Tichys Einblick
Sylvia Pantel, CDU-MdB

Warum ich der Änderung des Infektionsschutzgesetzes nicht zugestimmt habe

Mit starren und zentralen Regeln nehmen wir uns die Möglichkeit, unterschiedliche Handlungsweisen zu erproben und schwächen die Eigenverantwortung, die uns im Vergleich zu Zentralstaaten besser durch die Krise kommen lassen könnte. Von Sylvia Pantel, MdB

Sylvia Pantel, MdB

IMAGO / Future Image

Der erneuten Änderung des Bevölkerungsschutzgesetzes habe ich nicht zugestimmt. Der Föderalismus ist nicht das Problem, sondern trägt eher zu guten Lösungen bei. Wenn wir die Corona-Pandemie überwinden wollen, brauchen wir den Föderalismus und subsidiäre Lösungen vor Ort, die immer auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Eine Zentralisierung erschwert schnelles Handeln und verlängert eher die derzeitige Gefährdungslage für die Bürger unseres Landes.

Zentrale Einheitlichkeit führt zu Unbeweglichkeit und Fehler fallen härter aus. Meiner Ansicht nach können flexible Regelungen vor Ort einen besseren Schutz für die Bevölkerung bieten.

Die 4. Änderung des Bevölkerungsschutzgesetzes wurde unter anderem damit begründet, dass bundeseinheitliches Vorgehen notwendig sei. Den bisherigen Beschlüssen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Länder soll jetzt bundesweite Geltung verschafft werden. Damit wird suggeriert, dass die Ministerpräsidenten nicht der Lage entsprechend gehandelt hätten.

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Der jetzige Vorstoß sieht fast nach einer Schutzbehauptung für ein leider wenig erfolgreiches Krisenmanagement aus. Der Bund ist für die Beschaffung einer ausreichenden Menge an Masken für die Bevölkerung und für die Bestellung von ausreichendem Impfstoff zuständig, sowie für eine funktionierende Test- und Impfstrategie. Diese Aufgaben hätte der Bund schnell und gut erfüllen müssen. Ebenso sollten fundierte wissenschaftliche Ergebnisse ausgewertet, Kongresse mit den anderen betroffenen Staaten abgehalten und die gewonnenen Erkenntnisse an die Bundesländer weitergeleitet werden. Seine Aufgaben sollte der Bund als Erstes lösen, bevor er in die Länderkompetenzen eingreift und somit lokale Lösungsoptionen mit Modellcharakter erschwert.

Die angedachten, zentralen Maßnahmen sind darüber hinaus nicht zielführend. Denn sie sind an die Inzidenzwerte als alleinigen Indikator gebunden. Weder die Zahl der Erkrankten, noch die Schwere der Erkrankung oder die Situation der Gesundheitsämter vor Ort, werden in den Blick genommen. In Deutschland und auch innerhalb der Bundesländer wird es, wie bisher, verschiedene Regelungen geben, da die Inzidenzwerte im Land unterschiedlich sind. Trotz der Notbremse des Bundes wird es unverändert einen Flickenteppich an Maßnahmen geben, der die Situation nicht verbessern wird.

Der Föderalismus hat sich in dieser Krise bewährt. Im internationalen Staatenvergleich gibt es keine Hinweise darauf, dass zentralisierte Pandemiebekämpfungsstrategien gegenüber dezentralen  Pandemiebekämpfungsstrategien im Vorteil wären. In der fachwissenschaftlichen Literatur sieht man einen Mix aus zentralisierter Beschaffung und Verteilung knapper Güter (Impfstoffe, Masken, Tests) und aus dezentraler Implementation von Schutz-, Eindämmungs-, Präventions- und Hygienekonzepten als das Erfolgsrezept an, um auf die Gegebenheiten vor Ort am besten und flexibelsten reagieren zu können.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, hat Deutschlands Krisenmanagement im Gegensatz zum Zentralstaat Frankreich als besser herausgestellt. Er führte aus: „Auch bei uns wäre in den vergangenen Jahrzehnten nicht automatisch alles besser geworden, wenn jede Detailentscheidung für den Schwarzwald, das Ruhrgebiet oder die Ostseeküste in Berlin getroffen worden wäre.“

Sinnlose Brachial-Maßnahmen
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Mit dem Gesetz wird jetzt bundeseinheitlich auf fragliche Kriterien in der Pandemiebekämpfung gesetzt. Die einzelnen Risiken werden keiner Abwägung vor Ort unterzogen und viele der Maßnahmen stehen in keinem Verhältnis zu den Kollateralschäden für unser Land und unsere Bürger. Aerosolforscher haben in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Landesregierungen erklärt, dass viele Maßnahmen, etwa die Schließung von Parks und Ausflugszielen oder gar Ausgangssperren, prinzipiell falsch seien. Die Übertragung des Corona-Virus findet laut den Forschern nahezu ausnahmslos in Innenräumen statt.

Sie schlagen folgende Maßnahmen vor:

1. Infektionen finden in Innenräumen statt, deshalb sollten sich möglichst wenige Menschen in Innenräumen aufhalten. Zusätzlich müsse man beachten, dass in Innenräumen auch dann eine Ansteckung stattfinde, wenn man sich nicht direkt mit jemandem treffe, sich aber ein Infektiöser vorher in einem schlecht belüfteten Raum aufgehalten hat.
2. Man sollte die Zeiten der Treffen und die Aufenthaltszeiten in Innenräumen so kurz wie möglich gestalten.
3. Man sollte durch häufiges Stoß- oder Querlüften Bedingungen wie im Freien schaffen.
4. Das Tragen von effektiven Masken ist in Innenräumen nötig. Die Experten erklären: „In der Fußgängerzone eine Maske zu tragen, um anschließend im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafel ohne Maske zu veranstalten, ist nicht das, was wir als Experten unter Infektionsvermeidung verstehen. Dabei ist zu beachten, dass der Dichtsitz der Maske für ihre Effektivität mindestens genauso wichtig ist, wie die Abscheideeffizienz des Materials.“
5. Raumluftreiniger und Filter sollten überall dort installiert werden, wo Menschen sich länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen (Wohnheime, Schulen, Alten- und Pflegeheime, Betreuungseinrichtungen, Büros und andere Arbeitsplätze).
6. In großen Hallen und Räumen ist die Ansteckungsgefahr viel geringer als in kleinen Versammlungsräumen, so die Forscher. Wenn man also wieder Theater, Konzerte, und Gottesdienste stattfinden lassen wolle, sollte das in großen gut gelüfteten Hallen stattfinden oder wenn möglich ins Freie ausgewichen werden.

Viele Experten sind sich uneins bezüglich der starren Fixierung auf die Inzidenzwerte, weshalb davon abzusehen und flexibel vorzugehen, plausibel erscheint. Der Fokus sollte nicht auf Inzidenzwerten im Landkreis liegen, vielmehr muss vor Ort der jeweilige Hotspot ins Auge gefasst werden. Symbolische Maßnahmen wie das Tragen von Masken in weitläufigen Fußgängerzonen wären eben nicht zielführend. Die Information, wann Masken wo sinnvoll sind, dagegen schon. Zur besseren Bewertung der pandemischen Lage plädieren Epidemiologen dafür, als besseren Orientierungswert die Zahl der Intensivstation-Neuaufnahmen binnen sieben Tagen zu nehmen, die im Gesetz leider keine Rolle spielen. Die Inzidenz der Infektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche, lassen sich bereits jetzt nicht mehr gut mit der pandemischen Lage in Einklang bringen. Der Wert könne Risiken sowohl über- als auch unterschätzen und steht damit in keinem Verhältnis zu den Kollateralfolgen in unserem Land. Laut dem Epidemiologen Gérard Krause vom Science Media Center (SMC) braucht es mehrere Indikatoren, um die Lage sachgerecht abzubilden und gezielte Maßnahmen zu treffen. Sollte man sich dennoch nur auf einen Messwert beschränken wollen, dann wäre die Zahl der Neuaufnahmen auf Intensivstationen das, was der Situation am ehesten gerecht würde. Die Abhängigkeit von täglichen Schwankungen und Verzögerungen im Meldewesen oder von Testfrequenzen würde verringert. Mediziner können anhand der Intensivbettenbelegung die Lage besser beurteilen. Dies ist umso wichtiger, weil sich die Sieben-Tage-Inzidenz durch zunehmende Tests, etwa an Schulen, und Impfungen der Risikogruppen, zunehmend von der eigentlichen gesundheitlichen Lage entkoppelt. Mit der Zahl der Neuaufnahmen auf Intensivstationen können wir die Lage vor Ort besser beurteilen und dementsprechend handeln.

Verfassungsbeschwerde
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Genau in der differenzierten Vorgehensweise liegt die Stärke unseres Föderalismus. Städte wie Rostock und Tübingen haben bewiesen, dass sie eigene, erfolgreiche Konzepte durchführen können, die beispielhaft sind. Nicht umsonst konnten sich auf dieser Basis in ganz Deutschland Städte und Gemeinden als Modellprojekt bewerben – bis zu diesem Gesetz. So konnten sie Auswege aus der Krise erproben. Mit den jetzigen, fragwürdigen, starren und zentralen Regeln nehmen wir uns die Möglichkeit, unterschiedliche Handlungsweisen zu erproben und schwächen die Eigenverantwortung, die uns im Vergleich zu Zentralstaaten besser durch die gegenwärtige Krise kommen lassen könnte. So verlieren wir die Möglichkeit, neue, besser Lösungen zu erproben und unsere Spielräume für das Wohl der Bevölkerung zu nutzen.

Das 4. Bevölkerungsschutzgesetz löst die Probleme vor Ort nicht. Eine Verbesserung der Situation ist fraglich. Derzeit erfahren wir einen erheblichen Vertrauensverlust bei den Bürgern, da viele Bestimmungen, wie die Ausgangsbegrenzung, in sich nicht logisch begründet werden können, aber erhebliche Einschränkungen von Grundfreiheiten darstellen.

Der Bund sollte sich auf die zentralen Beschaffungsmaßnahmen (Masken, Tests, Impfstoff) und deren Bereitstellung für die Bevölkerung konzentrieren. Außerdem sollte er gezielt mit Studien und differenzierten wissenschaftlichen Erkenntnissen die Bürger über das Geschehen besser informieren und das Gesundheitssystem krisenfest machen. Die Länder und die Kommunen sollten ihre Aufgaben erfüllen und die Schutzmaßnahmen, Eindämmungsstrategien und Präventionskonzepte direkt vor Ort erledigen. So können sensible Bereiche wie Altenheime, Wohnheime, Kitas, Schulen, Veranstaltungen und der gesamte kulturelle Bereich besser in den Fokus genommen werden. Die Ausbreitung und der Schutz, gerade vulnerabler Gruppen, könnte besser gewährleistet werden. Die Wirtschaft hat gezeigt, dass sie mit intelligenten Hygienekonzepten auch zusätzlichen Schutz erbringen könnte. Mit dieser Aufgabenteilung könnten wir wirklich bessere Fortschritte für den Schutz unserer Bevölkerung erreichen, als mit einer zentralistischen Planung.


Sylvia Pantel (CDU) ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Düsseldorf-Süd.

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