Tichys Einblick
Gobale Impfaktion

Freigabe der COVID-19 Patente für Afrika- eine bittere Pille oder die richtige Medizin?

Warum soll es Afrika anders ergehen als Europa und USA? Auch Afrika impfen, ganz Afrika? Weltweit laufen Arbeiten und Verhandlungen für die weltweite Impfaktion - auch durch Freigabe der Patente. Das Für und Wider erläutert Jörg M. Schierholz.

IMAGO / epd

Es war ein Paukenschlag für Biotech-Aktien, als am 5. Mai 2021 die US-Regierung ankündigte, sich für den Verzicht auf Patentschutz für COVID-19 Impfstoffe einzusetzen. Die Aktienkurse der Hersteller von COVID-19 Impfstoffen rutschten zeitweilig zweistellig ab und die Diskussionen um eine mögliche Patentfreigabe reißen auch Wochen später nicht ab.

Die Meinungen sind nach wie vor geteilt. Hundert Staaten hatten bei der Welthandelsorganisation beantragt, dass während der Pandemie alle Vorschriften zum Patentschutz für Covid-19-Medikamente außer Kraft gesetzt werden sollten Die vereinten Nationen, zahlreiche NGOs und der Papst befürworten den Vorschlag; Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nannte es einen „monumentalen Moment“. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich kürzlich offen für Gespräche über eine Aufweichung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe. Dagegen äußerte die Mehrheit der EU-Staaten, sowie Experten und Industrievertreter ihre Bedenken; EU-Ratspräsident Charles Michel glaubt nicht, dass das kurzfristig eine Wunderlösung sei. Ob es sich um einen „PR-Trick“ der Vereinigten Staaten handelt, ist nicht ausgeschlossen. International steht Washington unter Druck, seitdem bekannt wurde, dass rund 300 Millionen Impfdosen ungenutzt in US-Lagern gehortet wurden, während in den meisten ärmeren Ländern extremer Impfstoffmangel-Mangel herrscht. Unter der Nutzung des U.S. Defense Production Act (DPA) wurde der Export von Vorprodukten stark beschränkt, was weltweit die Impfstoffproduktion mehrerer Hersteller, u.a. die des Serum Institute of India, einem der größten Impfstoffproduzenten der Welt, spürbar beeinträchtigte.

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Während in vielen westlichen Staaten 50 Prozent und mehr der Bevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft sind, liegt die Impfquote in vielen afrikanischen Ländern bei 1-2 Prozent mit einer Importquote von mehr als 95% der verwendeten Impfstoffe. Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer erhielten bislang Impfstoffe aus China, Russland und Indien; China beispielsweise hatte über 240 Millionen Impfdosen in zahlreiche Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sowie in einige ärmere Länder Ost- und Südosteuropas geliefert. Zudem helfen auch die COVAX-Initiative der WHO, das Kinderhilfswerk Unicef und die globale Impfallianz Gavi. Die EU lieferte bereits vor Monaten 34 Mio. Dosen Impfstoff und nun zogen die USA nach, 60 Mio. aktuell nicht benötigter Dosen AstraZeneca vergeben zu wollen, und auch Deutschland vergibt jetzt nicht verimpfte Astra-Zeneca-Dosen.

Mehrere afrikanische Länder wollen die lokale Produktion von Impfstoffen vorantreiben mit dem Ziel, bis 2040 60 Prozent der in Afrika benötigten Impfstoffe aus eigener Produktion herzustellen; unterstützt durch Initiativen der EU, der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank. Das südafrikanische Unternehmen Aspen Pharmacare hat vor, bis Ende 2022 mehr als eine halbe Milliarde Dosen des Impfstoffs von Johnson & Johnson zu produzieren, und die Vacsera aus Ägypten startet mit der Herstellung des chinesischen Sinovac-Vakzins. Das Biovac-Institut aus Kapstadt soll im Jahr 2022 mit der Produktion des Vakzins von Pfizer/Biontech beginnen, wobei der Impfstoff aus Europa kommt und in Südafrika konfektioniert wird. Da ein hohes Maß an Know-How, Erfahrung und technologischer Infrastruktur für saubere und sichere Impfstoffe die grundlegende Voraussetzung sind, kann momentan nur in Tunesien, Algerien, Südafrika und im Senegal produziert werden.

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Jenseits von Afrika hat das kubanische Gesundheitsministerium eine Impfkampagne mit dem Vakzin Abdala gestart, welches vom kubanischen Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie (CIGB) entwickelt wurde. In dem von COVID-19 gepeinigten Land titelte die Tageszeitung Granma: „Abdala erweckt Kuba zu neuem Leben“. Auch hier hatten die US-Sanktionen die Entwicklung von Impfstoffen dergestalt behindert, sodass Unternehmen, die seit Jahrzehnten Material und Gerätschaften an kubanische Partner verkauften, befürchten müssen, ihren Handel mit Nordamerika zu verlieren, wie Vicente Vérez Bencomo, Generaldirektor des staatlichen Finlay-Institutes, in der Zeitschrift Nature berichtete. Auf der anderen Seite wird die Universität von Havanna einer der zwei lateinamerikanischen Standorte einer internationalen Forschungskooperation zu Covid-19 und anderen Infektionskrankheiten namens „German-Latin American Centre of Infection & Epidemiology Research and Training“ (Glacier) werden. Das kubanische Gesundheitswesen ist vergleichsweise immer noch vorbildlich in Südamerika; dies positive Beispiel einer eigenen Vakzinproduktion könnte auch auf den afrikanischen Kontinent abfärben.

Was ist unter diesen Gegebenheiten von einer Patenfreigabe für COVID-19 Impfstoffe zu halten? Im deutschen Patentrecht etwa wird dem Patentinhaber ein Exklusivrecht von 20 Jahren für die Nutzung und Verwertung der patentierten Erfindung eingeräumt, welches über ergänzende Schutzzertifikate („Supplementary Protection Certificates“; kurz: SPCs) um maximal 5 Jahre verlängert werden kann. Nach dem Ende der Schutzdauer können Generikahersteller von der Forschungsarbeit des ursprünglichen Erfinders profitieren und mit deutlich verringerten Ausgaben für die Forschung und Entwicklung die vormals patentgeschützten Medikamentes zu einem deutlich günstigeren Preis anbieten. Die durchschnittlichen Entwicklungskosten eines einzelnen neuen Medikamentes liegen zwischen 1.3 und 2.8 Milliarden USD. Patente bieten eine gewisse Absicherung für Unternehmen, die Kosten- und Zeitintensive Erforschung und Entwicklung neuer, bahnbrechender Medikamente überhaupt anzugehen. Eine Aufhebung von staatlicher Seite würde von den forschenden Unternehmen als dramatisches Signal verstanden werden, dass das Risikoinvestment nicht wieder ausgeglichen werden könnte. Ein Verzicht Europas auf Patente könnte weiter dazu führen, dass Russland und China europäische Technologie produzieren und diese teuer an Entwicklungsländer verkaufen.

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Aufgrund der besonderen Herausforderungen bei der Herstellung von COVID-19-Impfstoffen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Patentfreigabe allein dazu führt, dass bislang unerfahrene Produzenten sauberen und sicheren Impfstoff herstellen können. Es würde laut Uno zwischen zweieinhalb und fünf Jahre dauern, eine Produktionsstätte mit einer Kapazität von 10 Millionen Dosen pro Jahr auf dem afrikanischen Kontinent aufzubauen.

Ein weiteres Problem sollte Afrika aber selbst lösen: laut WHO haben 23 afrikanische Länder erst die Hälfte der verfügbaren Dosen verimpft – obwohl die Fallzahlen wieder stark ansteigen. Über eine Million Impfdosen von AstraZeneca verfallen Ende August und viele Afrikaner zögern, sich impfen zu lassen, da sie laut einer Studie der Africa Centres for Disease Control and Prevention der Impfsicherheit misstrauen.
Die Freigabe von Patenten ist eine vorgeblich einfache Lösung; ein primär moralisches Signal mit langfristig potenziell negativen Auswirkungen.

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