Tichys Einblick
Kommunikation in der Coronakrise

Gesundheitspolitik ist gefragt statt Politik mit Pandemien

Politische Kommunikation wird in der Pandemie zum entscheidenden Faktor. Wie schon bei anderen Pandemien haben sich aber manche Regierungspolitiker nicht durch Maßnahmen ausgezeichnet, sondern durch Vorwürfe einerseits und Beschwichtigungen andererseits.

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Ist Covid-19 ein Wuhan-Virus oder ein China-Virus? Ob der Ursprung der spezielle Markt in Wuhan war, kann man vielleicht noch nicht endgültig beantworten. Wir wissen, dass in Fledermäusen mehr Viren leben als in anderen Wildtieren und dass manche der zahlreichen Arten als lebendes Virenlabor herumflattern, das ständig neue Varianten generieren kann. Die Virologen und Fledermausexperten arbeiten intensiv und international vernetzt an der Aufdeckung der Zuammenhänge, unter anderem gemischte chinesische und amerikanische Wissenschaftlerteams. Mit der exponentiell steigenden Anzahl der Infektionen steigt die Verunsicherung der Bevölkerungen weltweit, denn bei der heutigen globalisierten Interdependenz und dem Massentourismus werden die Viren keine Landesgrenze respektieren.

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Politische Kommunikation und Informationspolitik werden insofern in der Pandemie und ihrer Bekämpfung zu einem entscheidenden Faktor, wobei schon jetzt klar wird, dass die nationalen Unterschiede kaum größer sein könnten. Während Taiwan, Korea, Hongkong und Singapur, aber auch das als Ursprungsland kritisierte China, erfolgreicher operieren als die meisten Länder außerhalb Asiens, wird von einigen Politikern das alte „blame game“ gespielt. Mit dem Finger auf andere zu zeigen hat eine lange Tradition, besonders in Europa, aber auch zwischen Europa und den USA.

Die Syphilis wurde erst nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus in Europa bekannt und wütete schon drei Jahre danach epidemisch in Neapel. Sie wurde abwechselnd und je nach nationaler Sichtweise als „italienische Krankheit“ oder „Franzosenkrankheit“ bezeichnet, verbreitete sich aber rasch über ganz Europa und darüber hinaus.

Die „Spanische Grippe“, die 1918/19 weltweit 50 Millionen oder mehr Menschenleben forderte, hatte ihren Ursprung keineswegs in Spanien. Medizinhistoriker halten es inzwischen für erwiesen, dass diese höchst ansteckende Virusgrippe in Haskell County, Kansas, entstanden ist, das in den 1890er Jahren ein Ansturm von Siedlern erlebte, die dort pro Familie 65 Hektar Prärie zugeteilt bekamen und vor allem Rinder, Schweine und Geflügel züchteten. Die offenbar dabei durch mutierende Viren entstandene Pandemie brach dann 1918 in Militärlagern in Kansas aus, wo amerikanische Rekruten auf den Einsatz im Ersten Weltkrieg vorbereitet wurden. Obwohl Tausende erkrankten und viele innerhalb weniger Tage starben, wurden Zehntausende in den Krieg in Europa geschickt und verbreiteten das Virus.

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Um den innenpolitisch kontroversen Kriegseintritt der USA nicht zu gefährden, wurde die Presse massiv zensiert und mit Strafen von bis zu zwanzig Jahren Gefängnis bedroht. In Frankreich und England wurden Berichte über die Grippe ähnlich unterdrückt, aber nicht so in Spanien, das nicht am Krieg beteiligt war. Das führte dann absurderweise zur Verbreitung der Bezeichnung „Spanische Grippe“, eine rein politisch motivierte und generierte Fehlbezeichnung.

Das „Fingerzeigen“ ging allerdings noch weit darüber hinaus. Der deutsche Kriegsgegner und seine in den USA wohlbekannte pharmazeutische Industrie, Bayers Spitzenprodukte Aspirin und das ebenfalls in Amerika sehr erfolgreiche Husten- und Beruhigungsmittel Heroin, das erst intravenös so gefährlich wurde, legten es nahe, dass die „Hunnen“ auch die Grippe-Epidemie verursacht haben könnten. Im September 1918 verkündete der Sanitätsoffizier Philip Doane offiziell, dass die Deutschen in Europa Epidemien ausgelöst hätten und es deshalb keinen Grund zur Annahme gäbe, dass sie mit den USA „schonender“ umgehen würden.

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Ähnlich diskriminierend für einzelne Länder wurden inzwischen mehrere andere ansteckende Krankheiten bezeichnet. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Globalisierung bereits durch die Dampfschiffahrt erheblich fortgeschritten war, nannte man eine Cholera-Epidemie, die im indischen Ganges-Delta entstanden war, „Asiatische Cholera“. Eine praktische Folge war unter anderem, dass Mekkapilger aus Süd- und Südostasien strengeren Quarantänebestimmungen unterworfen wurden als die „hygienischeren“ Europäer auf den gleichen Reiserouten.

Hantavirus und Ebolavirus wurden nach den gleichnamigen Flüssen in Korea und der Demokratischen Republik Kongo benannt, nachdem sie von westlichen Wissenschaftlern identifiziert worden waren. Natürlich hätten sie auch an allen möglichen anderen Stellen auf dieser Welt entstehen können. Insofern ist die Entscheidung der WHO sehr positiv zu sehen, Covid-19 ortsunabhängig zu benennen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Politiker, die praktisch ausnahmslos keine medizinischen Experten sind, selbst wenn sie Gesundheitsministerien leiten, auf ihre politische Kernaufgabe konzentrieren, nämlich über die medizinisch und politisch gebotenen Maßnahmen zu entscheiden. Dazu gehört die ehrliche Kommunikation aller wichtigen Informationen für die verunsicherte Bevölkerung und die Bekämpfung von Gerüchten und objektiv falschen Informationen. Beschwichtigung gehört dazu mit Sicherheit nicht.


Dr. Wolfgang Sachsenröder war fast 25 Jahre als Politikberater international tätig. Seit 2009 lebt er wieder in Singapur und forscht und publiziert über Parteien in Südostasien, u.a. mit dem Blog www.partyforumseasia.org

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