Tichys Einblick
Geschichten aus dem Lockdown

Leben und Sterben in Corona-Zeiten

Ob an Covid oder anderen Krankheiten - Viele Menschen sterben in dieser Pandemie völlig einsam. Muss das sein? Auszüge aus dem persönlichen Corona-Tagebuch eines TE-Lesers.

Zwei Fälle, die mich berührten: Im Umfeld meiner Tochter feiert eine Demente ihren hundertsten Geburtstag. Kein Familienmitglied darf kommen, Isolation nach Vorschrift. Dafür stoßen Pfleger mit ihr kurz an. Das besondere Ziel einsam erreicht – am nächsten Tag ist sie tot.

Ich erfahre, dass die Mutter einer Bekannten ebenso einsam im Heim verstarb. Nur eine Pflegekraft soll daneben gesessen haben, damit sie nicht ganz allein ist. Ob sie oft auf die Uhr schauen musste bei dem engen Arbeitsplan?

Mein Vater stirbt

Mein Vater ist deutlich über 90 und baut körperlich langsam, aber sicher, ab. Uns wird klar, dass es wohl sein letztes Weihnachten mit uns sein wird. Es sind die Rituale, die ihm eine Stütze sind. So geht er mit mir einmal die Woche einkaufen. Das strengt manchmal mehr, manchmal weniger an – aber es ist seine Messlatte, es zu schaffen, und nebenbei eine gute Gelegenheit alte Bekannte zu treffen.

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Im März ist diese Stütze und Messlatte weg. Zum einen aus der geschürten, in seinem Zustand auch berechtigten, Angst vor einer Infektion. Mit Maske im Laden einzukaufen ist auch nicht optimal, Bekannte ebenfalls eher weniger da. Wir pflegen Sicherheitsabstand, fahren aber ab und an auch einmal raus in den Frühling. Seine Welt ist nun auf Wohnung und Garten eingeschränkt. Wir können nun einen rapiden Verfall seiner Konstitution beobachten. Ende des Frühlings stirbt er friedlich im Kreis der Familie.
Die Beerdigung meines Vaters

Mein Vater war sehr beliebt, viel beliebter als es die Coronabedingungen zulassen. Einige gute Freunde melden sich, dass sie sehr gerne dabei wären, aber wissen, dass es allein durch die Familie zu viele werden und sagen ab, um meiner Mutter ein unangenehmes Selektieren zu ersparen. Wir entscheiden uns für eine Trauerfeier am Grab, egal wie das Wetter wird, damit möglichst viele Abschied nehmen können. Alles wird optimal hergerichtet, Freunde reisen auch sehr weit an. Einige suchen ihre Lücke in den Vorschriften und nutzen z.B. einen Spaziergang zum Familiengrab, um zufällig weiter ab beiwohnen zu können und Abschied zu nehmen. Selbst sein geliebter Chor findet eine Lösung für eine Abschlussvorstellung. Es gibt ängstliche Abstandhalter und tief Bewegte, von denen einige eine helle Freude für Blockwarte wären.

Insgesamt hatten wir Glück, das Wetter spielt hervorragend mit und es wurde eine, den Umständen entsprechend, schöne Beerdigung.

Wieder meine Tochter

Sie muss mit ihrem Kind über mehrere Nächte in eine entfernte Uni-Klinik. Alles läuft gut, aber nach der Rückkehr sei nun zwingend ein Test notwendig, sagt der Arbeitgeber. Beim Arzt erfährt sie, dass sie die ca. 100 € selber zahlen soll. Nach vielem hin und her soll sie zum örtlichen Testzentrum, die sind überlastet, deswegen zu einem anderen Arzt. Dort erfährt sie telefonisch, dass das Gesundheitsamt da falsche Auskunft erteile. Am Ende wird sie doch dort getestet, fällt aber dadurch nun ungeplant 3 Tage aus, als wenn es in ihrem Bereich nicht genug zu tun gäbe.

Herbsturlaub in Polen

Auch hier gelten strenge Regeln. Eine Bekannte kam zu Beginn der Maßnahmen aus Deutschland und musste bei Ankunft sofort in strenge Quarantäne, durfte die Wohnung 14 Tage nicht verlassen, Essen durch Angehörigen vor die Tür.

Ich beobachte, dass man auf dem Markt nur im überdachten Bereich Maske tragen soll, klappt aber nur begrenzt – ohne Probleme. Ich besuche einen Verein, der einen Wettkampf austrägt. Alles recht normal. Ich werde eingeladen zum gemeinsamen Essen. Niemand trägt Maske, normale Sitzordnung.

Insgesamt ist man trotz der Maßnahmen auf dem Lande entspannt. Ich habe das Gefühl, die letzten Blockwarte sind noch in lebendiger Erinnerung. Man achtet mehr in letzterem Punkt aufeinander.

Verluste im Verein durch Maßnahmen

Überall wird Hilfe versprochen. Viele Vereine verpachten ihr Vereinsheim, brauchen die Einnahmen, um Haus und Sportstätten zu erhalten. Die Wirte machen es oft eher nebenberuflich, viele mit großen Engagement. Die Pacht eintreiben verbietet sich, weil solche Wirte sofort aufstecken müssten. Leider bietet kein Förderprogramm eine Lösung für diese Situation. Nach sehr viel Recherche, Diskussion und etwas Glück im Kostenverlauf findet sich in letzter Sekunde eine Lösung.

November Lockdown light in meiner Stadt

Ich lese einen Bericht über Ansteckungsquellen mit Link zu den Daten des RKI. Aus Neugier rechne ich einmal für meine Stadt nach:

Bei rund 30.000 Einwohnern und 50 positiv Getesteten in 7 Tagen ergibt sich eine Inzidenz von rund 166. Ansteckungsquelle Verein laut RKI 0,6 %, das macht dann 0,9 Personen in drei Wochen nicht infiziert. Für Gaststätten ergeben sich sogar 1,2 Personen, aber in 4 Wochen. Mit anderen Worten: Riesenschaden bei den Gastwirten, dafür 2 Personen im November vor Ansteckung oder besser test-positiv bewahrt.

(…)

Tod des nächsten Familienmitglieds

Geschichten aus dem Lockdown
"Es sind meine Kinder, die das bezahlen müssen"
Nach dem Tod seiner Frau wird bei dem Vater meiner Schwägerin Leberkrebs festgestellt. Es geht mit ihm zuhause schnell zu Ende. Um dem starken Leid zu entgehen, möchte er die letzten Momente im Schlaf verbringen. Die ganze Familie reist mit allen Enkeln an und sie nehmen am Sterbebett gemeinsam Abschied. Das geht in den Niederlanden im Dezember und verrückt ist die Familie auch nicht. Sicherheitshalber werden alle vorher getestet – es gibt also Lösungen gegen einsames Verrecken. Er verstirbt friedlich am folgenden Tag.

An der Beerdigung dürfen dort viel mehr teilnehmen als bei uns. Es wird ein würdevoller Abschied, bei dem alle auf die Sicherheit der anderen achten, meines Bruders Familie inklusive Test danach.

Weihnachten

Wir leben hier alle dicht beieinander, sehen und besuchen uns regelmäßig. Nicht alle zugleich, aber immer reihum. Es macht absolut keinen Sinn, ausgerechnet Heiligabend getrennt zu verbringen. Durch den Tod unseres Vaters könnte dies ein letztes Weihnachten in der Familie für unsere ebenfalls 90jährige Mutter sein. Auf alle Fälle ist es das erste Weihnachten ohne Ehemann nach rund 70 Jahren. Hier auch noch die Familie einzuschränken, da sind wir uns einig, ist nicht zu verantworten. Es wird für unsere Mutter ein den Umständen entsprechend schönes Weihnachtsfest. Im Ernstfall hätten wir die Verhältnismäßigkeit für den Einzelfallprüfen lassen.

Aus dem Online-Unterricht

Eine Mutter zweier Kinder wird im Home-Office unterrichtet. Sie hat zwei kleine Kinder, die zuletzt wieder nicht in den Kindergarten durften. Die Großmutter wohnt um die Ecke und holt sie regelmäßig zu sich, damit die Mutter ungestört lernen kann. Sie weiß nun nicht, wie es mit der neuen Regel wird, wenn nur ein Kind zur Mutter dürfte. Ich schlage vor zu prüfen, ob dann die Mutter nicht zu ihr kommt, dass müßte ja gehen. Stimmt, aber dann würden die Kinder doch Mama immer wieder stören. Am Freitag kommt Entwarnung: Notversorgung im Kindergarten, diesmal sogar für Mütter in Umschulung.

Ich muss an die letzte derartige Situation bei meiner Tochter denken. Sie brauchte eine Tagesmutter, da Notversorgung nur für Eltern in systemrelevanten Berufen. Ihr Partner ist froh noch Arbeit zu haben, aber er arbeitet nicht systemrelevant, deswegen bekommt das Kind keinen Platz in der Notversorgung.

Dies ist nur ein Teil meiner seltsamen Erlebnisse mit Corona und Lockdown.


Der Name des Lesers ist der TE-Redaktion bekannt.

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