Tichys Einblick
Gender hin, Gender her

Geschlechtsunterschiede im Gehirn: Östrogenmoleküle träumen von Testosteron

Das Geschlecht sei ein soziales Konstrukt, sagt die Gender-Theorie. Doch dass Männer im Schnitt Wege besser finden und Frauen sprachlich besser sind, ist neurobiologisch zu erklären. Die Unterschiede sind klein - aber es gibt sie. Von Burkhard Voß

Genderaktivistinnen (pardon: GenderaktivistInnen, Genderaktivist:innen; Genderaktivist/innen, Genderaktivist_innen, Genderaktivist*innen) agieren nach dem Motto: „Wenn eine Theorie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, umso schlimmer für die Wirklichkeit.“ Nach der Gendertheorie sind biologische Geschlechter nämlich rein soziale Konstrukte. Mit anderen Worten: Mann und Frau gibt‘s gar nicht. Komisch, dass wir in Tausenden von Jahren nicht selbst darauf gekommen sind. Hunderte unserer Vorgängergenerationen müssen also ziemlich naiv gewesen sein. Erst durch Genderaktivistinnen lernen wir, dass Geschlecht zwischen gesellschaftlichen Diskurs und Bedeutungshoheit oszilliert und dass es bei Gender um eine Emanzipation des Menschen von der Biologie bzw. um die von „alten weißen Männern“ erfundene Biologie geht.

Aber schon der römische Dichter Horaz wusste: „Man kann die Natur mit einer Mistgabel hinausjagen, sie kommt dennoch stets zurück.“ Auch über 2000 Jahre später wird dies von den Naturwissenschaften und der Neurobiologie bestätigt.
Bei aller Gleichheit von Mann und Frau, im Detail offenbart sich so mancher Unterschied, nicht nur beim Sex, sondern eben auch im Gehirn. Überwältigend viele neuroanatomische Geschlechtsunterschiede gibt es sicherlich nicht, aber sie lassen sich auch nicht auf null reduzieren.

Geschlechterspezifische Entwicklung bereits ab der Zeugung

Immerhin fängt diese Entwicklung schon wenige Wochen nach Verschmelzung von Ei und Samenzelle an. Vorher geht’s für zukünftige Männer ums nackte Überleben. Sowohl Ei- als auch Samenzelle verfügen im Zellkern über 23 Chromosomen statt 46 wie bei allen anderen Körperzellen. Nur mit der Hälfte ausgestattet fängt der Kampf um die Frau an, Millionen schwimmen los und nur einer kann gewinnen. Das Geschlecht des zukünftigen Erdenbürgers bestimmt übrigens der Mann, die Geschlechtschromosomen XX stehen für das weibliche, XY für das männliche Geschlecht, Eizellen haben als Geschlechtschromosomen nur X-Chromosomen, Samenzellen sowohl X- als auch Y-Chromosomen. Durch die minimal leichteren „Y-Samenzellen“ soll auch der dezente Männerüberschuss erklärbar sein.

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Schon ab der 6. oder 7. Schwangerschaftswoche beginnt beim männlichen Fötus das Wachstum der Hoden. Diese wiederum produzieren das Sexualhormon Testosteron, welches das Wachstum der linken Gehirnhälfte verlangsamt. Die rechte Gehirnhälfte kommt nun mehr zum Zug; sie ist es, die bei Männern dominiert. Sie ist zuständig für Abstraktion und das räumliche Vorstellungsvermögen. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Männer Wege sicherer finden als Frauen. Diese wiederum sind sprachlich besser drauf, was eine Funktion der linken Gehirnhälfte ist, die sich ohne Einfluss von Testosteron besser entwickeln kann.
Östrogen versus Testosteron?

Auch im Erwachsenenalter haben Östrogen und Testosteron Einfluss auf kognitive Fähigkeiten. Beispiel räumliche Orientierung: Testosteron fördert, Östrogen hemmt sie. Wenn Östrogen bei der Menstruation die niedrigste Serumkonzentration aufweist, schneiden Frauen in Tests zur räumlichen Orientierung am besten ab. Vergleichsweise schwächer ausgeprägt sind dann ihre verbalen Fähigkeiten.

Doch nicht nur Hormone, alle Sinneseindrücke, das gesamte Denken, Planen und Fühlen verändern die zellulären und molekularen Strukturen unseres Gehirns. Der unendliche Strom von Wahrnehmungen und Handlungen hinterlässt seine Spuren, eingebettet in den neuroanatomischen Grundstrukturen.

Kleiner Crashkurs in Neuroanatomie: Das walnussartig geformte Gehirn besteht aus einer rechten und einer linken Gehirnhälfte, die sich jeweils in vier Hirnlappen unterteilen. Oberhalb der Augenhöhle und hinter der Stirn befindet sich der Stirn- bzw. Frontallappen. Diese Hirnregion hat beim Igel einen Anteil von weniger als 1 Prozent vom Gesamtgehirnvolumen, der beim Menschen dann bei fast 30 Prozent liegt – kein Wesen der Evolution kommt auf einen höheren Wert. Der Frontallappen macht den Menschen zum Menschen, er repräsentiert seinen Geist. Der Frontallappen erschafft Ideen und Werke. Galilei, Da Vinci, Mozart, Einstein – ohne ihre Frontallappen wäre die Welt eine andere.

Erinnerung und Gedächtnis sind die Domäne des darunter liegenden Schläfenlappens bzw. Temporallappens. In seinem Inneren befindet sich der Mandelkern, auch Amygdala genannt. Ein Teil dieses Kerns springt immer dann an, wenn sexuell aktivierende Duftstoffe die Nasenschleimhaut kitzeln. Er ist bei Männern 65 Prozent größer als bei Frauen. Bei bestimmten Gerüchen denken Männer öfter an Sex als Frauen. Und nicht nur bei Gerüchen. Es ist eine alte Therapeutenerfahrung, dass zu wenig Sex für Männer ein weit größeres Problem ist als für Frauen. Interessant in diesem Zusammenhang: Zahlreiche Studien fanden heraus, dass Männer den Geruch ihrer Partnerinnen stets als angenehm empfanden, Frauen teilten diese Empfindung nicht unbedingt.

Etwas weiter hinten und oberhalb des Temporallappens befindet sich der Scheitellappen bzw. Parietallappen. Er ist zuständig für die räumliche Orientierung und funktioniert bei Männern eben etwas effizienter. Als abschließende Gehirnregion befindet sich hinter dem Parietallappen der Hinterhauptlappen bzw. Okzipitallappen, der für die Wahrnehmung optischer Eindrücke zuständig ist. Geschlechtsdifferenzen? Keine.

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Anders sieht es schon beim sog. Balken (Corpus callosum) aus, eine etwas plumpe Beschreibung für das im Zentrum des Gehirns liegende Nervenfaserbündel, das die rechte mit der linken Gehirnhälfte verbindet. Schließlich muss die rechte wissen, was die linke tut und umgekehrt. Und diese Verbindung funktioniert bei Frauen besser als bei Männern. Denn dieses Nervenfaserbündel ist bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern.

Auch unter ganz basalen Aspekten wie dem Gehirngewicht zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede. So ist das Gehirn von Männern durchschnittlich 11 Prozent schwerer als das von Frauen. Das ist allerdings kein Biomarker für einen Intelligenzvorsprung, sorry, Männer!

Unterschiede bei somatischen und psychischen Erkrankungen

Losgelöst von der Anatomie gibt es weitere geschlechtsspezifische Unterschiede, so bei psychischen Krankheiten. Da sind in der Summe Männer und Frauen gleich häufig betroffen, aber in wichtigen Details gibt es Unterschiede. Angst- und Essstörungen betreffen wesentlich mehr Frauen als Männer. Aber Männer haben den ersten Platz bei antisozialen Persönlichkeitsstörungen oder dem Verlust der Impulskontrolle. Hier scheint die Biologie zu dominieren. Auch der Satz „Frauen werden depressiv, Männer saufen“ ist kein Klischee. Stimmt wirklich. Und es hat nicht nur soziale Ursachen.

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Auch in der Neuroimmunologie sind Männer und Frauen nicht rein soziogen determiniert. Die Biologie hat Frauen mit dem effektiveren Immunsystem ausgestattet. Mal von Vor-, mal von Nachteil. So gut wie die Abwehr von Bakterien und Viren auch klappt, manchmal schießt das Amazonenheer der Immunitätszellen über das Ziel hinaus und greift körpereigenes Gewebe an und es resultieren autoimmunologische Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis oder Multiple Sklerose. Hier liegen Frauen klar vorn.
Haben Träume mit Hormonen zu tun?

Auch in Träumen unterscheiden sich Männer und Frauen. Nicht nur dass Frauen sich häufiger an Träume erinnern, auch der Inhalt ist ein anderer. Bei Männern drängen sich Themen aus den Bereichen Aggression, Arbeit und Sexualität in das nächtliche Bewusstsein, bei Frauen geht es häufiger um Personen und Kleidung. Also auch das, was tagsüber die Geschlechter so bewegt.

Bleibt noch die Frage, warum Östrogenmoleküle von Testosteron träumen. Können Moleküle überhaupt träumen? Die Quantentheorie erklärt, wie es möglich ist, dass die Schwingungen und Strahlungen von Atomen, Elementarteilchen und Molekülen in Informationen umgewandelt werden können. Von den Informationen ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zu Bewusstsein und Traum. Jede Trennung von Geist und Materie im Sinne der klassischen Physik ist willkürlich und hat seit der Quantentheorie keine Gültigkeit mehr. Schon auf molekularer Ebene spiegelt sich wider, dass Männer und Frauen – trotz aller beschriebener Details – gar nicht so unterschiedlich sind. Die bedeutsamsten männlichen und weiblichen Sexualhormone gleichen zwei s-förmig geschwungene Wellen, die nur im Duett existieren können. Vom Tanzpartner in diesem Duett des Lebens träumt Östrogen. Und Testosteron natürlich auch.


Dr. med. Burkhard Voß, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, letzte Buchveröffentlichung: „Psychopharmaka und Drogen – Fakten und Mythen in Frage und Antwort“, Kohlhammer Verlag, ISBN 978-3170746, 31. März 2020

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