Tichys Einblick
Nach Thüringen

FDP – Partei vor der Richtungsentscheidung

Die Reaktionen auf die thüringischen Ereignisse offenbaren eine FDP, die ihren inneren Richtungsstreit zwischen sozial- und bürgerlich-liberal nicht länger verstecken kann.

Emmanuele Contini/Getty Images

Die FDP hat in den letzten Tagen viel erlebt. Sie wurde die Heimat vieler Landwirte, gewann Mitglieder aus den Reihen der SPD. Für einige war sie schon auf dem Weg, als Arbeiterpartei wahrgenommen zu werden.

Dann folgte die Wahl in Thüringen: Die kürzeste Amtszeit eines Ministerpräsidenten aller Zeiten. Sachbeschädigungen an Parteizentralen im ganzen Land. Drohungen und Gewalt. Die Frau von Thomas Kemmerich wurde in der Öffentlichkeit bespuckt, die Familie steht unter Polizeischutz.

Diese Form des Protest gegen sie war für die Genscher-Partei bisher unbekannt. Doch die Proteste sind nicht das, was die Liberalen in absehbarer Zukunft beschäftigen wird. Denn es geht um eine viel wichtigere Frage für die Partei.

Es gibt zwei innerparteiliche Flügel – den sozialliberalen Flügel um Akteure wie Johannes Vogel und Konstantin Kuhle einerseits und den bürgerlich-liberalen Flügel um Akteure wie Wolfgang Kubicki und Christian Lindner andererseits. Die einen, die zur Wahl von Thomas Kemmerich als Ministerpräsident jubelten, die anderen, die Ihren Augen kaum trauen wollten. Durch dieses Ereignis ist innerhalb der FDP ein Gegensatz offenbar geworden, was wohl schon mehrere Jahre existiert, aber öffentlich ignoriert und bisher nie vordergründig thematisiert wurde: Wo soll es hingehen?

Der Linksrhetorik nicht folgen
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Die Frage der Richtung wird die Partei in der nächsten Zeit von innen heraus bestimmen. Nachdem aus verschiedenen Mitgliedergruppen der Partei die Streitigkeiten an die Öffentlichkeit gelangten und wohl jeder zweite Ortsverband ein Statement abgegeben hatte, wurde deutlich, wie gespalten die Partei der Mitte ist. Die Frage, die sich hinsichtlich dieser Probleme stellt ist: Wie liberal wird die FDP der Zukunft sein? Ist es noch möglich für die Partei der Mitte keinen klaren Kurs in eine Richtung zu halten? Und mit wem wollen die Liberalen dann Verantwortung für das Land übernehmen?

Die Frage der Ausrichtung beschäftigt aber nicht zum ersten mal die Gemüter: Der Liberale Aufbruch um Frank Schäffler und Carlos Gebauer war es, der die erste ernste Richtungsfrage innerhalb der FDP stellte. Die damaligen Mitglieder, die meisten von Ihnen Libertäre, wollten die damalige liberale Kraft in Deutschland radikaler gestalten nach Vorbildern wie Hayek – ohne den gewünschten Erfolg.
Die Liberalen sind in drei Regierungsbeteiligungen im Jahr 2020: In Schleswig-Holstein mit der CDU und den Grünen (Jamaika), in Nordrhein-Westfalen mit der CDU (Schwarz-Gelb) und in Rheinland-Pfalz mit der SPD und den Grünen (Ampelkoalition). Allein an diesen drei Regierungsbeteiligungen sieht man, wie unterschiedlich die Landesverbände innerhalb der Freien Demokraten sind – und vor welcher Aufgabe die FDP steht.


Nils Allersmeier ist Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen im Kreis Lippe und stellv. Bezirksvorsitzender der Julis OWL