Tichys Einblick
Lockdown-bedingte Gesundheitskrisen:

Zunahme bei Krebs, Herzinfarkten, Diabetes und psychischen Erkrankungen

Bedingt durch den Lockdown wurden in Deutschland ab dem 14. März 2020 alle nicht-wesentlichen Konsultationen, Tests und Eingriffe vorübergehend eingestellt - mit verheerenden Folgen, wie sich nun immer deutlicher offenbart. Ein Beitrag von Dr. Dr. Jörg M. Schierholz

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Die Weltgesundheitsorganisation schlug schon 2021 Alarm: Vor allem im Lockdown blieben Krebserkrankungen zu oft unentdeckt und unbehandelt. „Die Auswirkungen der Pandemie auf Krebs in der Region sind nichts weniger als katastrophal“, sagte der Direktor des WHO-Büros für Europa, Hans Kluge, am letztjährigen Weltkrebstag. Während des Kampfes gegen COVID-19 sei es bisher überaus herausfordernd gewesen, den Fortbestand der Krebsbehandlung zu gewährleisten. „Durch die Pandemie braut sich eine Krise nicht-übertragbarer Krankheiten, einschließlich Krebs, zusammen.“

Krebs ist nach kardiovaskulären Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache weltweit. Jeder fünfte Mensch erkrankt in seinem Leben daran, acht Prozent der Männer und elf Prozent der Frauen versterben. Die Zahl von knapp 20 Millionen Krebsdiagnosen 2020 werde bis 2040 wahrscheinlich um 47 Prozent steigen, so die WHO. Grund seien unter anderem das Bevölkerungswachstum, die höhere Lebenserwartung und bessere Diagnosemöglichkeiten. Es stiegen aber auch Risikofaktoren wie Übergewicht und Bewegungsmangel, inzwischen die häufigste Ursache für Tumorerkrankungen. Brustkrebs hat den Lungenkrebs im vergangenen Jahr als häufigste Krebsart abgelöst, gefolgt von Darm- und von Prostatakrebs. Überraschenderweise weisen vor allem Länder in Südeuropa wie Zypern, Malta und Spanien gerade im Vergleich zu Ost- und Mitteleuropäern die niedrigsten Krebsraten auf.

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Bedingt durch den Lockdown wurden in Deutschland ab dem 14. März 2020 alle nicht-wesentlichen Konsultationen, Tests und Eingriffe vorübergehend eingestellt, und die Zahl der Krebs-Neudiagnosen ging um fast die Hälfte zurück, beim aggressivsten Typ des Hautkrebses, dem Melanom, um 61%. Ähnlich sah es in den Niederlanden und Belgien aus, im nationalen Onkologie-Zentrum von Kirgistan waren es sogar um die 90 Prozent.

In großen Zentren wie der Universitätsklinik in Montreal gingen in der 1.Corona- Welle von März–Juni 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum in 2019 die Koloskopien um 82 % zurück, welches in der Aufholperiode von Juli und August 2020 nur zum Teil ausgeglichen werden konnte. Durch die Verzögerungen wurden Tumore eher im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert mit z.T. desaströsen Folgen für den Patienten. Ist beispielsweise ein weit distal gelegener Rektumtumor noch nicht zu groß, lässt er sich komplett entfernen, ohne den Schließmuskel zu zerstören. Gelingt dies nicht, muss der Patient auf Dauer mit einem Stoma leben. US-amerikanischen Chirurgen verglichen die Ergebnisse von Patienten mit einem Rektumkarzinom, die vor der Pandemie (März 2016–Februar 2020) operiert worden waren, mit jenen die während der COVID-Ära (März 2020 bis Februar 2021) versorgt wurden. Die Rate der lokal fortgeschrittenen Karzinome und der metastasierten Tumore sowie der Chemotherapien war deutlich erhöht. Auch der Anteil weiter fortgeschrittener, aggressiver oder bilateral auftretenden Mammakarzinome war insbesondere bei älteren Patientinnen deutlich erhöht. Laut Schätzungen des englischen National Health Service (NHS) werden verspätete Diagnosen und Behandlungen in den nächsten Jahren in Großbritannien zu einem Anstieg der Darm- und Brustkrebstoten von schätzungsweise um 15 beziehungsweise neun Prozent führen. Für Deutschland ist eine ähnliche Steigerung zu erwarten. www.aerzteblatt.de/lit2422

Die Folge links-grünen Mehrfachversagens
Chaos in den Kinderkliniken
Diabetiker haben ein erhöhtes COVID-19-Infektionsrisiko, erkranken schwerer und verzichteten häufig aus Angst vor einer Infektion im Lockdown auf Kontrolluntersuchungen, Therapieanpassungen oder Interventionen. Verzögerungen bei der Diagnostik und Therapie des diabetischen Fußsyndroms beispielsweise haben eine infauste Langzeitprognose. Auch Dialysepatienten gingen wesentlich seltener zur Blutwäsche- der Krankenhaus- und Medizintechnik-Konzern Fresenius berichtete über einen Einbruch bei den Dialysebehandlungen. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) stellte fest, dass während des Lockdowns mehr Schlaganfälle tödlicher verliefen als in den Jahren zuvor. Eine umfassende Analyse von Daten aus 158 Studien in 50 Ländern von der University of Leeds in Großbritannien zeigte einen Rückgang an diagnostischen und therapeutischen Kathetereingriffe am Herzen, weniger Untersuchungen zur Abklärung von Herzrhythmusstörungen, weniger Herzklappenoperationen, Implantationen von Herzschrittmachern und Bypass-Operationen. Diese Befunde wurden durch eine globale Umfrage der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie erhärtet: Die Folgen der verzögerten Behandlung wären verbleibende Schäden am Herzmuskel, Herzinsuffizienz und damit eine höhere Sterblichkeit.

Sowohl die Häufigkeit von Angstsymptomen, Depressionen und Essstörungen stieg gewaltig; die Weltgesundheitsorganisation (WHO) konstatierte Lockdown-bedingt zunehmende Raten an Einsamkeit, schädlichem Alkohol- und Drogenkonsum sowie selbstschädigenden oder suizidalen Verhalten. Laut RKI führten die Schulschließungen in Deutschland „zu mehr familiären Spannungen, mehr Partnerschaftskonflikten und häuslicher Gewalt“. Zugenommen hatten Schmerzzustände sowie Schlafstörungen, Entwicklungsverzögerungen in der Motorik, intensiver Medienkontakt und eine resultierende verschlechterte Fitness. Bei Jungen und Mädchen verdreifachte sich die Rate der Suizidversuche im zweiten Lockdown ; verursacht zumeist durch Medikamentenintoxikationen (Pediatrics doi: 10.1542/peds.2021-055973).

Umstrittene Meinungsfreiheit
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Der Lockdown war maßgeblich politisch intendiert. So berichtete der staatliche Nachrichtensender BBC über ein Interview vom früheren Schatzkanzler und jetzigen Premierminister Rishi Sunak, dass es Ministern es untersagt worden sei, über Kollateralschäden (trade-offs) der Lockdowns zu diskutieren; es sei falsch gewesen, eine staatliche Angstkampagne zu fahren. Das Regierungs-„Script“ sei ein ungerechtfertigtes Angst-Narrativ gewesen („the fear narrative“). Die vorgegebene Leitlinie sei gewesen: „Es gibt keine negativen Auswirkungen“. Interne Kritik in dem wissenschaftlichen Beratungsgremium (SAGE) sei nicht veröffentlicht worden. In Deutschland gibt es solche Aussagen bislang nicht.

Die Lockdown-bedingte soziale Isolation erhöhte nachweislich die vorzeitige Sterblichkeit, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine deutliche durchschnittliche Gewichtszunahme sowie einen kognitiven Verfall. Hunderte Millionen Menschen leben nun als Folge der Lockdowns in Afrika und Asien zusätzlich in Armut, tausende sterben täglich Hunger. Die Entwicklung des globalen Südens wurde um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Der Fernsehsender 3sat hat eine sehenswerte Dokumentation über die weltweiten Kollateralschäden rund um den Lockdowns gesendet.