Tichys Einblick
Negativpreis für die Freiheit

Floskelwolke: Über die Deutungshoheit des Freiheitsbegriffs

Die Prämierung des Begriffs „Freiheit” zur Floskel des Jahres gibt vor, einer medienkritischen Analyse entsprungen zu sein, ist aber nichts als ein politischer Gefälligkeitsakt zweier Journalisten mit schlechten Manieren und guten Beziehungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Ein neues Jahr, eine neue Erinnerung der öffentlich-rechtlichen Medien, dass der Kampf um die sprachliche und kulturelle Hegemonie mit unverminderter Härte weiter geführt wird. Beglückt uns die – von der Kultusministerkonferenz und dem Kulturstaatsminister finanzierte – Gesellschaft für deutsche Sprache bereits seit den 1970ern mit dem „Wort des Jahres”, gesellte sich schon 1991 das „Unwort des Jahres” hinzu um jeglichen Zweifel darüber, ob ein Wort nun gut oder schlecht aufzufassen sei, aus dem Weg zu räumen. Besonders deutlich wurde dies im Jahr 2015, in dem der „Flüchtling” zum Wort des Jahres gekürt wurde, der „Gutmensch” aber zum Unwort. Oder 2020, als die „Corona-Pandemie” das Wort des Jahres war und die „Corona-Diktatur” zum Antipoden gewählt wurde. Da weiß man gleich, wo man steht, bzw. wo man zu stehen hat. Im inflationär geführten Kampf um die gesellschaftliche Deutungshoheit gesellten sich 2008 dann noch das „Jugendwort” und 2010 der „Anglizismus” des Jahres hinzu.

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
So entging den beiden Journalisten Sebastian Pertsch und Udo Stiehl auch nicht, dass es sich bei der sprachlichen Einordnung in politisch liebsame, bzw. unliebsame Lager um einen Wachstumsmarkt mit Potential handelte. Vor allem für zwei so haltungskonforme Journalistenexemplare wie Pertsch und Stiehl! Während Pertsch hauptberuflich auf Twitter Menschen mit anderen Meinungen aufs Übelste beschimpft und sich daneben mit einer Reihe von förderbaren Projekten am Rande des Aktivismus über Wasser hält, ist Stiehl der Ruhepol der Beiden, der sich bereits seit den 90er Jahren von einer öffentlich-rechtlichen Redaktion zur nächsten weiter gehangelt hat.

Die beiden gründeten 2014 die sogenannte „Floskelwolke”, deren Algorithmus 2000 Medienseiten auswertet und die meistgebrauchten Floskeln darstellt. Klingt erstmal gefährlich, so ganz ohne Einordnung. Das dachten sich auch Pertsch und Stiehl und schufen drei Kategorien: „Standardfloskeln”, „missverständliche Floskeln” und „propagandistisch-manipulative Floskeln”. Soviel Einordnung darf nicht unbelohnt bleiben, die Tagesschau bezeichnete das Steckenpferd der staatsnahen Pertsch & Stiehl anlässlich der Bekanntgabe der „Floskel des Jahres 2022” als „sprach- und medienkritische Initiative”, deren Ziel es sei „dem professionellen Nachrichtengeschäft den Spiegel vorzuhalten.”

Dafür gab es dann auch bereits 2015, ein Jahr nach Gründung der Floskelwolke, den eben erst ins Leben gerufenen „Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik”, der von der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. verliehen wird. Ähnlich wie bei diversen Offshore-Firmen, lohnt es sich aber auch hier den Fäden zu folgen, denn zufälligerweise besteht genau seit 2015 eine Kooperation der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. mit den Nachrichtenredaktionen des Deutschlandfunks und mit „Journalist”, der Zeitschrift des Deutschen Journalisten-Verbands. Wie es der Zufall will, ist Stiehl laut eigener Vita bereits seit 1997 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk und Pertsch seit 2015 fester Autor bei „Journalist” mit „Fokus auf Sprache und redaktionelles Handwerk”.

Wer möchte da über Verstrickungen oder politische Vorteilsnahme spekulieren? Nein, Qualität setzt sich einfach durch. Welcher Journalistenverband möchte denn nicht, dass sein Autor mit „Fokus auf Sprache und redaktionelles Handwerk” Menschen auf Twitter reihenweise als „Schwachköpfe”, „Trottel” und „rechte Arschlöcher” bezeichnet, die man laut einem Tweet von 2015 „mal ausbürgern, für ein Jahr nach Mali schicken, zurückholen, in ein Asylheim stecken und anzünden” sollte?

Die Floskelwolke ordnet ein

So weit zur Einordnung der Floskelwolke und ihrer Gründer. Diese haben nun zum dritten Mal seit 2020 ihre „Floskel des Jahres” veröffentlicht und traten damit in direkte Konkurrenz zum Sack Reis, der zeitgleich in China umfiel. Damit aber die Arbeit dieses kritischen „Spiegels des Journalismus in Deutschland” nicht von Internet-Trollen unterdrückt werden kann, oblag es niemand anderem als dem obersten Medium der freien und kritischen Meinungsäußerung in Deutschland, der Tagesschau, diese Leistung entsprechend zu würdigen. Dafür, dass es sich bei Stiehl zumindest um einen seit 25 Jahren an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbundenen Journalisten handelt, war in der Meldung allerdings kein Platz mehr. Wahrscheinlich beginnt man bei der ARD aus Gründen der Nachhaltigkeit nun auch digitales Papier einzusparen.

Sprachaktivismus
„Eigenverantwortung“ zur „Floskel des Jahres 2021“ gekürt
Die Wahl zur Floskel des Jahres kennt fünf Plätze, auf denen sich die beiden Floskeljournalisten dann auch in ihren Begründungen weltanschaulich austoben dürfen. Die Vorstellung des „Negativpreises” beginnt mit den Worten: „Verbale Provokationen, fragwürdige Begriffe, ausgeleierte Floskeln und geframte Phrasen haben die Nachrichtenberichterstattung auch im vergangenen Jahr geprägt.” Ja, leider hat Herr Pertsch sich tatsächlich noch immer nicht so gut im Griff, aber die Feststellung zeugt zumindest von einem Grundmaß an Gewissenserforschung.

Oh, doch nicht. „Besonderes Augenmerk verdienten dabei erneut jene [Phrasen und Floskeln] zur Pandemie und zur Klimapolitik, aber auch zur Energiekrise, die gelegentlich wenig durchdacht waren, mit denen teils distanzlos berichtet wurde oder die gezielt in den medialen Umlauf gebracht wurden.” Wem die Formulierung „distanzlos berichtet” noch kurze Hoffnung aufkeimen ließ, dass nun erstmals die mangelnde Distanz zwischen öffentlich-rechtlichen und der Regierung, allen voran den Grünen, thematisiert werden sollte, wird im Pamphlet zur Floskel des Jahres 2022 bitter enttäuscht.

Bevor die Pressemitteilung zu den eigentlichen Preisträgern kommt, gibt es noch eine Seite mit Statements von Stiehl und Pertsch. Wiederum gilt: so viel Einordnung muss sein, zumal man dem falschen Framing mit richtigem Framing begegnen muss. Stiehl selbst scheint mittlerweile seinem Kollegen Pertsch einige warnende Worte mitgeben zu wollen. „Wir beobachten, wie sich ein zunehmend aggressiver Umgang miteinander in der Gesellschaft in der Sprache widerspiegelt. Verächtliche Formulierungen werden wie Verbalkeulen geschwungen, was wiederum eine durchaus angestrebte Provokation zur Folge hat.” Deutlicher kann der Aufruf an Pertsch, sich mal ein wenig im Zaum zu halten, nicht ausfallen.

Treppchenplätze zur Standortbestimmung

Aber auch weltanschaulich gibt Stiehl deutlich zu erkennen, wo er steht. „Das macht auch nicht Halt vor der Umdeutung eines hoch angesehenen Guts wie Freiheit, in deren Namen inzwischen egoistische Forderungen gestellt werden oder absurde Preisungen von z.B. Atomkraft als „Freiheitsenergie” entstehen. Gegnerische Positionen in verächtlicher Form zu betiteln hat auf vielen Ebenen Einzug gehalten.” Letzteres stimmt zweifellos. Manche verleihen sogar Preise für die Floskel des Jahres, um die unliebsame Nutzung bestimmter Begriffe aus gegnerischen Positionen zu diffamieren, oder bezeichnen energiepolitische Alternativvorschläge als „absurde Preisungen”.

Freiheitsindex Deutschland 2022
Weniger als die Hälfte fühlt sich frei – Zufriedenheit mit der Demokratie auf tiefstem Stand seit 10 Jahren
Gut, dass Pertsch zur Seite springt und auch diese Feststellung passend einordnet: „Dass rechtskonservative bis rechtsextreme Kreise Begriffe und Formulierungen kapern und zweckentfremden, ist sicherlich nichts Neues.” Noch schlimmer ist für Pertsch aber, dass „journalistische Medien diese Begriffskaperungen und Framings ohne nötige Einordnung verbreiten”, sprich: Es erscheinen nach wie vor journalistische Texte, die Begriffe wie „Freiheit” übernehmen, ohne den Lesern entsprechend zu sagen, was sie unter dieser Freiheit zu verstehen haben, und inwiefern die von „gegnerischen Positionen” geforderte Freiheit eine falsche Freiheit ist. Als echter Sprachkünstler erweist sich Pertsch bei der Formulierung „wie effizient diese toxische Gesinnungen in die Gesellschaft einmassiert werden können.” Da könnte man auch einfach ein Foto vom Parteibuch als Titelbild nehmen.

Stiehl legt nach: „Fast wie ein Schimpfwort mutet die Bezeichnung „Klimakleber” an.” Da muss man Stiehl recht geben, „Klimakleber” ist in der Ablehnung der lebensverachtenden Ideologie diverser Extremistengruppen noch viel zu verharmlosend, weshalb wir uns bei Tichys Einblick vorerst auf „Klima-Extremisten” geeinigt haben, wenngleich die Stimmen sich häufen, die danach rufen man solle die Pattexkinder doch endlich als „Klima-Terroristen” bezeichnen. Auf die entsprechende Freigabe von Thomas Haldenwang dürfte man allerdings noch länger warten können.

In bester Tradition von Jan Böhmermann & Co. bekommt natürlich auch die FDP ihr obligates Fett weg. Deren Lob für E-Fuels, die laut messerscharfer Analyse der Floskelwolke „bislang als unwirtschaftlich gelten”, als auch deren Einsatz für den Weiterbetrieb der „altbackenen Technik” der Kernkraftwerke, führt dazu, dass der 3. Preisträger der Floskel des Jahres, der Begriff „technologieoffen”, synonym steht für den „sprachlichen Nebelkerzenweitwurf bei marktwirtschaftlicher Sturheit” der FDP. Auf diese Formulierung waren Pertsch & Stiehl sicherlich sehr stolz. Dennoch stellt sich die Frage, in welchem öffentlich-rechtlichen Universum die Herren leben müssen, um die Atomkraft als „altbacken” zu bezeichnen, während sie ihrer Weltanschauung gemäß – so viel geht aus dem Text an allen Ecken und Enden hervor – die Energiewende mittels der mittelalterlichen Technologie der Windräder unterstützen. Und wie „wirtschaftlich” die erneuerbaren Energien sind, deren Effizienz bei der Energiegewinnung Jahr für Jahr am unteren Ende jeder erdenklichen Skala herumdümpelt, sehen deutsche Haushalte seit Anbeginn der Energiewende unter Merkel Jahr für Jahr auf ihren immer höher werdenden Strom- und Energierechnungen.

Eher vernachlässigbar erscheinen da fast schon die Erwähnungen der Floskeln „Doppel-Wumms”, einer fast schon augenzwinkernden Konzession an die Holzhammerrhetorik des Kanzlers, sowie das Wiederaufwärmen des Begriffs „Sozialtourismus”, zu dessen Erläuterung fast schon der Verweis genügte, dass dieser Begriff bereits 2013 zum Unwort des Jahres gekürt wurde.

Gute Freiheit, schlechte Freiheit

So kommen wir zum „Gewinner” der Floskel des Jahres, dem Begriff der „Freiheit”. Dabei erwähnt Pertsch, dass er bereits Anfang 2022 auf Twitter mutmaßte, „Freiheit” könnte zur nächsten Floskel des Jahres gewählt werden und Twitter daraufhin „implodieren” lassen. Trotz Beteuerung, er „hätte gehofft, Unrecht zu behalten”, sah er sich dann wohl offensichtlich doch genötigt, seine eigene Prognose zu prämieren. Eine zünftige Twitter-Implosion bringt halt auch Traffic und Relevanz.

Fragwürdige Mobilitätskonzepte
Wer sein Stadtviertel verlässt, wird bestraft: Wie uns die Freiheit genommen werden soll
Die offizielle Begründung zur Floskel des Jahres lautet also: „Ich, ich, ich! Der Freiheitsbegriff wird entwürdigt von Egoman*innen, die rücksichtslos demokratische Gesellschaftsstrukturen unterwandern. Im Namen der Freiheit verkehren sie selbstgerecht und unsolidarisch die essenziellen Werte eines Sozialstaates ins Gegenteil – alles für den eigenen Vorteil.” Ganz abgesehen davon, dass es sich hier um ein Paradebeispiel des Lichtmesz-Sommerfeld-Gesetzes handelt, also um eine linke Projektion eigener Charaktereigenschaften und Denkstrukturen auf Rechte, fällt vor allem die Formulierung „unsolidarisch” und „essenzielle Werte eines Sozialstaates” ins Auge.

Denn egal wie sehr man den Sozialstaat liebt (als Nutznießer desselben wohl sehr, wie die beiden Herren demonstrieren!), ein immanenter Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist er nicht. Das mag natürlich aus der Sicht eines Salonsozialisten als Ungeheuerlichkeit erscheinen, ebenso wie die Tatsache, dass Freiheit prinzipiell erst einmal immer mit einer freien Entscheidung des Individuums beginnt.

Es würde jetzt zu weit führen, die verschiedenen philosophischen Dimensionen des Freiheitsbegriffes, angefangen von Aristoteles, über die verschiedenen christlichen Definitionen, bis hin zu den Aufklärern, Hegel und libertären Wirtschaftsphilosophen wie Mill und Hayek auszuweiten. Doch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Freiheit ist gar nicht beabsichtigt, vielmehr geht es den Berufsflosklern eben um die „Einordnung” in „gute” und „schlechte” Freiheit, eine Einordnung die ohne großen Unterbau auskommen muss, sondern die einzig davon zehrt, dass man die mediale Deutungshoheit für sich beanspruchen kann. Die Floskelwolkler machten nicht einmal von der einfach zu missbrauchenden Formulierung Hegels “Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit” Gebrauch, mit der sie ihrer sozialistisch-verklärten Liberalismuskritik zumindest einen Hauch von Intellektualität mitgeben hätten können.

Daran zeigt sich auch, dass eine wirklich intellektuelle Debatte gar nicht erwünscht ist. Einige wenige sozialistische (Solidarität) und totalitäre (Einordnung) Kampfbegriffe müssen genügen, um den von Steuerzahlerhand finanzierten Umbau der Gesellschaft voranzutreiben.

Das reduktionistische Fazit des bewusst herbeigeführten Shitstorms fand sich in den Tweets der beipflichtenden Kaste rund um Tilo Jung & Co.: Freiheit ist, wenn die Ukraine kämpft, nicht die Egomanie der FDP. Das könnte sogar teilweise hinhauen, doch die argumentativen Abkürzungen auf dem Weg dorthin öffnen die Büchse der totalitären Pandora wieder ein Stückchen weiter auf Kosten des individuellen Freiheitsbegriffes.


David Boos ist Organist, Dokumentarfilmer und Journalist für den European Conservative und andere Magazine.

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