Tichys Einblick
Verraten immer wieder

Falsches Spiel mit den Kurden

Im Kampf gegen den IS nahm der Westen das Engagement kurdischer Milizen dankend an. Jetzt aber lassen die USA die Kurden im Stich – wie so oft schon.

A Kurdish People's Protection Units, or YPG women fighters stand near a check point in the outskirts of the destroyed Syrian town of Kobane, also known as Ain al-Arab, Syria, June 2015. Kurdish fighters with the YPG took full control of Kobane and strategic city of Tal Abyad, dealing a major blow to the Islamic State group's ability to wage war in Syria. Mopping up operations have started to make the town safe for the return of residents from Turkey, after more than a year of Islamic State militants holding control of the town.

© Ahmet Sik/Getty Images

Es war bemerkenswert, dass es die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) waren, die vergangenen September den IS in seinem einstigen Zentrum – Rakka – besiegt haben. Bemerkenswert deshalb, weil die SDF größtenteils aus Mitgliedern der kurdischen Miliz YPG besteht. Dieser paramilitärischen Gruppe wiederum wird nachgesagt, dass sie enge Beziehungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) unterhält, die in der benachbarten Türkei zwar existiert, von der Regierung jedoch verboten wurde.

Es war nicht verwunderlich, dass die Kurden bei diesem symbolträchtigen Sieg gegen den IS an vorderster Front kämpften und den Dschihadisten im Laufe der Gefechte sogar mit „Kapitulation oder Tod“ drohten. Dieses Szenario konnte man allzu oft im Kampf gegen die Terrormiliz in Syrien und im Irak beobachten. Wo staatliche Armeen scheiterten und geschlagen wurden, hielten Kurden im Nordirak und Syrien die Stellung. Und wo vom Westen unterstützte, größtenteils dschihadistische Gruppen, samt Waffen und Geld Reißaus nahmen, haben die Kurden mutig und beharrlich den Kampf gegen den IS geführt.

„Mit der Unterstützung des Westens ging es den Kurden gut – solange Krieg mit dem IS herrschte.“

Dabei gingen sie zweifellos davon aus, ihre Gebietsansprüche festigen und vielleicht sogar ihre Bestrebungen nach einem eigenen Staat untermauern zu können. Schließlich vertrieben sie nicht nur den IS aus Schlüsselgebieten und Städten, sie verwalteten diese Gebiete anschließend auch selbst. Das konnte man 2014 im ölreichen Kirkuk im Irak und in weiten Teilen des nordöstlichen Syriens beobachten. Mit der Unterstützung des Westens ging es den Kurden gut. Aber das galt nur, als der Krieg mit dem IS in vollem Gange war. Mittlerweile agiert die Terrormiliz hauptsächlich im Untergrund und taucht nur noch bei kleineren Angriffen oder Raubzügen auf. Die Kurden haben seitdem bemerkt, dass sich der Boden unter ihren Füßen verschoben hat. Sie mussten enttäuscht feststellen, dass die westlichen Mächte, die sie im Krieg unterstützt haben, dies in der Folgezeit nicht mehr taten.

Angriffskrieg als Strafhandlung
Erdogan und der völkerrechtswidrige Angriffskrieg
Dadurch ermöglichten die einstigen Verbündeten der Kurden die Wiederbelebung alter regionaler Feindschaften. Denn alle, die ihre Antipathie gegen die politischen Bestrebungen der Kurden während ihres Kampfes gegen die Dschihadisten auf Eis gelegt hatten, haben ihre Abneigung gegen kurdische Staatlichkeit nun – wo der IS besiegt ist – wieder neu entdeckt. Im September und Oktober letzten Jahres hat der irakische Staat die autonome Region der Kurden mit einem Militärangriff dafür bestraft, dass sie ein Referendum zur Unabhängigkeit der Region abhielten. Städte wie Kirkuk, die 2014 von Peschmerga-Kämpfern vom IS befreit wurden, eroberte sich das irakische Militär nun wieder von den Kurden zurück. Und jetzt ist auch die Türkei auf den Geschmack gekommen. Unter dem Vorwand, die YPG sei eine terroristische Vereinigung, begann eine Militäroperation, um die kurdische Miliz aus dem Norden Syriens zu vertreiben.

Kürzlich beschossen türkische F-16 Bomber und Artillerieeinheiten etwa 200 Ziele im Nordosten Syriens, bevor türkische Soldaten fünf Kilometer in syrisches Territorium vorstießen, um die von der SDF kontrollierte Stadt Afrin einzunehmen. In gewohnt kämpferischer Rhetorik sagt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: „Wir unternehmen entschlossen Schritte gegen die terroristische Organisation [die YPG] und wir werden weitermachen“, und fügte unheilvoll hinzu: „Es kommt nicht in Frage, den Kurden Zugeständnisse zu machen.“

„Der Westen ließe kurdische Einheiten jahrelange die Drecksarbeit verrichten.“

Die türkische Regierung steht zu ihrem Wort. Sie hat angekündigt, ihre militärische Operation in Syrien mit einer Offensive gegen Manbij, eine kurdische Stellung am Euphrat, fortzusetzen. Gerechtfertigt werde der Angriff, so heißt es, voll und ganz im Rahmen der Resolutionen 1624, 2170 und 2178 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Diese sollen der Türkei angeblich erlauben, im Namen der Selbstverteidigung und der Terrorismusbekämpfung in fremdes Staatsgebiet einzudringen.

Es ist ein beschämendes und weitgehend opportunistisches Vorgehen eines Staates, der dazu bereit war, die wirklichen Terroristen des IS an seiner Grenze zu tolerieren, solange die Kurden dadurch in Schach gehalten wurden. Doch so unverzeihlich und schädlich das Verhalten des türkischen Staates auch sein mag, es ist weder überraschend noch beispiellos. Seit 2015 bombardieren türkische Flugzeuge die kurdischen Streitkräfte in Syrien und spiegeln damit das ähnlich brutale Vorgehen des türkischen Militärs gegen die Minderheit im eigenen Land wider.

Vielleicht noch beschämender ist die Reaktion derjenigen im Westen, die über die letzten vier Jahre dankend kurdische Einheiten die Drecksarbeit für sie verrichten ließen. Gemeint sind vor allem die USA. Die amerikanische Regierung fand bei der jüngsten Militäroffensive der Türkei kaum unterstützende Worte für ihre kurdischen Verbündeten. Stattdessen schlug sie sich auf die Seite ihres NATO-Verbündeten – der Türkei. So wie die USA und ihre Mitstreiter auf das Referendum der irakischen Kurden mit Verurteilung und Drohungen geantwortet hatten, so haben sie auf den Angriff der Türkei mit der Aufforderung reagiert, man solle sich in Zurückhaltung üben und sicherstellen, dass die Militäroperation in Umfang und Dauer begrenzt und gewissenhaft bleibe, um zivile Opfer zu vermeiden. Das klingt, als würde man einem Attentäter sagen, er solle es doch wenigstens sauber machen.

„Die Kurden wurden von den westlichen Mächten benutzt und verraten.“

Die Regierung in Washington ließ im Dezember verlauten, dass sie ein erweitertes Ausbildungsprogramm für kurdische und arabische Grenzschutzbeamte in Syrien entwickle, um das Wiederaufleben des IS zu verhindern. Damit verschärfte sie den Konflikt zwischen türkischem Staat und Kurden in einer entscheidenden Phase. Auch deshalb ist die jetzige zurückhaltende Position der Amerikaner problematisch. Als die Türkei mit vorhersehbarer Wut reagierte, gab der US-Außenminister Rex Tillerson einfach nach und leugnete, dass überhaupt eine kurdisch dominierte Grenztruppe aufgebaut werden würde, obwohl die SDF vor Ort genau das Gegenteil berichtete. Erdoğans Feindseligkeit gegenüber den Kurden verstärkte sich also durch die Kombination von diplomatischer Ahnungslosigkeit und völliger Feigheit auf Seiten der US-Regierung.

Vom Kopf auf die Beine stellen
Wie ernst meinen wir es mit der Selbstbestimmung?
Eines muss man an dieser Stelle in aller Deutlichkeit sagen: Die Kurden sind benutzt worden. Nicht von der Türkei, nicht von Assads noch bestehendem Regime, nicht einmal vom Irak oder Iran. All diese Staaten befürchteten im Falle einer kurdischen Unabhängigkeit territoriale Verluste und Aufstände im eigenen Land. Daher haben sie von Anfang an gegen die Idee eines rein kurdischen Staates opponiert. Das war den Kurden auch bewusst. Sie wurden also, wie schon so oft, einzig und allein von den westlichen Mächten benutzt und verraten.

Immerhin waren es die USA, die kurdische Milizen im Kampf bewaffnet und unterstützt hatten. Es waren die USA, die Luftunterstützung angeboten hatten. Und es waren die USA, die die Kurden sowohl im Irak als auch in Syrien zu militärischem Handeln gedrängt hatten. Im Gegenzug waren die Kurden bereit, ihr Leben zu opfern. Natürlich nicht ohne Eigeninteresse. Abgesehen von der Notwendigkeit, sich selbst schützen zu müssen, sahen sie eine Chance, ihr nationales Projekt ebenfalls voranzubringen. Nur deswegen waren sie bereit, den IS mit einer solchen Überzeugung zu bekämpfen. Dieses übergeordnete Ziel fehlte den anderen Parteien, die im Krieg amerikanische Hilfe erhielten. Die Kurden lieferten sich erbitterte Schlachten mit Dschihadisten, weil das Resultat für sie wichtig war, weil die Idee eines kurdischen Staates es wert war, dafür zu kämpfen.

„Kurden kämpfen, woran zu viele im Westen nicht mehr glauben: nationale Unabhängigkeit.“

Das Problem ist nur, dass sich die kurdischen Vorstellungen für die Zeit nach dem Krieg immer von denen des Westens unterschieden haben. Die Kurden waren nützlich, ja, aber nur als Mittel, als Kampftruppe gegen den Terror, und nicht als Selbstzweck. Der Westen wollte, dass die Kurden dazu beitragen, die Region zu stabilisieren – nicht, sie neu zu ordnen. In der Tat agierten die USA auf die Ambitionen der Kurden bezogen bestenfalls zweideutig. So ist die amerikanische Regierung, wie auch Deutschland, dem Beispiel der Türkei gefolgt und hat die PKK als terroristische Gruppe eingestuft. Auf einer Stufe mit Al-Qaida und, ja, sogar dem IS selbst. Als sich das Kriegsglück im Kampf gegen die Dschihadisten zugunsten des Westens gedreht hatte und die Kurden nicht mehr gebraucht wurden, ließen die Amerikaner sie fallen wie eine heiße Kartoffel. Genauso wie 1920, als der britische Staat den Kurden eigenes Territorium versprochen hatte, um einen Vertrag mit der Türkei möglich zu machen, und nach Vertragsschluss den Kurden keine weitere Aufmerksamkeit widmete. Wenn die Kurden aufhören, nützlich zu sein, werden sie ohne mit der Wimper zu zucken rücksichtslos verraten.

Die bittere Ironie besteht darin, dass gerade das, was die Kurden zu so gefürchteten Kämpfern macht – nämlich die Hingabe für ihre gemeinsame Sache einer neu zu gründende Nation – und ihr selbstbewusster und mutiger Einsatz für diese Sache ebenjene Gründe sind, weshalb sie nie die Unterstützung des Westens bekommen werden, die sie verdienen. Das Streben nach nationaler Selbstbestimmung gepaart mit dem starke Willen dafür zu kämpfen, sind Werte, die bei den westlichen Eliten längst nur noch mit Geringschätzung betrachtet werden. Die Kurden wären jetzt vielleicht besser dran, wenn sie gegen den IS verloren hätten und zu etwas geworden wären, mit dessen Unterstützung der Westen keine Probleme hat: Opfer. Aber das größte Problem der Kurden ist zugleich ihre stärkste Tugend – ihre Bereitschaft, für das zu kämpfen, woran zu viele im Westen nicht mehr glauben: nationale Selbstbestimmung.


Tim Black ist stellvertretender Chefredakteur des britischen Novo-Partnermagazins Spiked. Aus dem Englischen übersetzt von Benedikt Teichmann. Dieser Artikel ist zuerst beim britischen Novo-Partnermagazin Spiked erschienen, außerdem bei Novo Argumente.