Tichys Einblick
vorwärts geht es genauso gut wie rückwärts

Wo Robert Habeck ist, ist der Fortschritt

Manche wundern sich über flotte grüne Positionswechsel: vom Pazifismus zur Kriegspartei, vom Naturschutz zur Naturzerstörung. Robert Habeck beherrscht die Kunst, immer an der Spitze des Fortschritts zu stehen. Von Konrad Adam

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Klausur der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 21. März 2023 in Weimar

IMAGO / Jacob Schröter

Auch im Zeitalter des Internet hat das gedruckte und gebundene Buch nichts von seinem alten Renommee verloren. Betrüger und Spekulanten, Callboys und Sexarbeiter*innen, ja selbst Politiker haben Bücher geschrieben, schreiben lassen oder abgeschrieben; das letztere besonders gern. Nachdem Annette Schavan das Plagiat gesellschaftsfähig gemacht hatte, sind viele auf den Geschmack gekommen und haben es ihr nachgetan; und keine von ihnen hatte ihren Diebstahl zu bereuen. Frau Baerbock hat er nicht geschadet, Frau Giffey hat er sogar gut getan, denn für den Verlust des Doktortitels ist sie mit dem Berliner Bürgermeisteramt entschädigt worden. In einer solchen Gesellschaft muss ein Mann, der seine Bücher selbst schreibt, angenehm hervorstechen. So ein Mann ist Robert Habeck, und deshalb sollte man ihn lesen.

"Die Arbeit tun die Anderen"
Habeck und die Scharlatane des großen Versprechens
Sein jüngstes Werk heißt „Von hier aus anders“, verfasst und vorgelegt kurz vor der letzten Bundestagswahl, die ihn und seine Partei an die Regierung brachte. Es handelt von Krisen, die zu bewältigen, von Herausforderungen, die zu bestehen, von Visionen, die zu verteidigen, und Utopien, die zu konkretisieren sind. Nichts Neues also, nur der bekannte Regenbogen, der sich immer dann einstellt, wenn es geregnet hat und die Sonne tief steht. Als Markenzeichen einer Sekte, die uns für morgen einen schönen Tag verspricht, ist so ein bunter Bogen gar nicht schlecht; als politisches Programm sollte er aber nicht durchgehen. Was die Grünen im Kopf haben, wenn sie von Fortschritt reden, wissen sie selbst nicht, müssen sie auch gar nicht wissen, weil die bloße Floskel genügt. Wer sich am Fortschritt orientiert, segelt nach einem Zeichen, das er am Bug des Schiffes festgenagelt hat. Selbst wenn er sich im Kreise dreht, kommt er voran. Sein Kurs ist immer richtig oder immer falsch: Das ist der Kurs von Robert Habeck.

Vor gut zehn Jahren hatte er ein anderes Buch geschrieben, und das klang anders. Es handelte von einem weißen Raben, von Heimatliebe ohne Heimat, von einem linken Patriotismus, der ohne Deutschland auszukommen glaubte. Mit Deutschland weiß er nicht viel anzufangen, er findet es überflüssig, gefährlich, wo nicht sogar zum Kotzen. Inzwischen ist er allerdings Minister, und da kommt ihm die große Bühne, dekoriert mit schwarz-rot-goldenen Fahnen, eben recht: Kleider machen Leute, Fahnen offenbar auch. Habeck macht es wie seine Partei, er geht mit der Zeit, wohin auch immer.

Fortschritt sagen, Kulturrevolution meinen
Wenn der Habeck zweimal klingelt
Vorbei die Jahre, in denen die Grünen auf den Diesel setzten, heute schwören sie auf das E-Auto, und niemand weiß, worauf sie morgen schwören werden. Als Pazifismus Mode war, bewiesen sie Haltung, indem sie Soldaten Mörder und Polizisten Bullen nannten. Auch das ist vorbei, der alte Fortschritt ist vom neuen Fortschritt überrollt und ausgehebelt worden. Heute propagieren die Grünen den Waffenexport, grüne Minister eilen an die Front, um sich im Kreis von schwer bewaffneten Kämpfern ablichten zu lassen, und Polizisten werden von ihnen dazu eingeladen, vom Schlagstock großzügig Gebrauch zu machen – jedenfalls dann, wenn es gegen Querdenker, Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker und ähnliches Gesindel geht.

Habeck selbst hat davon berichtet, wie ihn der Fortschritt dazu zwang, Erfahrungen preiszugeben, Einstellungen zu überprüfen und Überzeugungen ins Gegenteil zu verwandeln. Vor vielen Jahren war er in Holland unterwegs und zwischendurch genötigt, das Pissoir des Flughafens Schiphol aufzusuchen. Was er dort sah, machte ihn nachdenklich. Es erinnerte ihn die unerfreulichen Zustände in den Unisex-Toiletten der Deutschen Bahn, und er wunderte sich, dass sich die Frauen so etwas – er meinte: solche Schweinereien – bieten ließen.

Davon kann heute keine Rede mehr sein. Die grünen Frauen sind längst schon weiter, sie finden gut, was Habeck schlecht fand, und fördern das, was er als Zumutung empfunden hatte. Erst neulich hat eine von ihnen, Bezirksbürgermeisterin in Berlin, die Eröffnung einer Unisex-Toiletten-Anlage am Kottbuser Tor als Fortschritt gefeiert. Die Schweinerei von gestern als Fortschritt von heute, oder umgekehrt: der Fortschritt von gestern als die Schweinerei von heute – für einen Grünen macht das keinen Unterschied, vorwärts geht es genauso gut wie rückwärts. Was gerade dran ist, wissen nur die Grünen, und das bedeutet: Fortschritt ist das, was ein Fortschrittler so nennt.

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