Tichys Einblick
Gillette ohne Mann

Der neue Gender-Lehrsatz: Männlich = schlecht

Gillette appelliert an die Männer, sie sollten sich besser benehmen. Wissenschaftler kommen zum Schluss, die traditionelle Männlichkeit sei schädlich. Nur in gewissen Situationen soll sie weiter gestattet sein. So nach dem Motto: Männlichkeit an- und abknipsen, je nach Bedarf.

Auf Männer einzudreschen, ist derzeit en vogue. Im postfeministischen Zeitalter werden sie für ziemlich alles Schlechte verantwortlich gemacht. Sie sind schuld an den Harvey Weinsteins dieser Welt, an verpassten Chancen, unbefriedigenden Jobs, unerfüllten Träumen. In den sozialen Medien wurde das Hashtag „Menaretrash“ (Männer sind Abfall) verbreitet, das ihr verhasstes Dasein zusammenfassen sollte.
Während dem Schreiben dieser Zeilen hat der Rasierer-Hersteller Gillette ein Video veröffentlicht, so quasi einen Appell an die Männer, sie sollten sich besser benehmen. Der Spot suggeriert, dass Männlichkeit etwas Negatives ist. Menschen aufrütteln und für Toleranz und gegen Gewalt einzustehen ist wichtig. Aber man hätte ja auch eine positive Botschaft zeichnen und Bilder von tapferen Männern, die sich für andere einsetzen und Zivilcourage beweisen, zeigen können – Gillette zieht es vor, die ganze Gruppe der Männer mit negativen Stereotypen zu verbinden. Die Männlichkeit liegt da wie eine halbverfaulte Tomate, die in der Küche zulange keine Verwendung gefunden hat.

Ein stumpfes Feld
Wie Gillette den Mann über die Klinge springen lässt
Als wäre das alles nicht genug, gibt’s jetzt quasi den offiziellen „männlich = schlecht“-Gütesiegel der Wissenschaft. Die „American Psychological Association“ APA, die grösste US-Organisation für psychische Gesundheit, lies vergangene Woche verlauten: „Traditionelle Männlichkeit ist psychologisch schädlich.“ Zu den traditionell männlichen Eigenschaften zählen laut der APA Stoizismus, Selbstaufopferung und Kompetitivität. Diese würden unter anderem die „psychologische Entwicklung von Männern limitieren“, negatives Verhalten und Gewalt fördern, was in einem „Geschlechterrollen-Konflikt“ resultieren könne. Die APA hat darum Richtlinien für Psychologen erstellt, die bei der Behandlung von männlichen Wesen helfen sollen.

Die Gemüter sind erhitzt. Der kanadische Psychologie-Professor Jordan Peterson schreibt bei Twitter, er sei „entsetzt“, dass die APA im Namen der Psychologen spricht. „Es gibt keine Entschuldigung für das, was sie da geschrieben haben.“ Die US-amerikanische Philosophin und Autorin Christina Hoff Sommers kritisiert beim Sender Fox: „Es ist eine politisierte Doktrin.“ Die APA würde Männlichkeit als Pathologie behandeln, die Heilung benötigt. „Das ist so, als müsse der durchschnittliche Mann umstrukturiert oder re-sozialisiert werden – und zwar gemäss den Bedingungen eines Gender Studies-Lehrbuchs aus den Siebzigern.“ Es sei gefährlich, wenn Politik so sehr in die Wissenschaft eindringt.

Die Richtlinien lesen sich tatsächlich wie ein Feministen-Manifest. Der Report pflegt einen verschwenderischen Umgang mit Schlagwörtern wie „Privilegien“, „dominant“, „geschlechtsspezifische Vorurteile“, „Unterdrückung“ – allein das Wort „Gender“ kommt in dem 36-seitigen Dokument 298 Mal vor, „Geschlechterrolle“ 63 Mal.
In Richtline Nr.1 wird behauptet, dass Männlichkeit konstruiert sei „basierend auf sozialen, kulturellen und kontextuellen Normen.“ Weiter gäbe es heute nicht mehr die binäre Kategorie männlich/weiblich, sondern: „Wenn wir die komplexe Rolle von Männlichkeit verstehen wollen […] ist es entscheidend anzuerkennen, dass das soziale Geschlecht ein non-binäres Konstrukt ist.“ Teilabsolution gibt’s von Ryon McDermott, Psychologe und Mitentwickler der APA-Richtlinien. Er räumt immerhin ein, dass es wichtig sei, „in gewissen Situationen“ pro-soziale Aspekte wie Stoizismus und Selbstaufopferung zu ermutigen. Und: “Wenn wir Männer ändern können, können wir die Welt ändern.“

Männer sollten also ummodelliert, neu designt werden. Der Bericht legt den Schluss nahe, dass traditionell männliche Eigenschaften unterdrückt werden sollten – zumindest in Bereichen, wo Mut, Tapferkeit, Selbstaufopferung und Konkurrenzfähigkeit nicht gefragt sind. Dort, wo sie nützlich ist, darf traditionelle Männlichkeit bleiben. Wie generös. Und wie soll das Abschwächen vonstattengehen? Sollte vielleicht bei Buben, deren angeborene Eigenschaften ausgeprägter sind, Ritalin bereits in den Frühstückskakao gefüllt werden? Man fragt sich, welchen Einflüssen oder Mächten Leute ausgesetzt sind, die sich solche Thesen ausdenken. Wie war ihre Kindheit? Vermutlich zählten die Verfasser früher zu jenen Kids, die im Turnen immer zuletzt ins Team gewählt wurden.
Mit „gewissen Situationen“, in denen Ermutigung männlicher Aspekte erlaubt ist, dürften vor allem die ungemütlichen, riskanten und gesundheitsschädigenden Jobs gemeint sein: Feuerwehr, Abfallentsorgung, Gruben- und Holzarbeit, Kanalreinigung, Kriegseinsätze – alles Bereiche im Übrigen, bei denen die Frauenvertretung überschaubar ist. In Zahlen: Bei den 20 gefährlichsten Jobs in den USA sind bis auf zwei Bereiche Männer mit 85 bis 99.9 Prozent vertreten. Das geht aus einem Artikel des Wirtschaftsmagazins „Forbes“ mit dem Titel „Das ist ihr Gender Pay Gap – fatale Verletzungen am Arbeitsplatz“ von 2016 hervor, der sich auf das Statistische Amt für Arbeit und einer Erhebung von 2015 stützt. Couragierte Männer ringen sich  zu diesen Arbeiten durch, vielleicht, weil sie als Ernährer gebraucht werden. Vielleicht auch, weil sie einen Sinn im Leben suchen, als Retter und Beschützer gesehen werden wollen.

Ausgerechnet „kompetitiv“ als psychologisch schädlich anzuführen, ist ziemlich verwegen. In unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft werden maskuline Grundeigenschaften gewiss weniger benötigt. Nur ist unser Wohlstand erst entstanden, weil sich unsere Vorfahren mit eben dieser traditionellen Männlichkeit im Konkurrenzkampf durchgesetzt und Wohlstand und „Wohlstandsberufe“ wie zum Beispiel jene der Verfasser erkämpft haben. Apropos Kämpfen: Ich kenne keine einzige Frau, die sich in einer dunklen Gasse den verständnisvollen, non-binären Stubentiger an ihrer Seite wünscht.

Natürlich ist ein zu hoher Grad an gewissen Eigenschaften wie Aggressivität oder Dominanz sozial nicht verträglich – aber hat das nichts mit traditioneller Männlichkeit zu tun, sondern mit dem Charakter des Individuums. Jeder Charakterzug, der ins Extreme abdriftet, stellt ein gesellschaftliches Zusammenleben auf die Probe. Ob männlich oder weiblich spielt keine Rolle. Das Verhalten einzelner Individuen zu verallgemeinern und typisch männliche Merkmale zu verteufeln, ist der falsche Ansatz zum Lösen von Gewalt-, Mobbing- oder Sexismus-Problemen. Indem sie andeuten, dass traditionelle Männlichkeit irgendwann zu Gewalt führte, vermengen die Wissenschaftler gelassene Männer mit Drecksäcken, dominante Kerle mit Unterdrückern und kompetitive Typen mit Gewalttätern.

Alles Männliche ersticken zu wollen, ist aber auch vom humoristischen Aspekt her problematisch: Wohin dann mit den ganzen Chuck-Norris-Witzen?

Der Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.