Tichys Einblick
RKI-Files als Zäsur

Lauterbach leugnet Weisungsgebundenheit des RKI während Corona

Die Protokolle der Helfershelfer vom RKI lassen erahnen, was noch in der Zentralabteilung des Kanzleramtes lagert. Und sie belegen eine hierarchische Befehlsstruktur, bei der wir bislang nur wissen, wer ganz unten stand: die Bürger. Was wir hingegen bis heute nicht wissen ist, wer von ganz oben die Befehle gab? Von Saskia Ludwig

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und RKI-Präsident Lothar Wieler, Berlin am 25. Februar 2022

IMAGO / Chris Emil Janßen
Nach Veröffentlichung der mehr als 200 schriftlichen Protokolle des Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) von Januar 2020 bis April 2021 sagte der Sozialdemokrat Karl Lauterbach (seit 2021 Gesundheitsminister): „Das RKI hat unabhängig von politischer Weisung gearbeitet.“ Na klar! Und die Erde ist eine Scheibe.

Warum kam von den anwesenden Journalisten nicht postwendend die Rückfrage an den Minister, der das Coronavirus-Narrativ wie kein zweiter versucht hat zu steuern, ob das RKI im Sinne des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber dem Bundesgesundheitsminister weisungsgebunden ist? Wem von den anwesenden Berichterstattern das Grundgesetz zu staubig gewesen ist, der hätte auch einen Blick nach Brandenburg werfen können. Hier hätten die staatlich subventionierten Leitmedienvertreter live erlebt, wie das RKI auch weiterhin „abhängig“ von politischer Weisung arbeitet.

Der ehemalige RKI-Chef Lothar Wieler, dessen Gesicht vielen durch die endlosen Pandemie-Pressekonferenzen noch sehr präsent ist, kam in die Provinz nach Potsdam. Jener „Follow the Science-Tierarzt“ war als Zeuge im Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag geladen. Unter der Überschrift „Untersuchung der Krisenpolitik der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und der Erkrankung COVID-19“ sollten auch seine Erlebnisse detailliert erfragt werden. Doch da das RKI abhängig von politischer Weisung arbeitet, hatte Herr Wieler (mittlerweile beim Hasso-Plattner-Institut tätig) einen Aufpasser aus dem Bundesministerium für Gesundheit mitgebracht, an deren Spitze bekanntlich der Sozialdemokrat Karl Lauterbach steht.

Zudem wurde bei seiner Vernehmung im Brandenburger Landtag eine spezielle „Aussagegenehmigung“ für den ehemaligen RKI-Chef vom Bundesministerium für Gesundheit ausgestellt. In diesem dreiseitigen BMG-Pamphlet stand exakt, worüber der Zeuge Wieler sprechen durfte und welche Punkte alle verboten waren, die nicht von den Abgeordneten im U-Ausschuss abgefragt werden durften. Also ein klassischer Maulkorb für die Legislative! Und es kam noch besser.

Diese drei No-Go-Seiten hatten die Abgeordneten des Brandenburger Landtages am Vorabend der Befragung aus dem Ministerium von Herrn Lauterbach zugeschickt bekommen. Auch zu diesem absurden Prozedere kam die berechtigte Nachfrage von „Alternativmedien“, wie die dreiseitige Aussagegenehmigung im Detail denn aussehe? Antwort: auch geheim. Und so wurde es den Landtagsabgeordneten verwehrt, beispielsweise eine Kopie in dieser Zeitung zu veröffentlichen. Begründung: „Es sei ein Privatdokument.“ Aber damit immer noch nicht genug!

Da Herr Lauterbach seinem ehemaligen Weisungsbefohlenen Wieler nicht einmal zutraute, die wenigen Dinge zu beantworten, die nicht in den drei No-Go-Seiten standen, wurde aus dem Bundesgesundheitsministerium ein Aufpasser an seine Seite gestellt. Oder besser gesagt, er nahm direkt neben Herrn Wieler Platz: Heiko Rottmann-Großner. Ein Gesicht, welches man nicht aus den Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kennt. „Ein klassischer Täter aus der zweiten Reihe“ raunte es damals im Saal. Der Leiter der „Unterabteilung 61 – Gesundheitssicherheit“ fing in der Befragung an, auf Zetteln zu schreiben und sie dem Zeugen Wieler zuzuschieben. Erst nach mehrfacher Intervention konnte dieses Schauspiel beendet werden, welches die Abhängigkeit des RKI von politischen Weisungen in abstruser Form veranschaulichte.

Nach der Veröffentlichung der mehr als 200 schriftlichen Protokolle des Krisenstabs des RKI wird es Zeit, die noch viel wichtigeren „politischen Protokolle“ zu veröffentlichen. Bislang gilt hier: Alles „Verschlusssache“. Was haben die Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten in ihren „Magna Mortalis-Runden“ wirklich besprochen? Stimmen beispielsweise Aussagen einer Frau Schwesig, wie: „Christian Drosten hat uns die Schulschließungen empfohlen?“ Welche Fachgesellschaften wurden von Merkel und Co. angehört?

All die Protokolle der Runden der Chefs der Staatskanzleien (CdS) und der Beratungen von Merkel mit den Ministerpräsidenten müssen der Öffentlichkeit vollständig zugänglich gemacht werden. Nicht nach jahrelangen Gerichtsprozessen, wie bei den Protokollen vom Krisenstab des RKI, sondern heute. Die Zentralabteilung des Kanzleramtes hat Protokolle zur „hausinternen Verwendung“ erstellt. Das Haus steht aber nicht nur in der Willy-Brandt-Straße 1 in Berlin, sondern es heißt Bundesrepublik Deutschland. Deshalb haben alle Bürger ein Recht darauf zu erfahren, was von den Verantwortlichen gesagt wurde. Hierzu gibt es bereits einen Richterspruch und er stammt aus dem Jahr 1988 vom Bundesverwaltungsgericht. Die vollständige Dokumentation ist „Grundlage für die parlamentarische Kontrolle“ exekutiven Handelns. Diesem Urteil ist nichts hinzuzufügen.

Die RKI-Protokolle stellen eine Zäsur dar. Wenn Politiker jetzt noch beschwichtigend die Hände hochhalten und mantraartig in die Mikrofone säuseln, man solle doch nach vorn schauen, haben sie die Brisanz der gesellschaftlichen Debatte immer noch nicht erkannt. Die Corona-Zeit hat uns allen vor Augen geführt, wie schnell Grundrechte, persönliche Freiheiten und Menschlichkeit vollständig verschwinden. Die freie Meinungsäußerung wurde quasi über Nacht aufgegeben. Ohnmächtig stand man einer allmächtigen Exekutiven gegenüber, die jeden Tag das Angstlevel von einem Superlativ zum nächsten hoch justierte.

Die Protokolle belegen eine seit 1945 nie dagewesene hierarchische Befehlsstruktur, wo wir bislang nur wissen, wer ganz unten stand, nämlich die Bürger. Was wir hingegen bis heute nicht wissen ist, wer von ganz oben die Befehle gab? Wollen wir solch eine undemokratische Machtstruktur nicht als dauerhaftes Gesellschaftsmodell in Deutschland etablieren, muss diese Struktur lückenlos offengelegt werden. Auch dank unermüdlich arbeitender freier Medien ist nun ein Anfang gemacht!


Saskia Ludwig (CDU) ist Abgeordnete des Brandenburger Landtags und war von Dezember 2019 bis Oktober 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie arbeitet im Corona-Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtages mit.

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