Tichys Einblick
Nicht durchdacht

Wider die Wehrpflicht

Alexander Müller ist der festen Überzeugung, dass es volkswirtschaftlich viel sinnvoller ist, Menschen frei ihren Traumberuf ausüben zu lassen, als sie zu zwingen, etwas zu arbeiten, was sie nicht möchten.

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Aus heiterem Himmel haben wir nun eine Diskussion, ob die Wehrpflicht erneut eingeführt werden sollte, die Union hat ein Sommerloch-Thema entdeckt. Man verpackt es jetzt als ‚verpflichtendes Jahr für die Gesellschaft‘, unter freier Auswahl des Dienstes, und erhofft sich davon die Linderung der Personalknappheit im Bereich Kranken- und Altenpflege sowie bei der Bundeswehr. Für die freie Auswahl des Dienstes wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig.

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Was man nicht sagt, ist, wie man den existierenden Widerspruch im Grundgesetz auflösen will, nämlich zum einen Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz, Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts) und zum zweiten Artikel 12 a (Heranziehung zum Wehrdienst nur für Männer geltend). Dieser Widerspruch ließ sich in einer Zeit, in der Frauen jeglicher Dienst in Uniform verwehrt war, begründen und aufrechterhalten, heutzutage steht die Bundeswehr Frauen uneingeschränkt offen, und es wird Klagen von Männern wegen Benachteiligung hageln, würde man die Pflicht auf Männer beschränken (insbesondere bei freier Auswahl des Dienstes entfällt der Armee-Bezug). Ich sage also voraus, dass alle Geschlechter eingebunden werden. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Herbst 2017, dass die Einschränkung des Personenstandsrechts auf rein männlich und weiblich gegen das Persönlichkeitsrecht verstößt und weitere Optionen ergänzt werden müssen, dürfte die Einschränkung auf bestimmte Geschlechter in Gesetzen ohnehin fragwürdig werden.

Die Wehrpflicht ist 2011 vor alles deswegen ausgesetzt worden, weil die Heranziehung ungerecht war, denn die Bundeswehr konnte nur einen Bruchteil der Jahrgangsstärken der jungen Männer gebrauchen. Mit der Verdopplung der Jahrgangsstärken durch die Einbeziehung der jungen Frauen würde dieses Problem noch einmal gravierender, wobei die freie Wahl des Dienstes erst noch empirisch zeigen müsste, für was die jungen Leute sich denn heute entscheiden würden.

Die Erfahrung wird dann zeigen, dass die freie Auswahl des Dienstes reines Wunschdenken ist: Es wird immer zu sogenannten „Schweinezyklen“ kommen, mal ist die Bundeswehr stark in Mode, mal die Pflegeberufe, mal das Technische Hilfswerk, aber nie werden die Jugendlichen sich so ausgewogen entscheiden, dass alle Bedarfe perfekt abgedeckt werden (wobei es schon ein Wunder wäre, wenn die jeweilige Jahrgangsstärke überhaupt exakt zu den jeweiligen Bedarfen in unterschiedlichen Berufen passen würde). Es wird also auch hier zwingend zu Einschränkungen der Wahlfreiheit kommen müssen, welche die alten Ungerechtigkeiten wieder aufleben lassen, und es wird zu etlichen juristischen Streitigkeiten wegen der Zwangs-Zuteilung zu bestimmten Diensten kommen. Die freie Wahl der Betroffenen ist also eine Utopie.

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Nun wird ein Teil der Lösung also sein, dass man junge Leute, die mit Altenpflege nichts am Hut haben, zur Altenpflege zwangsverpflichtet. Hand aufs Herz: Wenn Sie ihr Leben lang in die Pflegekassen eingezahlt haben, möchten Sie dann am Lebensende von jemandem gepflegt werden, der frustriert seine Arbeitszeit abtrödelt, und für den Sie nur ein Störfaktor sind? Oder eher durch einen Profi, der seinen Beruf aus Überzeugung gewählt hat, weil er sicher ist, dass Altenpflege sein Herzensanliegen ist? Ich bin der festen Überzeugung, dass es volkswirtschaftlich viel sinnvoller ist, Menschen frei ihren Traumberuf ausüben zu lassen, als sie zu zwingen, etwas zu arbeiten, was sie nicht möchten. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe selbst 15 Monate Wehrdienst absolviert, und habe die Kameraden erlebt, die mit Maßbändern Zentimeter für Zentimeter die Tage gezählt hatten, bis sie endlich in Freiheit kamen.

Die Bundeswehr wird ihre Personaldecke erhöhen können, wenn sie weiter konsequent an ihrer Attraktivität arbeitet: Endlich einmal gute materielle Ausstattung, modernes Gerät, Waffensysteme die technisch auf dem neuesten Stand sind, flexiblere Arbeitsbedingungen, systematische Evaluierung der Zufriedenheit der Soldaten.

Ich höre von den Befürwortern meist das Argument, dass viele Jugendliche zuhause keine richtige Erziehung genossen hätten, und die Bundeswehr die Leute zum ersten Mal richtig diszipliniere. Dazu kann ich nur sagen, der Staat ist nicht dafür da, Versäumnisse der Eltern über die Ausübung von Zwang zu „heilen“. Dieser Zwang ist ein dermaßen gravierender Eingriff in die persönliche Freiheit, dass man ihn als Liberaler nicht befürworten kann.

Hoffentlich bleibt das Thema also das, was es ist: Eine Schnapsidee für das Sommerloch.


Alexander Müller ist Obmann der FDP im Verteidigungs-Ausschuss des Deutschen Bundestages, und ist gerade in einer mehrwöchigen Reserveübung bei der Bundeswehr – freiwillig.