Tichys Einblick

„Umweltschutz als Narretei“

Über Wildbienen weiß man praktisch nichts. Gewöhnliche Honigbienen sind Nutztiere. Die Imker kümmern sich. Die Zahl der Bienenvölker ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Gleichwohl hält sich die Mär vom Bienensterben. Wie die Umweltpolitik die Fakten ignoriert.

YURI KADOBNOV/AFP/Getty Images)

Mit der These „Umweltschutz als Narretei“ griff die „Zeit“ im Herbst 1997 in die Debatte um die Zukunft der Shell-Tankboje Brent Spar ein. Seit 1995 hatte Greenpeace eine öffentlichkeitswirksame Kampagne „Brent Spar – Rettet die Nordsee“ gegen die Versenkung des gigantischen Hochseeöl-Zwischenlagers im schottischen Teil des Gebiets zwischen Nordsee und Nordatlantik durchgeführt und schließlich auch durchgesetzt. Der Stahlkoloss wurde bis 2003 in Norwegen verschrottet.

Eine lange Untersuchung unter Einbeziehung von Ökowissenschaftlern hatte nun 1997 ergeben, dass die ökologischste Variante der Entsorgung doch die Versenkung wäre. „Versenkt die Brent Spar!“, schrieb deshalb die „Zeit“ zu Recht. Aber 1997 war das Thema in den Medien schon kein Thema mehr. Auch wenn sich Greenpeace später entschuldigte, wurden keine Lehren aus dem Vorfall gezogen; Umweltnarreteien sind zur Normalität geworden.

„Das große Bienensterben“

In der ARD-Sendung „Quarks“ vom 12. Juni 2018 mit dem Titel „Dramatisches Sterben: Sind unsere Insekten noch zu retten?“ verkündete der Moderator Ranga Yogeshwar: „Oft ist die Rede vom großen Bienensterben. Mit Bienen meinen die meisten: die Honigbienen. Doch die sterben nicht aus. Honigbienen sind nämlich Nutztiere, werden in dem Umfang gezüchtet, wie sie gebraucht werden. Zwar setzen Pestizide oder Krankheitserreger wie die Varroamilbe den Bienen zu, doch die Zahl der Imker ist gestiegen und damit auch die Zahl der Bienenvölker. Schauen Sie mal: In den letzten zehn Jahren von 670.000 auf 820.000.“

Die Horrorgeschichte, die Yogeshwar so im Vorbeigehen richtigstellte, hat im deutschen Fernsehen eine lange Tradition. In der ARD-Sendung „W wie Wissen“ vom 12. September 2015 mit dem Titel „Warum sterben die Bienen?“ hatte Moderator Dennis Wilms noch verkündet: „Die Anzahl der Bienenvölker ist in Deutschland seit 1990 um 40 Prozent gesunken. Das ist eine Million weniger. Und das hat Folgen!“ Und in den ARD-„Tagesthemen“ vom 29. Oktober 2012 hatte Moderator Tom Buhrow in Bezug auf die „Superleistungen“ der Honigbienen fabuliert: „Aber wir Menschen schaffen es, dass es immer weniger dieser Superleistungen gibt, weil weltweit immer weniger fleißige Bienen leben.“ Im so angekündigten Einspielfilm belehrte der Filmemacher Markus Imhoof die Zuschauer: „In den letzten sechs Jahren sind in Europa, Nordamerika und China 30 Prozent der Bienenvölker jedes Jahr gestorben. Und wenn das so weitergeht, sehen unsere Teller bald traurig aus.“

Die Medien brachten schon 2007 Schlagzeilen wie: „Aids im Bienenstock“, „Experten fürchten um die ganze Art“ oder „Maja summt nicht mehr“. Untergangsstimmung. Manfred Hederer, Vorstandsmitglied des Deutschen Berufsimker-Bunds (DBIB), warnte: „Der Todeskampf der Honigbiene und der Imkerei in Deutschland hat begonnen“, wobei er in Pestiziden und dem Einsatz von Gentechnik die Hauptursachen wähnte. Gentechnisch veränderte Pflanzen können zwar keiner Biene gesundheitlich schaden, trotzdem wird der Humbug gern verbreitet.
Als nun nach zehn Jahren akuten „Bienensterbens“ 2017 mit Abnahmeraten von „30 Prozent und mehr“ weltweit immer mehr Honigbienenvölker von den Statistikern der UN-Welternährungsorganisation (FAO) gezählt wurden, dämmerte den Medien allmählich, dass bei den Bienenerzählungen etwas nicht stimmt.

Schnelle Umdeutung

Die Mehrzahl der deutschen Bienenforscher hat sich immer gegen den Begriff „Bienensterben“ gewehrt, aber die Medien stürzten sich, wie bei der Brent Spar oder dem „Waldsterben“, auf die Hiobsbotschaften von NGOs und ihren Unterstützern in Politik, Wissenschaft und Medien. Als die Fakten nun erdrückend wurden, erklärten die Bienenschützer das Honigbienensterben flugs zum Missverständnis: Eigentlich seien die Wildbienen gemeint gewesen.

Das war nun der Fake im Fake, aber die Medien folgten brav der neuen Argumentation. Das Honigbienensterben war nützlich, solange es die Kassen und Stellenpläne füllte. Nun zauberten die NGOs vor dem überraschten Publikum eine Differenzierung nach Wild- und Zuchtbienen aus dem Hut.

Tatsächlich haben die Naturschützer traditionell ein gespanntes Verhältnis zur Honigbienen-Massentierhaltung, die ihre überwiegende Existenz landwirtschaftlichen Blüh-Monokulturen als Futterquellen verdankt. Außerhalb der Blühtermine der Monokulturen kann es zu Nahrungskonkurrenzen zwischen heimischen Wildbienen und der aus „fremdländischen Rassen“ gezüchteten Honigbienen kommen. In vielen Naturschutzgebieten ist deshalb das Aufstellen von Honigbienenstöcken verboten.

Die Umfokussierung des Bienensterbens auf Wildbienen hat für die NGOs den Vorteil, dass es keine objektiven Zahlen gibt. Ein Sack Flöhe lässt sich leichter hüten, als Wildbienen sich zählen lassen. Wie soll das denn seriös gehen? Die Leute, die Aufträge für solche „Zählungen“ erhalten, sind die, die dann bei schlechten Ergebnissen Folgeaufträge für weitere „Monitorings“ bekommen.

Die Wildbienen leiden vor allem an einer Reduzierung ihres Lebensraums, auch als Folge eines falsch verstandenen Naturschutzes. Viele Wildbienen brauchen bewuchsfreie Bodenstücke, deshalb ist ein Truppenübungsplatz ein hervorragender Lebensraum, wild wuchernde Naturschutzflächen sind es nicht. Viele Wildbienen sind Kulturfolger, unsere Kultur kannte früher mehr Dreck, Mist, verwahrloste Ruinen, Bauschutt- und Erdhaufen, Pfützen, abgebrannte Hecken, schlammige Fahrspuren.
Wie mit den Bienen medial umgegangen wurde, steht für die ganze Umweltschutzdebatte oder, wie Bundeskanzlerin Merkel es in ihrer Regierungserklärung vom 16. Mai 2018 vor dem Deutschen Bundestag sagte: „Die Bienen stehen inzwischen pars pro toto für das, was wir unter Artenvielfalt, unter Natur, darunter, wie sie funktionieren muss und soll und wie wir sie schützen müssen, verstehen. Deshalb sollten wir an diesem Tag an die Artenvielfalt denken und etwas Gutes für die Bienen tun.“

Starke Zunahme in China

Ein zentrales Argument der Bienen-, Insekten- und Artensterbenkampagne war die Handbestäubung der Obstbäume in China, weil angeblich die Bienen, zumindest regional, ausgestorben wären. Nirgends in China sind Bienen ausgestorben! Die Anzahl der Honigbienenvölker hat sich in China seit 1980 kontinuierlich um 65 Prozent auf 9,1 Millionen Völker 2016 erhöht. Gleichwohl ist die Geschichte von der Handbestäubung zutreffend.

Die Reprivatisierung von Bauernland unter Deng Xiaoping erweckte auch die Geschäftstüchtigkeit der Bauern wieder. Mit steigendem Wohlstand ließen sich immer mehr Birnen der selbststerilen Birnensorte Jinhuali verkaufen. Der Anbau dieser teuren Edelsorte dehnte sich in der Provinz Sichuan um die Stadt Hanyuan monokulturähnlich aus. Um das Geschäft nicht durch wurmige Früchte zu gefährden, spritzten die Obstbauern radikale Billiginsektizide, die auch alle Bienen töteten. Die Wanderimker kamen deshalb nicht mehr in dieses Birnenanbaugebiet, auch weil Birnenblüten wenig Nektar mit geringem Zuckergehalt produzieren. Für die Obstbauern war es lohnender, die Birnen per Hand zu bestäuben, als auf die bienenschonenden Methoden des Integrierten Obstanbaus umzusteigen. Der Behang der Bäume kann dadurch in Richtung „Einzelbirnen“ gesteuert werden, da die Birnen im Juli, noch auf den Bäumen, in eine Schutzhülle aus Wachspapier verpackt werden.

Die Lobby der Naturschützer setzte in dem US-Naturfilm „Silence of the Bees“ 2007 den Fake von den Birnenbauern als Opfern einer Chemielandwirtschaft in die Welt. Fortgesetzt wurde die Täuschung in dem wegen seiner spektakulären Naturaufnahmen vielfach ausgezeichneten Film „More than Honey“, in dem Regisseur Markus Imhoof 2012 die Behauptung aufstellte, in Europa, Nordamerika und China könne heute keine Honigbiene ohne Medikamente überleben. Die These von den ausgestorbenen Bienen in China relativierte der Regisseur jedoch nachträglich.

Noch heute sind die beiden „Doku­mentarfilme“ bei zeitgeistigen Pädago­gen ein beliebter Stoff in den Schulen. Maja Lunde, Autorin des – 2017 meist­ verkauften – Buchs „Die Geschichte der Bienen“, bekannte in einem Interview: „Der Auslöser für meinen Roman war der Dokumentarfilm ,More than Honey‘ über das Bienensterben. Als ich den sah, war ich fasziniert und erschrocken zugleich, weil es so schlecht um die Bie­nen steht. Ich wusste sofort, ich muss ein Buch darüber schreiben.“

In den Medien hat nun eine Absetz­bewegung von den falschen Bienen­sterben­Thesen und der einseitigen Faktenauswahl der Filme begonnen. Auch im chinesischen Apfelanbauge­biet Maoxian wurde zeitweise per Hand bestäubt, aber Äpfel bringen weniger Geld als die Edelbirnen, die Kosten für die Wanderarbeiter lohnten den Aufwand nicht mehr, die Obstbauern stimmten sich mit den Wanderimkern ab, und die Bienen bestäuben wieder.

Nach den seriösen Statistiken der FAO wird die Hälfte der weltweiten Apfelernte in China von den Bäumen geholt. 2016 waren das 44,5 Millionen Tonnen von weltweit 89,3 Millionen. Per Handbestäubung wäre das nicht zu erreichen. Kirschblüten wurden nie per Hand bestäubt. Eine Kirsche ist den Aufwand nicht wert. In diesbezüg­ lichen Meldungen wurden Birnbäume mit Kirschbäumen verwechselt.

Naturschutz: Lizenz zum Lügen

Zum ersten Weltbienentag am 20. Mai 2018 meldete der Naturschutzbund NABU: „Jede dritte hier lebenden Wild­bienenart ist gefährdet oder vom Aus­sterben bedroht.“ Ein Jahr zuvor, am 29. Mai 2017, berichteten die damali­ge Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und die Präsidentin des Bun­desamts für Naturschutz (BfN), Beate Jessel, auf einer Pressekonferenz: „Heu­te sind mehr als die Hälfte der 561 Wildbienenarten in ihrem Bestand bedroht und werden deshalb in der Roten Liste Deutschlands geführt, mit steigender Tendenz.“ Wieder ein Jahr zuvor, in einer Antwort der Bundesregierung an den Bundestag am 25. Februar 2016 (Drucksache 18/7705), meldeten die Be­hörden der beiden Damen dem Bundes­tag: „Die Artengruppe der Wildbienen weist mit 40,9 Prozent der einheimi­schen Arten überdurchschnittlich viele in ihrem Bestand gefährdete Arten auf.“ Ja, was denn nun: „jede Dritte“, „mehr als die Hälfte“ oder 40,9 Prozent?

Der beliebige Umgang mit Zahlen of­fenbart eine Kampagne, die auf fantas­tischen Zahlen beruht. Um die Kampa­gne nicht mit seriösen Zahlen zu stören, wurde sogar der Bundestag von den Be­hörden der beiden Damen irregeführt. Abgeordnete der Grünen fragten die Bundesregierung: „Wie viele heimische Wildbienen­ und Schmetterlingsarten sind seit den 1980er­Jahren ausgestor­ben?“ Bienen fallen als landwirtschaft­liche Nutztiere in die Zuständig­ keit des Landwirtschaftsministeriums, Wildbienen in die Zuständigkeit des Umweltministeriums, und die Roten Listen werden im BfN, einer Behörde im Geschäftsbereich des Bundesum­weltministeriums, geführt. Auf dem Dienstweg antwortete die Bundesregie­rung den Abgeordneten: „Es gibt rund 560 Wildbienen­-Arten in Deutschland, die in den Roten Listen (2012) bewertet wurden, davon sind 39 Arten ausge­storben oder verschollen. Aus den Artengruppen der Tagfalter, der Nacht­ faltergruppen Spanner, Eulenspinner, Sichelflügler und Spinnerartige Falter, die einen großen Anteil der Bestäu­ber­-Arten stellen, sind 19 Arten seit 1980 ausgestorben oder verschollen.“

Für die Schmetterlinge stimmt die Antwort mit den 19 ausgestorbenen Ar­ten seit 1980, für die Wildbienen ist die Antwort auf die eindeutige Frage, wie viele Wildbienen „seit den 1980er­-Jah­ren“ ausgestorben sind, eine Irrefüh­rung des Bundestags. Es ist genau eine Wildbienenart seit 1980 ausgestorben (Dasypoda suripes; Christ, 1791), und vier Wildbienenarten wurden seit 1980 neu entdeckt (Lasioglossum pleuro­ speculum, Herrmann, 2001; Colletes he­derae, Schmidt & Westrich, 1993; Lasio­ glossum sabulosum, Warncke, 1986 und Osmia hyperborea, Tkalcu, 1983).

Statt eines Artensterbens gab es also bei Wildbienen seit 1980 eine Zunahme der Arten. Alle anderen 38 ausgestorbe­nen Wildbienenarten aus der Antwort der Bundesregierung an die Abgeord­neten sind vor 1980 ausgestorben, die erste (Nomada mauritanica Lepeletier 1841) vor genau 200 Jahren, im Jahr 1818, wobei es zweifelhaft ist, ob die fünf im 19. Jahrhundert ausgestorbe­nen Wildbienenarten auch wirklich hier heimisch waren.

Artenvermehrung statt -schwund

Eine Artenvermehrung statt eines Ar­tenschwunds bei Wildbienen wollten die Aktivisten in den Behörden den Bundestagsabgeordneten wohl nicht mitteilen. Das hätte die Argumentation gestört, das Bienensterben sei haupt­ sächlich eine Folge der modernen Land­ wirtschaft. Als kleine juristische Hin­tertür ließ man bei der Frage „Wie viele heimische Wildbienen­ und Schmetter­lingsarten sind seit den 1980er­Jahren ausgestorben?“ in der Antwort das „seit 1980“ weg. Man könnte sich also auf ein Versehen berufen. Diese Raffinesse spricht für eine Abstimmung der Fra­gen und Antworten zwischen den betei­ligten Netzwerkern.

Auch die Insektenforscher verhielten sich ruhig. Das zeigt, welche Narreteien sich die Gemeinschaft der Umweltak­tivsten inzwischen sogar gegenüber den Parlamenten erlauben können. Es gab Zeiten, da wäre es den Urhebern pein­lich gewesen, bei einer „weißen Lüge“ (für einen höheren Zweck) ertappt zu werden, Medien und Wissenschaft hät­ten eine Korrektur angemahnt.

Heute ist der Schwindel folgenlos, denn Kritik würde als „Artensterben­leugnung“ ausgelegt, wäre unpopulär und könnte Stimmen kosten. Bundes­tag und Ministerien sind über diese Täuschung von Parlament und Öf­fentlichkeit zwar informiert, tun aber nichts dagegen, denn der amtliche Umweltschutz scheint in Deutschland die Lizenz zur Irreführung zu haben. Was „wahr“ oder „korrekt“ ist und was „Lüge“ oder „Täuschung“, ist nicht mehr eine Frage des „Fact Checking“, sondern Meinungssache.


Georg Keckl