Tichys Einblick
Außerparlamentarische Aufarbeitung nötig

RKI-Files belegen Verrat an Wissenschaft und Grundgesetz

Will man die Corona-Maßnahmen-Politik aufarbeiten, darf man nicht Regierung und Bundestag fragen. Die Aufarbeitung muss daher zwingend außerparlamentarisch erfolgen. Auch um sicherzustellen, dass sich die schrecklichen Verfehlungen demagogisch verirrter Entscheidungsträger nie mehr wiederholen. Von Lothar Krimmel

IMAGO
Eine Klarstellung vorweg: Es geht bei der Aufarbeitung der Corona-Zeit nicht darum, die bei Pandemiebeginn bestehenden Unsicherheiten zu ignorieren und mit dem Wissen von heute über die damaligen Entscheidungen zu richten. Es geht vielmehr ausschließlich darum, wie die Bundes- und Landesregierungen sowie ihre Unterstützer in Gesellschaft und Medien mit diesen natürlichen Unsicherheiten im Verlauf der Pandemie umgegangen sind. Und hier kann das Fazit nur lauten: So etwas darf sich niemals wiederholen!

Die nunmehr gerichtlich erzwungene Offenlegung der RKI-Files ist eine Sternstunde des investigativen Journalismus und auch ein Triumph der Zivilgesellschaft. Es ist unabdingbar, dass nunmehr die Offenlegung der bislang geschwärzten Verantwortlichkeiten und in einem weiteren Schritt die Veröffentlichung auch des zweiten Bandes der RKI-Files für die Zeit ab dem 1. Mai 2021 folgen. Hier warten spannende Erkenntnisse etwa zum 2G-Skandal, zur Impfpflicht-Debatte oder zu Lauterbachs „Killervariante“.

Die gewissenhafte Aufarbeitung des jetzt vorliegenden Materials mit über 2.500 Seiten und Dutzenden verschiedenster Themen ist von herausragender Bedeutung. Aber noch wichtiger ist es, die schon jetzt erkennbaren übergeordneten Zusammenhänge zu analysieren und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Denn wie schon in der Klimadebatte, so zeigten sich auch in den Corona-Jahren die typischen Aktionsmuster eines totalitären Wissenschafts- und Politikverständnisses:

  • Missbrauch und Pervertierung des Wissenschaftsbegriffs
  • Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas mit ausgrenzenden Kampfbegriffen (Corona-Leugner, Covidiot)
  • Verlogene Moralisierung der Debatte („Die Impfung ist ein Akt der Nächstenliebe und bringt uns die Freiheit zurück!“)
  • Irreführung der Öffentlichkeit und insbesondere der Justiz durch gezielte Desinformation
  • Antidemokratische Verengung des Meinungskorridors und öffentliche Ächtung von Kritikern
Gezielter Verrat an der Wissenschaft

Der Verrat an der Wissenschaft durch Pervertierung des Wissenschaftsbegriffs erfolgte in den Corona-Jahren gleich in zweifacher Hinsicht: einmal durch Unterdrückung der Tatsache, dass die Kontroverse ein Wesensmerkmal von Wissenschaft ist, und zweitens durch die politische Entscheidung, welche der konkurrierenden Auffassungen der Bevölkerung als einzig wahre „Wissenschaft“ präsentiert wird. Dass sich einzelne „Wissenschaftler“ dafür hergaben, den regierungsseitigen Inszenierungen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, ist ein Tiefpunkt der Wissenschaftsgeschichte.

Der geniale Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman hat 1966 eine zeitlose Definition formuliert: „Naturwissenschaft ist der Glaube an die Unwissenheit der Experten.“ Heute klingt es fast so, als hätte er dabei insbesondere an „Experten“ der Gattung Christian Drosten gedacht.

Der bekannte Medizinstatistiker Gerd Antes, ein maßgeblicher Wegbereiter der Evidenz-basierten Medizin, hat das gemeinsame Versagen von Politik, Medien und Wissenschaft in den Corona-Jahren so zusammengefasst: „Die Politik hat das Thema Corona an sich gerissen und ist dann eine unheilvolle Allianz mit ausgewählten Wissenschaftlern eingegangen, zu der später auch ein Großteil der Medien gehörte.“

Oder um Feynman und Antes auf den Punkt zu bringen: Wissenschaft ist das Gegenteil von Christian Drosten. Und Wissenschaft ist leider auch das Gegenteil der Leopoldina, also der Nationalen Akademie der Wissenschaften, deren Reputation vor allem durch das unselige Agieren ihres Vorsitzenden Gerald Haug in der Corona-Zeit schwersten Schaden genommen hat. Unvergessen bleiben seine Grenzüberschreitungen aus dem Herbst 2021, als er sich und die Leopoldina mit Forderungen nach Impfpflicht und Ausweitung der desaströsen 2G-Regelungen an die Spitze der Impfhetzer gesetzt hat.

Und Journalismus, so möchte man ebenfalls unter dem Eindruck der Corona-Jahre ergänzen, ist das Gegenteil von FAZ und Süddeutscher Zeitung. Diese einst anerkannten Medien sind in der Pandemie tief gefallen. Sie haben sich in Sachen Seriosität komplett entzaubert und Hetz-Journalismus übelster Machart abgeliefert. Von den öffentlich-rechtlichen Hetzern bei ARD und ZDF ganz zu schweigen.

Vorsätzliche Täuschung der Justiz

Das Bundesverfassungsgericht stand schon vor den Corona-Jahren im Verdacht, rotrüner Politik zu dienen, da seine Richter im rotgrün dominierten Parteienklüngel ausgewählt werden, unter Ausschluss der ungeliebten zweitgrößten Partei. Mit den bürgerfernen Urteilen zu Klima und Corona haben diese Richter bewiesen, dass sie sich als willige Diener des Parteienstaats gefallen, der sie ausgewählt hat, und dass sie den Bürgerstaat wohl abgeschrieben haben.

Der skandalöse Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021 sticht dabei besonders hervor. Er ist das Ergebnis offensichtlicher Rechtsbeugung, da die Berichterstatterin Gabriele Britz ihre Ehepartnerschaft mit einem grünen Klima-Aktivisten entgegen den richterlichen Offenlegungspflichten offenbar gezielt verheimlicht hat.

Auch während der verfassungswidrigen Beschneidung der bürgerlichen Freiheitsrechte in den Corona-Jahren waren nicht nur die normalen Gerichtsbarkeiten, sondern insbesondere das Bundesverfassungsgericht für den Bürger, der Schutz vor staatlichen Übergriffen suchte, unbekannt verzogen. Das zeigte sich insbesondere mit den Beschlüssen zur „Bundesnotbremse I“ vom 19. November 2021 sowie zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht vom 27. April 2022.

Spätestens seit Vorliegen der RKI-Files können sich die Verfassungsrichter allerdings darauf berufen, dass sie von Seiten der Bundesregierung gezielt fehlinformiert und getäuscht wurden. Sie sollten diese Chance nutzen, um wieder Vertrauen in ihre Unabhängigkeit und ihre Bereitschaft herzustellen, den Wesenskern des Grundgesetzes zu verteidigen, nämlich den Schutz des Bürgers vor staatlichen Übergriffen.

Die Verfassungsrichter sollten daher aus den RKI-Files die Erkenntnis mitnehmen, dass die Regierenden bereit waren, Wissenschaft zu missbrauchen und den Wissenschaftsbegriff zu pervertieren, um elementare Grundrechte außer Kraft zu setzen. Im Ergebnis wurde zum Beispiel über eine wissenschaftlich von Anfang an unsinnige Maskenpflicht im Freien das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit ausgehebelt. Es war das unverzeihliche Extrem einer Herrschaft des Unrechts, das niemals richterliche Bestätigung hätte erfahren dürfen.

Deutschlands Corona-Bilanz ist verheerend

Das regierungsseitige Mantra, Deutschland sei „insgesamt gut durch die Pandemie gekommen“, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Es wirkt beinahe so, als würde man behaupten, Deutschland sei insgesamt gut durch den Zweiten Weltkrieg gekommen.

Tatsächlich dürfte Deutschland bei Einbeziehung sämtlicher relevanter Parameter der Pandemiebewältigung die rote Laterne im Nationen-Ranking haben. Diese verheerende deutsche Bilanz ist kein Produkt irgendwelcher Unwägbarkeiten des Schicksals im Allgemeinen oder der Pandemie im Besonderen, sondern die eindeutige Folge restlosen politischen Versagens.

Dies zeigt sich besonders im Vergleich mit Ländern wie Schweden oder der Schweiz. Nicht nur, dass Deutschland eine höhere Corona-Mortalität als diese Länder hat. Besonders gravierend sind die um Dimensionen größeren wirtschaftlichen, psychosozialen und gesellschaftlichen Kollateralschäden der auf die gezielte Vergewaltigung von Wissenschaft und Grundgesetz zielenden Demagogie einer fachlich und moralisch totalversagenden politisch-medialen Elite.

Außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss ist unabdingbar

Seit Veröffentlichung der RKI-Files gibt es auf Bundes- und Landesebene aus Parlamenten und sogar Regierungen die Forderung, die politischen Entscheidungen der Corona-Jahre in entsprechenden Kommissionen aufarbeiten zu lassen. Selbst parlamentarische Untersuchungsausschüsse werden nicht mehr ausgeschlossen. Doch ein solcher parlamentarischer Untersuchungsausschuss wäre nur eine Neuauflage des Täuschens, Tricksens und Verschleierns durch dieselben Beteiligten. Es gäbe keinerlei echtes Erkenntnisinteresse, sondern nur das verzweifelte Bemühen, die Hände in Unschuld zu waschen.

Die Aufarbeitung des Corona-Unrechts darf daher keinesfalls den Parlamenten und schon gar nicht dem Deutschen Bundestag überlassen bleiben, der zu einem wesentlichen Exponenten des bürgerfernen Parteienstaates geworden ist. Eine alte Weisheit lautet: „Wenn du den Sumpf trockenlegen willst, darfst du nicht die Frösche fragen.“ Also: Wenn man den Corona-Sumpf aufarbeiten will, darf man nicht Regierung und Bundestag fragen. Die Corona-Aufarbeitung muss daher zwingend außerparlamentarisch erfolgen. Dies gilt gerade auch mit Blick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen regierungsseitigen Fehlverhaltens.

Strafrechtliche Konsequenzen sind unvermeidlich

Es ist richtig: Strafrechtliche Konsequenzen stehen nicht im Zentrum der Aufarbeitung. Vielmehr geht es darum, sicherzustellen, dass sich die schrecklichen Verfehlungen demagogisch verirrter Entscheidungsträger nie mehr wiederholen. Aber genau hierbei helfen auch strafrechtliche Ermittlungen.

Einer der möglichen Tatbestände im Zusammenhang mit dem Corona-Unrecht ist die Volksverhetzung. §130 StGB beschreibt den Straftatbestand glasklar: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen Teile der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Viele sind in diesem Sinne tatverdächtig aufgrund ihrer Äußerungen und Aktionen in den Corona-Jahren. Von Politikern und Parlamentariern über Bischöfe der katholischen und evangelischen Kirche bis hin zu den unsäglichen medialen Hetzern bei ARD, ZDF oder FAZ.

Wer Augen hatte zu sehen, der konnte sehen

Seit den 68ern gefallen sich junge Generationen darin, ihre Altvorderen zu fragen, was diese denn in der Nazi-Zeit so alles getrieben hätten. Warum sie nicht aufgestanden wären gegen das offensichtliche Terror-Regime. Warum sie eventuell sogar mitgemacht hätten an der Hetze gegen Verfemte und Oppositionelle.

Und jetzt, spätestens mit den RKI-Files, der Schock: Diejenigen, die immer mit dem Wissen von heute ihre Ahnen gefragt haben, was sie von 1933 bis 1945 gemacht hätten, wollen plötzlich nicht mehr gefragt werden, was denn sie selbst von 2020 bis 2022 gemacht haben. Und wie leicht kommt es ihnen heute über die Lippen: „Das haben wir doch nicht gewusst“. Obwohl es jeder hat wissen können, wenn er nur selbst gedacht und das Denken nicht an verantwortungslose Politiker und Medien delegiert hätte.

Denn wer Augen hatte zu sehen, der konnte sehen. Und so gab es die Querdenker um Michael Ballweg, den der Corona-Staat gezielt zur Strecke bringen wollte. Es gab die hervorragend besetzte Thesenpapier-Autorengruppe um Matthias Schrappe, die von Anfang an die desaströse Krisen-Kommunikation der Bundes- und Landesregierungen angeprangert hat. Es gab alternative Medien wie die Achse des Guten und Tichys Einblick, die gegen massivsten Widerstand die Fackel der Freiheit und der Aufklärung hochgehalten haben. Es gab selbst unter den Virologen neben schrecklichen Hetzern und „Modellierern“, die sich aus purem Narzissmus bei Politik und Medien mit unmenschlichen Maximalforderungen anbiederten, auch differenzierte Köpfe wie Alexander Kekulé und Hendrik Streeck.

Und es gab mutige Künstler wie den großartigen Jan Josef Liefers, der schon gegen das totalitäre SED-Regime aufgestanden war. Wie erbärmlich sehen gegen einen solchen Liefers Alt-Linke wie Niedecken oder Campino aus, die schon in der Vergangenheit außer Gratismut nichts zu bieten hatten und bei der ersten wirklichen autoritären Herausforderung, wie es die Corona-Jahre waren, kläglich versagt und sich in den Dienst der Hetzer und Ausgrenzer gestellt haben.

„Nie wieder“ war von 2020 bis 2022

„Nie wieder ist jetzt!“ Die meisten der Demonstranten, die diese Forderung in den letzten Wochen im links-grünen Kampf gegen die parlamentarische Opposition auf den Straßen skandiert haben, waren in den Corona-Jahren bereit, andere auszugrenzen, zu diffamieren und zu entmenschlichen. Dabei ist doch die wichtigste Erkenntnis aus unserer spezifisch deutschen Vergangenheit, dass es bei der totalitären Bedrohung, der wir alle erliegen können, gar nicht um eine bestimmte politische Richtung geht, also um „rechts“ im NS-Deutschland oder um „links“ im SED-Regime.

Denn warum war die gesellschaftliche Spaltung und die Diffamierung von Kritikern der Regierungsnarrative in Deutschland weitaus heftiger als in allen anderen Ländern? Wir sind offenbar ganz grundsätzlich stärker als andere Nationen bereit, uns in den Dienst einer Ideologie zu stellen und Kritiker dieser Ideologie – und damit den demokratischen Diskurs an sich – mit allen Mitteln zu bekämpfen. „Nie wieder“ war von 2020 bis 2022! Und da haben alle Parteien in Regierungsverantwortung versagt – samt ihrer Unterstützer. Das ist die bedrückende, aber gleichzeitig auch erhellende Erkenntnis aus den Corona-Jahren.

Die Lehren für künftige Herausforderungen

Die RKI-Files führen uns also die wichtigsten Botschaften aus den Corona-Jahren nochmals vor Augen. Diese Botschaften sind gleichzeitig die Lehren, die unsere demokratische Gesellschaft für die Bewältigung künftiger Herausforderungen in Erinnerung behalten muss:

  • Auch im demokratischen Deutschland nutzen Politiker und Regierungen äußere Bedrohungen für totalitäre Eskalationen.
  • Gezielte Desinformation, Unterdrückung abweichender Meinungen und Hetze gegen Andersdenkende sind dann Teil des Handelns von Regierungen und der sie stützenden Medien.
  • Die Grundrechte der Bürger stehen in solchen Zeiten mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts zur beliebigen Disposition der Regierenden.
  • Wachsamkeit, Misstrauen und Skepsis gegen Regierungshandeln und staatliche Empfehlungen ist daher erste Bürgerpflicht.

Dr. med. Lothar Krimmel, Facharzt für Allgemeinmedizin, war von 1992 bis 2000 Geschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und damit ein genauer Kenner des Medizinsektors.

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