitt weniger anfangen als Männer. Die feministischen Kreise aber, die den Paygap permanent als unerschütterlichen Beweis für systematischen Sexismus und Diskriminierung durch das böse Patriarchat anbringen, haben sich entschlossen, von dieser Realität keine Notiz zu nehmen. Unterstützt werden sie dabei von vielen Journalisten, die statt in gesicherte Beweise lieber in eine ideologisch motivierte Meinungsbeeinflussung investieren.

Stuart Reges, Dozent für Informatik an der University of Washington mit 32 Jahren Berufserfahrung, widerspricht der Behauptung, dass Lohnunterschiede auf Männer und ihre patriarchalischen Organisationen zurückzuführen sind. „Frauen wollen weniger Computerwissenschaften studieren als Männer und eher keine Karriere als Software-Ingenieur anstreben“ – dieser Unterschied sei hauptsächlich verantwortlich für Lohnunterschiede in der IT-Branche, schrieb er jüngst im Onlinemagazin Quillette.com. Die Darstellung von Autoren, Professionellen und Aktivisten, dass Frauen systematisch von den lukrativen Branchen in der IT ausgeschlossen werden, sei ein gefährlicher „Oppression Narrative“, eine Erzählung, die auf Unterdrückung basiert.

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Dass die Geschlechter unterschiedliche Interessen haben und darum unterschiedliche Berufsentscheide treffen, hat schon der Dokumentarfilm „Gehirnwäsche, das Gleichstellungsparadox“ (2010) gezeigt. Der Soziologe Harald Eia hat herausgefunden, dass sich Frauen in Norwegen, dem Land mit der mustergültigsten Geschlechtergleichheit weltweit, trotz intensiver staatlicher Förderprojekte für frauentypische Berufe entscheiden – die halt oftmals schlechter bezahlt sind. In Norwegen ist fast 90% des Pflegepersonals weiblich, 90% aller Ingenieure sind männlich, obwohl die Regierung seit Jahren versuche, Männer für den Pflegeberuf zu begeistern und Frauen für das Ingenieurswesen. Mit Diskriminierung habe das nichts zu tun.

Das bestätigt auch ein User, der auf meinen Golem-Tweet antwortete: „Ich bin Software-Entwickler. Es gibt kaum Kolleginnen. Wenn doch, überproportional aus Osteuropa oder Indien. Und viele werden nie zum besserverdienenden Senior-Entwickler, weil sie vorher die Branche wechseln. Das verzerrt die Statistik enorm.“

Frauen haben bei uns die freie Wahl und wollen trotzdem nur sehr selten als Ingenieurin oder Programmiererin arbeiten. Die freie Wahl, noch so ein Zankapfel. Denn genau an der Stelle ruft die selbsterklärte Beschützer-Fraktion erneut dazwischen „Die ist doch gar nicht frei!“ – weil Frauen ja in diese gesellschaftlichen Schablonen und Stereotypen hineingedrängt werden. In ihrer Entrüstung entgeht ihnen, dass sie Frauen mit der Behauptung bei der Studien- oder Berufswahl jegliches selbständige Denken absprechen, sie zu hilfsbedürftigen Geschöpfen machen, die nicht in der Lage sind, Entscheide für sich zu treffen (wie solche Frauen dann bei Lohnverhandlungen oder in Führungspositionen reüssieren sollen, wäre dann die nächste Frage).

So argumentiert auch die renommierte US-Philosophin und Autorin Christina Hoff Sommers. In ihrem Meinungsstück bei der Huffington Post von 2012 zitierte sie eine Studie der American Association of University Women (AAUW), die herausgefunden hat, dass der Paygap nahezu verschwindet, wenn man relevante Variablen wie Branche, Ausbildung und Länge am Arbeitsplatz miteinkalkuliert. Der 23 Prozent Lohnunterschied sei einfach die durchschnittliche Differenz zwischen den Löhnen bei Männern und Frauen, die Vollzeit beschäftigt sin. Wichtig sei, dass man die „bereinigte“ Lohndifferenz bei der Berechnung nimmt. „Wenn es wahr wäre, dass ein Arbeitgeber Jill für dieselbe Arbeit weniger zahlen müsste als Jack, dann würden clevere Unternehmer all ihre männlichen Arbeitskräfte feuern und sie mit weiblichen ersetzen, und einen riesigen Marktvorteil geniessen“, so Hoff Sommers.

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Meistens bleiben bei Lohndifferenzen einige wenige Prozent übrig, die trotz der einkalkulierten Faktoren nicht erklärbar sind. Vielleicht liegt es daran, dass Frauen tendenziell schlechter verhandeln. Vielleicht entscheidet manchmal einfach persönliche Sympathie. Das ist menschlich – und kann Männer genauso treffen. Und es gibt wohl auch Männer, die ihren Geschlechtsgenossen mehr bezahlen und ihnen die besseren Jobs zuschanzen. Das ist ungerecht und gehört bekämpft. Ich wäre die erste, die sich beschweren würde, bekämen meine männlichen Kollegen mehr Honorar für die gleiche Kolumne. Nur, so einfach ist es auch da wieder nicht. Wäre ich Chefin, würde ich mehr Faktoren als nur „gleiche Arbeit und Qualifikation“ in meine Honorarberechnung einfliessen lassen, wie etwa den Bekanntheitsgrad eines Schreibers, das Spektrum seiner Themenwahl, seine Flexibilität bei spontanen Textanfragen, die Resonanz auf seine Kolumnen (wie oft geteilt online, wie viele Kommentare im Schnitt etc.).

Unternehmen sind sensibilisiert, bemühen sich um Fairness in der Lohnfrage. Journalisten, die den Narrativ einer strukturellen geschlechtlichen Lohnungleichheit unkritisch verbreiten, dienen der Sache nicht. Aber man kann Medien keinen allzu grossen Vorwurf machen, denn einerseits leben sie von Clickbaiting, andererseits ist das Überwinden der eigenen Vorurteile geistig auch nicht gerade einfach, da können Fakten noch so hartnäckig sein.