Tichys Einblick
Komplizierter als gedacht

Verbot für jeden Wahlkampfauftritt?

Verbot und Beschränkung der politischen Betätigung gem. § 47 AufenthG hat zwei sehr unterschiedliche Teile. Absatz 1 regelt, unter welchen Voraussetzungen eine politische Betätigung versagt werden kann, Absatz 2, wann sie versagt werden muss.

Nach der Erklärung der Ministerpräsidentin des Saarlandes, Kramp-Karrenbauer, im Saarland würden sämtliche Wahlkampfauftritte türkische Regierungsmitglieder untersagt werden, wird nun öffentlich verbreitet, die Bundesregierung könne jeden Wahlkampfauftritt eines türkischen Politikers auf der Grundlage des § 47 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verbieten.

Dem ist nicht so.

Zunächst einmal ist die Bundesregierung für Fragen des Aufenthaltsrechts gar nicht zuständig, dieses fällt in die Zuständigkeit der Ausländerbehörden (§ 71 AufenthG). Ausländerbehörden sind die Landkreise oder kreisfreien Städte, die der Fachaufsicht der jeweiligen Bundesländer unterliegen. Zwar ist das Aufenthaltsgesetz ein Bundesgesetz, die Länder führen es aber als eigene Angelegenheit aus. Das mag alles etwas kompliziert sein, ist aber dem Umstand geschuldet, dass wir einen föderalen Aufbau haben.

Föderale Kompetenzen

Das also bedeutet, dass grundsätzlich die Landkreise/kreisfreie Städte darüber zu entscheiden haben, nicht die Bundesregierung.

Daneben ist es auch inhaltlich nicht ganz so einfach. Das Verbot und die Beschränkung der politischen Betätigung gem. § 47 AufenthG hat zwei sehr unterschiedliche Absätze. In Absatz 1 ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine politische Betätigung versagt werden kann, in Absatz 2 ist geregelt, wann sie versagt werden muss. Das sind rechtlich ganz verschiedene Welten.

Wenn eine politische Betätigung versagt werden kann, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Entgegen weit verbreiteter Ansicht heißt Ermessen aber nicht Willkür, die Behörde kann also nicht tun oder lassen, was sie will, sondern sie muss ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben. Dazu gehört zunächst die Erkenntnis, dass sie ein Ermessen hat, ferner sind bei der Entscheidung alle wesentlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen und diese dürfen auch nicht objektiv fehl gewichtet werden. Bei einer solchen Ermessensabwägung wäre ein wesentlicher Aspekt das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs 1 GG, welches ohne Zensur gewährt wird.

Dieses Recht wird seinerseits nicht grenzenlos gewährt, sondern steht unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze. Wäre dem nicht so, könnte es z. B. gar keinen § 47 AufenthG geben, welcher die politische Betätigung untersagt. Dennoch ist die erhebliche Bedeutung des Rechts, das durch eine Untersagung der politischen Betätigung eingeschränkt wird, zu beachten und gewichten. Wenn es sich nur um marginale Probleme handelt, die durch eine politische Betätigung zu erwarten sind, zum Beispiel zwei Polizisten zwecks Verkehrsregelung, dann wäre eine völlige Untersagung der politischen Betätigung im Zweifel unverhältnismäßig und damit unzulässig.

Anders ausgedrückt: Die Rechtmäßigkeit eines generellen Verbotes von politischen Betätigungen von Ausländern eines bestimmten Herkunftslandes, weil möglicher Weise potentielle Gefahren davon ausgehen könnten, wäre rechtlich fraglich.

Der zweite Absatz des § 47 AufenthG ist anders konstruiert, hier besteht die Pflicht, bestimmte politische Tätigkeiten zu untersagen. Konkret lautet diese Bestimmung:

(2) Die politische Betätigung eines Ausländers wird untersagt, soweit sie

1. die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder den kodifizierten Normen des Völkerrechts widerspricht,
2. Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange öffentlich unterstützt, befürwortet oder hervorzurufen bezweckt oder geeignet ist oder
3. Vereinigungen, politische Bewegungen oder Gruppen innerhalb oder außerhalb des Bundesgebiets unterstützt, die im Bundesgebiet Anschläge gegen Personen oder Sachen oder außerhalb des Bundesgebiets Anschläge gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen veranlasst, befürwortet oder angedroht haben.

Politische Klugheit gefragt

In einem anderen Beitrag hatte ich ausgeführt, dass es klüger wäre, wenn die Bundesregierung generell ausländischen Regierungsmitgliedern für Wahlkampfauftritte keine Einreise genehmigt, denn sonst käme sie in die „Verlegenheit“, im einzelnen Fall eine Inhaltskontrolle vornehmen zu müssen. Ein Kommentator wies logisch völlig richtig darauf hin, dass es auch die andere Möglichkeit gäbe, Wahlkampfauftritte generell immer zuzulassen. Das ist logisch richtig, rechtlich aber falsch, denn in den Fällen des § 47 Abs. 2 AufenthG muss die Betätigung sogar untersagt werden, was dann die Zustimmung zu einer Einreise nicht nur ins Leere laufen ließe, sondern de facto als Düpierung angesehen würde. Jemanden einfliegen zu lassen, nur um ihn dann am Auftritt zu hindern, ist maximal undiplomatisch.

Entgegen mancher Ansicht gibt es also keine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, selbstzerstörerisch tätig zu werden. Vielmehr muss der Staat – und sei es in Form der Ausländerbehörde – manches sogar verhindern.

Nun hat bisher kein türkisches Regierungsmitglied auch nur annähernd irgend etwas gefordert, was in den Bereich des § 47 Abs. 2 AufenthG fällt. Um aber die oft schwierige und angreifbare Ermessensentscheidung des § 47 Abs. 1 AufenthG zu vermeiden, wäre es zur Vermeidung von Eskalationen klüger, gewisse Situationen von vornherein zu vermeiden.

Auch ohne Einreiseverbote verhängen zu müssen, war es in Europa üblich, die Souveränität anderer Staaten zu akzeptieren und keinen Wahlkampf – und schon gar nicht so umfangreich – im Ausland zu machen. Weder macht Herr Kern in Bayern Wahlkampf noch Herr Seehofer in Österreich, auch die Anwesenheit von Herrn Rutte in Deutschland blieb mir jedenfalls unbekannt. Ein solcher Besuch wäre allerdings auch kaum aufgefallen, er hätte im Zweifel weniger für Unruhe gesorgt als ein Länderspiel Holland gegen Deutschland.

Dieser Verhaltenskodex aus Respekt vor den Interessen und Grenzen eines anderen souveränen Staates selbst innerhalb der EU wird von der Türkei nicht akzeptiert. Dass man seine Auseinandersetzungen nicht bei Dritten austrägt, ist eine Einstellung, welche von der Türkei nicht geteilt wird. Es ist sehr deutlich, dass sie die Eskalation sucht, um unsere Liberalität als Schwäche vorzuführen. Vor dem Hintergrund dieser Schwäche kann sich Erdogan als starker Mann präsentieren, was für seinen Wahlerfolg von grundlegender Bedeutung ist. Damit mischen wir uns als Reflex unserer Handlungen natürlich auch in den türkischen Wahlkampf ein, wir lassen uns sehenden Auges von Erdogan instrumentalisieren.

Um so unschöne Situationen zu vermeiden, wäre ein generelles Einreiseverbot für türkische Regierungsmitglieder ratsam gewesen verbunden mit dem Hinweis, dass dieses grundsätzlich für alle Länder und deren Wahlkampf gilt. Die jetzige Eskalation wäre vermieden worden. Auch jetzt wäre noch Zeit, ein entsprechendes Verbot auszusprechen, so dass die Außenpolitik eben nicht von Landräten, Bürgermeistern oder Bezirksamtsleitern übernommen werden muss, wo sie eigentlich nicht hingehört. Man würde dann auch eine innenpolitische Eskalation vermeiden, die ihrerseits überzogene Reaktionen hervor bringen kann. Wenn wir soweit sind, dass in der Presse zu lesen ist, die Bundesregierung könne jede politische Betätigung von Ausländern verhindern, dann ist das nicht nur falsch, sondern zeigt, in welch bedenkliches Fahrwasser wir gekommen sind.

Annette Heinisch. Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank – und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht.
Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.