Tichys Einblick
Russland-Verstrickungen:

Thilo Sarrazin rechnet mit der SPD ab

Während die SPD Sarrazin wegen seiner Kritik am Islam aus der Partei ausschloss, schaut man über Schröders und Steinmeiers dubiose Russland-Politik hinweg. Das Thema SPD, sagt Sarrazin, habe er mittlerweile emotional abgeschlossen. Aber er fordert: „Das alles muss aufgearbeitet werden.“

imago Images/IPON
Thilo Sarrazin war fast 50 Jahre lang Mitglied der SPD, Finanzsenator von Berlin, Bundesbank-Vorstand und zählt zu den erfolgreichsten Sachbuchautoren der Nachkriegsgeschichte. Im Interview mit TE rechnet er mit seiner Partei und ihrem dubiosen Russland-Kurs ab. Mehr dazu sehen Sie auch in der neuen Ausgabe der Talkshow Tichys Ausblick.

Tichys Einblick: Viele rätseln über die Motivation der aktuellen SPD-Führung für ihren sehr zurückhaltenden Kurs gegenüber Russland. Ist das ein Versuch, irgendwo bei Willy Brandt wieder anzuknüpfen, oder steckt da mit Blick auf die Verbindungen auch zur russischen Wirtschaft mehr dahinter?

Thilo Sarrazin: Man muss das Muster von heute und die Politik von Willy Brandt strikt trennen. Willy Brandt handelte als damaliger Regierender Bürgermeister von Berlin aus einem moralischen Impuls heraus, der von Egon Bahr auch intellektuell untermauert und in eine konsistente Politik umgesetzt wurde. Und das war eine historische Leistung. Diese historische Leistung endete aber auch Mitte der 70er Jahre; es führt nicht weiter – sondern im Gegenteil geistig in die Irre -, sie weiter permanent zu überhöhen.

Ich hole mal aus: Die SPD hat in ihrem wesentlichen Teil ihr Verhältnis zum Marxismus und Kommunismus nie wirklich bereinigen können. Die SPD hatte ja schon Schwierigkeiten, die polnische Solidarność innerlich zu akzeptieren, weil das Antikommunisten waren. Deshalb hat die SPD der 80er Jahre eigentlich die historische Chance verpasst, sich mit den Bewegungen im Ostblock geistig auseinanderzusetzen. Später wurde die deutsche Einheit dann distanziert bis skeptisch betrachtet.

Dann wurde die SPD 1998 mit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder plötzlich zum Erben und zum Trittbrettfahrer einer von ihr weder ausgelösten noch verantworteten politischen Entwicklung. Und da begann die eigentliche Fehlentwicklung. In der SPD gab und gibt es weit verbreitet eine gewisse Sympathie gegenüber marxistischem und kommunistischem Gedankengut – das hat man dann übertragen auf das Verhältnis zu Russland. Dazu kamen dann Wanderungen in historische Untiefen, indem man die neue Souveränität der osteuropäischen Staaten verkannte – man bewegte sich geistig noch in einer Welt, in der Deutschland und Russland das Schicksal dieses Gebiets irgendwie zwischen sich ausmachen. Gleichzeitig galt da noch das Motto: Wenn wir nur ordentlich Handel treiben, werden wir die Russen schon zivilisieren.

Und aus dieser merkwürdigen Vermischung heraus hat sich dann so ein russlandnaher Kurs entwickelt. Im Endeffekt wurde aber vor allem die praktische Möglichkeit, mit Russland gemütlich Geschäfte zu treiben, durch diesen Rückgriff auf Willy Brandt moralisch überhöht. An diesem verfehlten Gedankengebäude waren sie alle beteiligt, jeder auf seine Art: Schröder, Steinmeier und Scholz. Das alles muss aufgearbeitet werden. Auch die CDU hat da übrigens einiges vor sich.

Haben da auch persönliche Motive und Verstrickungen von Politikern wie Steinmeier eine Rolle gespielt?

Das kann ich nicht abschließend seriös beurteilen. Es ist aber natürlich völlig klar, dass sich bei Steinmeier – der ja seit 1999 im innersten Zirkel der Macht war – auch ein gewisses Vertrauensverhältnis zu führenden Persönlichkeiten in Moskau entwickelt hat.

2020 wurden Sie aus der SPD ausgeschlossen. Wie blicken Sie jetzt auf die Partei?

Wissen Sie, das ist wie bei einem Disco-Besuch: Man verhält sich nach seinem Empfinden ordentlich und dennoch kommen auf einmal die Rausschmeißer und setzen einen vor die Tür. Und dann schaut man von außen hinein und stellt sich langsam die Frage: Wieso wolltest du da überhaupt rein? Und: Willst du da nochmal rein? Genauso geht es mir mit der SPD. Natürlich empfand ich die Behandlung, die mir zuteil wurde, als unwürdig und unfair, und ich habe mich darüber geärgert. Aber dann habe ich mit dem Thema geistig abgeschlossen. Ich habe die Frage umgedreht: Würdest du, wenn du jetzt 28 Jahre alt wärst, in diese Partei noch einmal eintreten? Ich würde sagen: vielleicht in gar keine Partei, aber bestimmt nicht in diese Partei. Und damit war für mich das Thema SPD auch emotional abgeschlossen, und ich betrachte das, wie man vielleicht nach einer Zeit der Abgeklärtheit eine verflossene Beziehung betrachtet: Sie hatte ihre Höhen und Tiefen und ist vorbei.

Irritiert bin ich natürlich dennoch, dass man mich wegen Kritik am Islam ausschloss und einen Schröder, trotz all seiner Verstrickungen mit einem Kriegsverbrecher, unberührt lässt.

2021 wurde die SPD ja schon totgesagt – dann kam Scholz’ überraschender Wahlsieg. War das eigentlich nur eine Art Verkettung von Zufällen, die nichts am eigentlichen Trend des Niedergangs ändert – oder erleben wir tatsächlich eine Rückkehr der SPD? Wie sehen Sie die Zukunft der Partei?

Ich sehe einen in vielerlei taktischer Hinsicht geschickt agierenden Bundeskanzler Scholz. Aber ein Comeback der Sozialdemokratie kann ich nicht erkennen, das würde auch der europäischen Entwicklung fast aller Volksparteien widersprechen. Letztlich lebt die SPD im Augenblick davon, dass sie die Regierungspartei ist und dass sie den Bundeskanzler stellt. Aber ein Mann macht noch keine Volkspartei.


Wenn Sie mehr von Thilo Sarrazin zu diesem Thema hören und sehen wollen, dann schauen Sie bei der neuesten Ausgabe unserer Talkshow Tichys Ausblick vorbei. Die können Sie hier kostenlos und bequem ansehen. Neben Sarrazin diskutieren der Medienwissenschaftler Norbert Bolz und der Journalist Holger Fuß über die gegenwärtige Lage der SPD:

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