Tichys Einblick
Geld versickert im System

Griechenlands Paten: Fass ohne Boden

Was immer aus welchen Gründen an Geld und Sachleistungen nach Griechenland geht, der vorgesehenen Verwendung wird es gar nicht oder nur in Bruchteilen zugeführt. Eine Darstellung von den Reparationen bis zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

© Milos Bicanski/Getty Images

Im Zweiten Weltkrieg war das Deutsche Reich neben Italien und Bulgarien zwischen 1941 und 1944 eine von drei Besatzungsmächten in Griechenland. In den Jahren unter deutscher Besatzung geschahen gerade nach dem Seitenwechsel der Italiener viele schreckliche Dinge. Dies steht außer Frage. Neben den vielen Kriegsgräueln trieb die Besatzungspolitik das wirtschaftlich ohnehin nicht leistungsfähige Griechenland in eine kaum kontrollierbare Inflation.

Als Athen 2015 wieder einmal kurz vor dem finanziellen Kollaps stand, forderte die griechische Regierung lauthals Reparationen von Deutschland. Neu war das Verlangen Griechenlands nach Wiedergutmachung zwar nicht, aber diesmal hatte eine griechische Sonderkommission die genaue Höhe der Forderung errechnet. Die Kommission bestand aus Mitarbeitern der griechischen Nationalbank und des Finanzministeriums. Diese hatten alle in griechischen Archiven zugänglichen Dokumente zusammengeführt und ausgewertet. Die Bundesrepublik Deutschland schulde demnach Griechenland 278,7 Milliarden Euro, verkündete der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas im April 2015 bei einer Parlamentssitzung. Diese stolze Summe beinhaltete auch eine „Zwangsanleihe“ in Höhe von 476 Millionen Reichsmark, deren Gegenwert man im Jahr 2015 auf 10,3 Milliarden Euro bezifferte. Griechenland wäre auf einen Schlag fast alle seine Schulden los gewesen.

Zwangsanleihe

Mit der Zwangsanleihe zog Athen ein As aus dem Ärmel. Keiner wusste Näheres darüber, aber täglich geisterte sie durch die Medien. Ein jüngst erschienener Aufsatz des Mannheimer Historikers und Griechenlandexperten Professor Heinz Richter bringt nun Licht ins Dunkel und lässt die griechische Argumentation in sich zusammenbrechen: Es sind nicht nur alle Reparationsforderungen seit Jahrzehnten abgegolten, auch zeigen Richters Forschungsergebnisse, dass es nie eine Zwangsanleihe im eigentlichen Wortsinn gegeben hat. Das Wort „Anleihe“ suggeriert nämlich, dass es sich um einen Kredit handelt. Dieser Eindruck ist falsch.

Die Spurensuche führt ins Archiv des Auswärtigen Amtes in der Kurstraße 36 in Berlin-Mitte. Dort liegt unter der Signatur R 27320 ein Dokument aus den letzten Kriegstagen im Frühjahr 1945. In typisch deutscher Beamtenmentalität legte der deutsche Bankenkommissar Paul Hahn noch am 12. April 1945 einen Rechenschaftsbericht über seine vierjährige Tätigkeit in Griechenland vor. In diesem unfertigen Abschlussbericht der Reichsbank taucht auf S. 114 infolge einer mehrseitigen Rechnung der Satz auf: „Demzufolge würde sich die Restschuld, die das Reich gegenüber Griechenland hat, noch auf 476 Mio. RM belaufen.“

Bei dieser Summe handelt es sich aber nicht um einen Kredit, sondern um einen die Besatzungskosten betreffenden Rechnungsbetrag. Bei Besatzungskosten wird im Völkerrecht zwischen dem Unterhalt der Besatzungstruppen, die das besetzte Land leisten muss, und sonstigen Kosten (z.B. für Militäranlagen) unterschieden. Bei den 476 Millionen Reichsmark handelt es sich quasi um eine von deutscher Seite aufgestellte „offene Rechnung“, die die griechische Seite aber nie stellte. Viel interessanter ist allerdings, dass der Reichsbankbericht bisher nur selektiv ausgewertet wurde. Wie Professor Richter nun recherchierte, geben die 476 Mio. RM nur die Passiva wider. Dementsprechend heißt es in der Schlussbetrachtung auf S. 156:

„Die aufgeblähten Zahlen der griechischen Leistungen dürfen […] nicht über die grossen [sic!] keineswegs billigen Anstrengungen der […] Achsenmächte [das Deutsche Reich und seine Verbündeten; Anm. d. Verf.] zur Unterstützung Griechenlands hinwegtäuschen. Es wäre wertvoll, den Beitrag Griechenlands zur Kriegsführung der Achsenmächte und die materielle Hilfe, die die Achsenmächte Griechenland während der Dauer der Besetzung zuteil werden liessen [sic!], bilanzmäßig gegenüberzustellen. Bedauerlicherweise muss es diesen Ausführungen versagt bleiben, die deutschen Passiva zahlenmäßig durch die entsprechenden Aktiva zu ergänzen, weil hierfür die Unterlagen noch ausstehen. Auch ohne einen ins einzelne gehenden Nachweis steht ausser [sic!] Zweifel, dass das Reich durch die Lebensmittellieferungen aus seinem eigenen Versorgungsraum, durch den Export von deutschen Waren, die z.T. im Reich Mangelgüter waren, und durch Zurverfügungstellung von Gold aus den beschränkten Eigenbeständen sein Möglichstes getan hat, die Lage in Griechenland zu erleichtern.“

Mit diesen Sätzen endet der Bericht. Aus heutiger Sicht mutet der Abschlussbericht skurril an. Drei Woche nach seiner Abgabe kapitulierte die Wehrmacht, die NS-Terrorherrschaft implodierte. Natürlich ließen die Reichsbanker ihr Schaffen in ihrem Bericht im bestmöglichen Licht erscheinen; allein aus diesem Grunde ist er schon tendenziös. Die Frage nach der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit wird erst gar nicht gestellt.

Es war wohl eine Mischung aus „Glauben an die Wunderwaffe“ und preußischer Beamtenmentalität, die dem Reichsbanker Mitte April 1945 (!) die Hoffnung gaben, er könne seinen unfertigen Bericht mithilfe seinerzeit nicht mehr zur Verfügung stehender Unterlagen fertigstellen. Die Wehrmacht hatte bereits im Herbst 1944 ihren Rückzug aus Griechenland angetreten. Vier Tage nach Abgabe des Reichsbankberichts begann am 16. April 1945 die Schlacht um Berlin mit dem Angriff der Roten Armee auf die Seelower Höhen.

Als Historiker wie auch als Politiker begibt man sich unweigerlich auf vermintes Gelände, wenn es um die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland und Europa geht. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass historische Quellen selektiv ausgewertet werden, weil wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ins Weltbild oder zu den bisherigen Rechercheergebnissen passen. Es ist seit jeher die Aufgabe und der Verdienst der Wissenschaft, ohne Scheuklappen zu forschen. Es wirft ein schlechtes Licht auf alle Forscher, die – absichtlich oder nicht – den Bericht nicht gänzlich auswerten. Dass Professor Richter mittlerweile in Griechenland zur persona non grata erklärt worden ist und dort sogar für seine Forschungsergebnisse vor Gericht gestellt wurde, macht die ganze Sache noch bemerkenswerter. Immerhin wurde Richter freigesprochen, nachdem auch die griechische Akademie der Wissenschaftler lauthals protestierte.

Den Abschlussbericht kann übrigens jeder Bürger im Archiv des Auswärtigen Amtes einsehen. Auch mein Mitarbeiter hat dies in Vorbereitung auf diesen Artikel getan. Es genügt eine einfache Anmeldung über ein Onlineformular.

Pariser Reparationsabkommen 1946

Vom 9. November bis zum 21. Dezember 1945 fand in Paris eine Konferenz zur Klärung der Reparationsansprüche statt. Jeder Teilnehmerstaat sollte bei der eigens dafür gegründeten „Interalliierten Reparationsagentur“ die durch die deutsche Besatzung verursachten Schäden melden. Schon während der Konferenz bekam die griechische Delegation von britischer Seite den Hinweis, dass ihre Schätzung viel zu hoch gegriffen sei. Athen hatte z.B. die Auswirkung der Inflation mit einbezogen sowie die seit jeher hohen Zinsen vollkommen unberücksichtigt gelassen. Diese und einige anderen Faktoren führten dazu, dass die griechische Forderung achtmal so hoch war wie die gesamten griechischen Staatseinnahmen aus dem Jahr 1938.

Letztendlich wurden Griechenland mit dem Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946 Reparationsleistungen – größtenteils in Form von Demontagegütern – in einem geschätzten Wert von 30 Mio. Dollar zugeschlagen. Unter anderem wurde Griechenland die Demontage der Anlage Gross Kraftwerke AG Mannheim zugesprochen. Im Jahr 1948 wurden 30.000 Tonnen Güter nach Hamburg gebracht. Dort rotteten sie mangels Lagerhallen vor sich hin, bis 1950 die erste Tranche mit 11.000 Tonnen auf einem englischen Frachter in Richtung Piräus verschifft wurde, wo sie aber aus bisher ungeklärten Gründen nie ankam. Als es 1952 um die Verfrachtung der zweiten Tranche ging, stellte man fest, dass die Demontagegüter nur noch Schrottwert besaßen. Die Verschrottung übernahm wieder ein englisches Unternehmen, obwohl dieses nicht das höchste Gebot abgegeben hatte. Die Erlöse wanderten in die Taschen Einzelner. Der für die Güter verantwortliche griechische Kommissar Georgis Lavdas lebte infolge auf ganz großem Fuß und schmiss geradezu mit Geld um sich. Einem griechischen Journalisten, der in der Angelegenheit recherchierte, sollen gemäß der Meldung des Nachrichtenmagazins Spiegel vom Oktober 1952 Schläge von Botschaftspersonal angedroht worden sein. Als das griechische Parlament am 30. Dezember 1955 dem Abkommen fast zehn Jahre nach seiner Unterzeichnung zustimmte, waren die Demontagegüter, die den Grundstock für eine (Teil-)Industrialisierung des Landes hätten bilden können, längst veruntreut.

Londoner Schuldenkonferenz

Vom 28. Februar bis zum 8. August 1952 verhandelten auf der Londoner Schuldenkonferenz 20 Gläubigerstaaten – darunter auch Griechenland – mit der Bundesregierung über eine Regelung der deutschen Auslandsschulden zum Stichtag 8. Mai 1945. Die Verhandlungen mündeten im Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953. Dort wurde „[eine] Prüfung der aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrag des Reichs handelnde Stellen oder Personen, einschließlich der Kosten der Besatzung, der während der Besetzung auf Verrechnungskonten erworbenen Guthaben sowie der Forderungen gegen die Reichskreditkassen, […] bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt.“

Kein Euro mehr für Griechenland
Euro: Kein Geld mehr für Griechenland
Der Prüfvorbehalt endete erst mit Inkrafttreten des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (sog. Zwei-plus-Vier-Vertrag) am 12. September 1990. Reparationszahlungen forderten die Siegermächte 45 Jahre nach Kriegsende nicht mehr vom wiedervereinigten Deutschland. Dem Zwei-plus-Vier-Vertrag stimmten alle damals der KSZE angehörenden Staaten – also auch Griechenland – in der Charta von Paris am 21. November 1990 zu.

Wirtschaftshilfe

Die Bundesregierung hatte jedoch bereits Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre mit zwölf westlichen Staaten bilaterale Globalentschädigungsabkommen zur Regelung von Reparationsfragen geschlossen. Nachdem in den 50er Jahren Jugoslawien und die Türkei aus politischen Gründen Reparationen oder beachtliche Wirtschaftshilfe bekommen hatten, forderte Griechenland Gleichbehandlung. Verkompliziert wurde die ganze Angelegenheit, weil beide Seiten die Kriegsverbrecher- mit der Entschädigungsfrage verknüpften.

Am 27. November 1958 einigten sich Bonn und Athen schließlich auf ein Abkommen „über wirtschaftliche Zusammenarbeit“. Im Rahmen dieses Abkommens erhielt Griechenland einen Kredit in Höhe von 200 Mio. DM mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Zudem wurden Athen weitere 100 Mio. DM Anschlussfinanzierung in Aussicht gestellt. Der Kredit war streng konditioniert, wurde in Tranchen ausgezahlt und sollte für Infrastrukturvorhaben verwendet werden. Mithilfe des deutschen Geldes wurde Griechenland u.a. elektrifiziert. Ein Mitarbeiter der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen meldete am 7. August 1959 schon fast euphorisch an seinen Bonner Dienstherrn:

„In der [griechischen] Presse wird mit Befriedigung vermerkt, daß nunmehr zum ersten Mal seit der Weltwirtschaftskrise 1931 finanzielle Hilfe des Auslandes an Griechenland im Vertrauen darauf gewährt worden sei, daß Griechenlands wirtschaftliche Entwicklung die vollständige Rückzahlung gewährleiste. Diese Anleihe sei seit langer Zeit die erste, die tatsächlich dem wirtschaftlichen Aufbau des Landes zugute kommen und nicht lediglich dazu dienen werde, ein Defizit im Staatshaushalt auszufüllen.“

Aus als „vertraulich“ eingestuften Akten aus der damaligen Zeit geht hervor, dass eine Befassung des Bundestags mit einem Trick verhindert wurde. Denn eigentlich wäre zur Umsetzung des deutsch-griechischen Abkommens gemäß Art. 115 Satz 1 GG ein Zustimmungsgesetz notwendig gewesen.

Die Kreditbedingungen sollten gänzlich geheim bleiben. Das Bundesministerium der Justiz gab jedoch zu bedenken, dass der Bundestag „Anspruch auf vollständige Unterrichtung habe.“ Wie hoch die Kreditzinsen waren, dürfe jedoch keinesfalls an die Öffentlichkeit gelangen, „um Berufungen anderer Länder zu vermeiden.“

Ursprünglich wollte Griechenland einen Kredit in Höhe von 420 Mio. DM mit einer Laufzeit von 50 Jahren und nur zwei Prozent Zinsen zahlen. Dem wollte und konnte die Bundesregierung nicht entsprechen. In einer persönlichen Aussprache zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und seinem griechischen Amtskollegen Konstantinos Karamanlis wurde ein Kompromiss gefunden. Der Zinssatz wurde zwar auf sechs Prozent festgesetzt, Griechenland sollte aber auf die Dauer der Anleihezeit nur vier Prozent bezahlen. Die Zinsdifferenz von zwei Prozent sollte Athen nach Auslaufen der Anleihe anhängen. Öffentlich sollte aber weiterhin unbedingt von sechs Prozent gesprochen werden.

Auf einer Kabinettssitzung vom 5. November 1958 gab Dr. Hilger van Scherpenberg, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, zusätzlich preis, dass man als weiteren „Ausgleich“ für den Zinssatz, ein „jährliche[s] Geschenk von 3 Mio. DM an den griechischen Staat“ leisten werde. Insgesamt sollte Griechenland beginnend mit dem Haushaltsjahr 1959 15 Millionen DM geschenkt bekommen. An anderer Stelle ist von 18 Millionen DM die Rede. Die Vereinbarung über das jährliche drei-Millionen-DM-Geschenk war zunächst mündlich getroffen worden und Athen im Nachgang in einem Brief von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard vom 29. November 1958 bestätigt worden. Auch hierzu wurde kein Entschluss des Bundestages eingeholt. Die Ausgabe wurde einfach in den Haushaltsplan 1959 zu dem Titel 0501 962 „technische Hilfe für Entwicklungsländer“ gepackt. Dieser Trick brachte zwar eine Diskussion über eine Aufstockung des Entwicklungsfonds mit sich, verhinderte aber, dass andere Kandidaten hellhörig wurden.

Die ganze Angelegenheit wurde von der Bundesregierung als Geheimsache behandelt. Der Zinskompromiss wurde in ein „Vertrauliches Ergebnisprotokoll“ gepackt. Auch durfte eine Verbindung zwischen Kredit und als Entwicklungshilfe getarntem Geschenk keinesfalls offensichtlich werden. Dem entsprechend wurde die Botschaft in Athen am 31. März 1960 instruiert, bei der gegenseitigen Übergabe der Ratifikationsurkunden noch einmal darauf hinzuweisen, dass zwischen beiden Vorgängen kein rechtlicher Zusammenhang bestehe. Erhards Brief solle unbedingt vertraulich behandelt werden, „da er Bedingungen enthalte, die anderen Länder in der gleichen Lage nicht gegeben bzw. gewährt werden könnten.“

Als die deutsche Ratifikationsurkunde schon längst in Athen zur Übergabe bereit lag, stellte sich heraus, dass die griechische Seite noch überhaupt keine Schritte zur Einleitung des Ratifikationsverfahrens unternommen hatte. Die griechische Regierung äußerte plötzlich Gewissensbisse. Entweder man solle die vertraulichen Zusatzvereinbarungen mitratifizieren oder von einer Ratifikation ganz absehen. Aber das wiederum war mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar. Wie aus den Akten hervorgeht, hatte Griechenland die erste Tranche in Höhe von 100 Mio. DM zu diesem Zeitpunkt bereits erhalten. Obgleich Athen weitere 50 Mio. DM wünschte, wurden zunächst weitere Zahlungen bis zur Klärung des Sachverhaltes gestoppt. Obwohl die Vereinbarungen zum eigenen Vorteil waren, setzte Athen seinen Gläubiger unter Druck. „Der griechische Standpunkt ist nicht verständlich“, heißt es demzufolge in einer Aufzeichnung für den deutschen Außenminister vom 7. Dezember 1960. Wie die Sache ausgegangen ist, konnten wir aus den vorhandenen Akten leider nicht rekonstruieren.

Die Bundesregierung blieb Athen jedenfalls gewogen. Auch nach dem Auslaufen des jährlichen Geschenks wolle man „in Einzelfällen technische Hilfe […] gewähren“, wenn Griechenland der Bundesregierung geeignete Projekte vorlege. Ende Juli 1962 besuchte eine griechische Delegation unter Leitung des griechischen Koordinationsministers Dr. P. Papaligouras Bonn und führte u.a. Gespräche mit Erhard zur deutsch-griechischen Wirtschaftszusammenarbeit. In einem Besprechungsprotokoll heißt es:

„[Papaligouras] wies […] darauf hin, daß […] noch große Anstrengungen von griechischer Seite notwendig seien, um so rasch wie möglich den Anschluß an den Entwicklungs- und Industrialisierungsstand der übrigen europäischen Länder zu erreichen. Um diesem Ziele näherzukommen und die bereits erzielten Fortschritte zu festigen und zu erweitern, sei Griechenland aber vorläufig noch auf die Hilfe anderer Länder angewiesen. Die Bundesregierung habe sich in den letzten Jahren an den griechischen Anstrengungen für den Wiederaufbau und die Entwicklung der Wirtschaft durch Hilfeleistung beteiligt, die zur Durchführung wichtiger Infrastrukturprojekte verwendet worden ist. Die griechische Regierung erwarte, daß ihr auch weiterhin Unterstützung zuteil werde.“

Die Bundesregierung vermittelte daraufhin einen Kredit der bundeseigenen Förderbank KfW in Höhe von 150 Mio. DM mit einer Laufzeit von 20 Jahren zu einem Zinssatz von 3,75 Prozent. Der Kredit sollte dem Projekt Megalopolis zugutekommen. In der griechischen Kleinstadt gleichen Namens wurde schließlich 1969 ein Wärmekraftwerk in Betrieb genommen, das mit vor Ort abgebauter Braunkohle befeuert wurde. Insgesamt erhielt Griechenland im Zeitraum von 1956 bis 1963 Unterstützung in Höhe von etwa einer Milliarde DM von Seiten der Bundesrepublik.

Wiedergutmachung für NS-Opfer

Griechenland bekam dabei nicht nur umfangreiche Wirtschaftshilfe, sondern auch finanzielle Wiedergutmachung für erlittene Nazigräuel. Am 18. März 1960 vereinbarten die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Griechenland einen „Vertrag über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind“. Griechenland bekam hierfür 115 Millionen DM. Die Verteilung des Geldes wurde dem Ermessen der griechischen Regierung überlassen. Das Geld versickerte im griechischen Klientelismusystem. Die Anhänger der Regierungspartei wurden bevorzugt. Anträge aus Dörfern, die mehrheitlich oppositionelle Parteien unterstützten, wurden durchweg negativ beschieden. Auch wurden nur etwas mehr als 30 Prozent der Gelder überhaupt an die Opfer und/oder deren Familien weitergegeben. Nach Auszahlung der ersten Tranche in Höhe von 35 Mio. DM wurde die ganze Aktion mit der Begründung eingestellt, es gebe schlichtweg zu viele Anträge. Im besten Fall flossen die restlichen 80 Mio. DM in den griechischen Haushalt. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Entschädigungsgelder wie die Erlöse aus den Demontagegütern von der griechischen Oligarchie veruntreut wurden. „75 Prozent dieser Summe [115 Mio. DM; Anm. d. Verf.] wurden zweckentfremdet und landeten in den Taschen von Politikern“, schätzt Professor Richter.

Aus deutscher Sicht ist aber vielmehr Artikel 3 des Vertrags von 1960 entscheidend. Dort wurde versichert, dass nun „alle den Gegenstand dieses Vertrages bildenden Fragen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu dem Königreich Griechenland, unbeschadet etwaiger gesetzlicher Ansprüche griechischer Staatsangehöriger, abschließend geregelt“ waren. Die Ratifikationsurkunden wurden am 20. Oktober 1961 ausgetauscht; der Vertrag wurde seitdem nicht aufgekündigt.

Und trotzdem ließ Griechenland nicht locker und forderte seit Ende der 90er Jahre weitere Entschädigungszahlungen. Am 30. Oktober 1997 verurteilte erstmals ein griechisches Gericht die Bundesrepublik dazu, Schadenersatz in Höhe von 55 Millionen Euro an die Nachkommen der Opfer des SS-Massakers in Distomo zu zahlen. Die rot-grüne Bundesregierung legte seinerzeit Revision beim Areopag, dem Obersten Gerichtshof Griechenlands, ein, der diese jedoch am 5. Mai 2000 zurückwies. Die Bundesregierung erkannte die griechische Rechtsprechung aus völkerrechtlichen Gründen nicht an. Trotz der Übergabe einer mahnenden Note an den griechischen Botschafter in Berlin am 29. Mai 2000 begann Griechenland am 11. und 19. Juli 2000 mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Bereits am 19. Juli 2000 erreichte die Bundesregierung jedoch eine Aussetzung der Maßnahmen mittels einer einstweiligen Verfügung. Parallel dazu hatten sich die Nachkommen des SS-Massakers bis zum Bundesgerichtshof (BGH) durchgeklagt. Der BGH wies die Klage jedoch letztinstanzlich am 26. Juni 2003 ab.

Die Bundesregierung beantwortete am 15. August 2000 eine parlamentarische Anfrage der PDS-Fraktion nach einer möglichen Wiederaufnahme von Beratungen über Reparationsforderungen mit den Worten:

„Nach Ablauf von 55 Jahren seit Kriegsende und Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der internationalen Staatengemeinschaft hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Deutschland hat seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges in hohem Maße Reparationsleistungen erbracht, die die betroffenen Staaten nach allgemeinem Völkerrecht zur Entschädigung ihrer Staatsangehörigen verwenden sollten. Allein durch Wiedergutmachung und sonstige Leistungen wurde ein Vielfaches der ursprünglich auf der Konferenz von Jalta ins Auge gefassten Reparationen in Höhe von 20 Mrd. US-$ erbracht. Im Übrigen wären Reparationen über 50 Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzung in der völkerrechtlichen Praxis ein Sonderfall ohne jede Präzedenz.“

Außenminister war damals Joschka Fischer. Seine Argumentation behielten auch spätere Bundesregierungen bei. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich im Gegensatz zur DDR ihrer Verantwortung längst gestellt. Die Deutschen sind nicht schuld an Korruption, Klientelismus und Misswirtschaft in Griechenland. Selbst wenn man heute Griechenland alle Schulden erlassen würde, müsste es morgen wieder neue Kredite aufnehmen. Wer sich speziell für die aktuelle griechische Schuldenkrise interessiert, dem empfehle ich einen Blick in mein Buch „Von Rettern und Rebellen. Ein Blick hinter die Kulissen unserer Demokratie“. Allen mehr historisch interessierten Lesern lege ich die Veröffentlichungen von Professor Heinz Richter ans Herz. Er hat zur griechischen Zeitgeschichte viele lesenswerte Bücher veröffentlicht. Die Informationen über die Besatzungsanleihe und die Reparationsproblematik sind größtenteils in zwei Aufsätzen enthalten, die in der Thetis Reihe „Mannheimer Beiträge zur klassischen Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns“ (Band 20 und 22) erschienen sind. Weitere Aspekte haben wir einem Aufsatz von Kateřina Králová und Nikola Karasová mit dem Titel „Reparationsforderungen: Umfang, Rechtsfragen, politische Rahmenbedingungen“ entnommen. Gerade was die deutsche Wirtschaftshilfe anbelangt, haben wir im Archiv des Auswärtigen Amtes viele interessante Dokumente gefunden.