Tichys Einblick
Geschichten aus dem Lockdown

„Es sind meine Kinder, die das bezahlen müssen“

Eine Mutter sieht, wie ihre Kinder in Beruf, Studium und Schule vereinsamen. Außerdem: "Verzweiflung bei meiner Friseurin, Hoffnungslosigkeit bei unserer Gastronomie, Ermüdung bei den Eltern, Wut bei den Kids, Unverständnis bei meinem Arzt".

Symbolbild

imago images / Westend61

Ich bin Pädagogin und lebe auf dem Land. Damit befinde ich mich auf der Insel der Seligen, denn hier gibt es die Natur noch vor der Tür. Dass es mir und meiner Familie gut geht, ist also vor allem der Tatsache geschuldet, dass ich nicht in München Innenstadt wohne, auch nicht isoliert alleine, sondern Familie habe und sogar ein Pferd, das ich immer im Lockdown besuchen durfte, ohne als Lockdownbrecherin bestraft zu werden. Dennoch bin ich nach 10 Monaten Corona ermüdet und desillusioniert. 

Geschichten aus dem Lockdown
"Ich kann nicht mehr“
Meine Tochter lebt nur für ihren Job als Physiotherapeutin. Sie geht morgens zur Arbeit mit Maske und ohne Pause. Ihre Hobbies Tanzen und Fitness kann sie nicht mehr ausüben. Sie ist jung und hätte gerne Kontakte, aber das darf sie nur noch sehr eingeschränkt, tanzen muss sie allein in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung. Ihr anderes Hobby, das Geigenspiel im Orchester, findet nicht mehr statt. Da sie entfernt in einer Großstadt wohnt, ist der Kontakt zur Familie auch nur selten möglich. Ihre Haut wird immer schlechter, da die Maske aknefördernd ist. Klar ist das nicht lebensbedrohlich, aber für ein 23jähriges Mädchen doch sehr belastend. 

Mein Sohn hat das dritte Semester Onlineunterricht. Die Uni kriegt dies selten gebacken, häufig warten die Studenten bis zu 60 Minuten darauf, dass die Vorlesung losgeht, da die Dozenten es immer noch nicht geschafft haben, sich adäquat in die Materie einzuarbeiten. Das, was so ein 20jähriger Kerl eigentlich machen sollte, nämlich auf dem Campus Freunde treffen, sich austauschen mit anderen Studenten, Lerngruppen bilden, Mädchen kennenlernen, gemeinsam Sport machen, mal in der Kneipe gemeinsam abhängen, alles Fehlanzeige… Es ist traurig zu sehen, dass er in der freien Zeit vor allem Computerspiele zockt. Und morgens im Bett seine Vorlesung hört. Weil etwas anderes gar nicht möglich ist. Nicht einmal die Bibliotheken haben offen, wo man sich mal ein Buch holen könnte. Irgendeinen doofen Krimi, den man nicht kaufen mag, aber der für Ablenkung gut ist. 

Geschichten aus dem Lockdown
"Ich fühle mich ausgebrannt"
Der Jüngste ist erst 14. Jeden Tag sitzt er vor einem Berg von Aufgaben, die ihm die Schule schickt, gelegentlich hat er Teams-Sitzungen. Er ist ein feiner Junge, macht alles brav und willig, und doch wächst jeden Tag die Distanz zur Schule. Wir sind längst überein gekommen, ihn dieses verlorene Jahr wiederholen zu lassen, denn auch wenn die Schule funktioniert, auch wenn das Kind alles brav macht, der Präsenzunterricht kann so nicht ersetzt werden. Einen Monat vielleicht zwei wenn es dick kommt, aber 10 Monate immer wieder und wieder ohne Hoffnung auf Normalität, das hält kein pubertierender Junge aus. Seine Musikvereinigungen – geschlossen. Sein Horn- und Klavierunterricht – nur noch auf Skype, mit geringem Erfolg. Wenn ich nicht weiß, wofür ich üben soll, mache ich es nicht. Die Wasserwacht – zu. Und dann darf er nicht Schlittenfahren mit seinen Kumpels? Ich sehe schon seit März, wie mein Junge langsam aber sicher in die innere Emigration geht. Einfach nicht mehr erreichbar. 

Wir versuchen von zuhause aus unseren Job zu machen. Wenn ich es nicht mehr aushalte, gehe ich zum Pferd. Und bin dankbar, dass ich wenigstens diese Ausweichmöglichkeit habe. Andere Hobbies, das Spielen im Orchesterverein, findet auch nicht mehr statt.

Wenn ich mit anderen rede, so sehe ich Verzweiflung bei meiner Friseurin, Hoffnungslosigkeit bei unserer Gastronomie, Ermüdung bei den Eltern, Wut bei den Kids, Unverständnis bei meinem Arzt. Ja, auch der kapiert die Lockdownmaßnahmen nicht. Ich war bislang zweimal in Quarantäne, Test negativ, mein Sohn einmal, Test selbstverständlich auch negativ. Wir werden vom Gesundheitsamt rumkommandiert, dagegen ist der Ton bei der Bundeswehr Ammensprache. Ich muss mir von einem 25jährigen Hiwi im Gesundheitsamt sagen lassen, was ich alles nicht darf. Aber die Mitteilungen über meine Quarantäne bekam ich grundsätzlich 14 Tage nach telefonischer Anordnung der Quarantäne schriftlich per Post. Massentests der Schulen werden so verschleppt, dass die Kinder tatsächlich 3 Wochen in Quarantäne sind statt der geforderten 14 Tage. Wie stellen sich die Verantwortlichen das vor, Kinder und Jugendliche in der Hochzeit ihres Bewegungsdrangs in vier Wände einzusperren. Keine Eltern fanden das angemessen. Aber dann gibt es noch die hysterischen Eltern, die ihre 12jährigen Kinder wegen Quarantäne 14 Tage ins Zimmer sperren. Leute, das ist Kindswohlgefährdung. 

Geschichten aus dem Lockdown
Wer tröstet Kinder, denen man das Rodeln verbietet?
Und ich sehe eine Politik, die gefühlt jede Stunde sich übertrifft in der Ankündigung von Maßnahmen, die sich aber niemals überlegt, dass gezielte Maßnahmen uns das alles erspart hätten. Stattdessen noch mehr von einer Medizin, die nicht wirkt, und deren Kollateralschäden bislang noch gar nicht absehbar sind. Meine Prognose: Wir werden unglaublich viele Schulabbrecher bekommen, noch mehr Schulversager, noch mehr Scheidungen, noch mehr Angststörungen. Was ich aber nicht sehe, sind Friseurtermine für die Risikogruppe, Schnelltests vor Restaurants oder Bibliotheken, Möglichkeiten, eine Normalität aufrecht zu erhalten, die auch garantiert, dass wir nicht die nächsten 30 Jahre für die Radikalität der Politiker bezahlen müssen.

Es sind meine Kinder, die das bezahlen müssen, und zwar auf mehreren Ebenen. Auch Kinder und Jugendliche haben Entwicklungsaufgaben, die sie erfüllen müssen. Und es ist kein Argument zu sagen, dass die Nachkriegsgeneration auch unter massiven Einschränkungen leiden musste. Ja, das ist richtig, aber die hatten auch ihr Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Und ich will diese Traumatisierungen nicht für meine Kinder, so ohne Not. Kann das niemand verstehen? Und im Gegensatz zu den ganzen wunderbaren Statistiken der Regierung ist dies die Meinung, die ich in meinem Umfeld höre. Was ich aber auch merke, ist wie müde wir des Ganzen sind. Es ist wirklich ein Fehler, Politiker zu wählen, die niemals selbst als Freiberufler Geld verdienen mussten oder Familie haben, auf die man Rücksicht nehmen muss. Und ja, mir geht es gut, sehr gut. Habe ich deshalb kein Recht auf Kritik? Und ich leide mit all den Eltern, die ihre kleinen Kinder betreuen müssen, mit denen, die nicht finanziell abgesichert sind, mit den Gewerbetreibenden, die Angst haben pleite zu gehen, mit denen, die auf engen Raum in der Stadt leben. 

Und ich bin sehr, sehr wütend. 


Der Name der Leserin ist der Redaktion bekannt.


Schreiben Sie uns Ihre Geschichten und Erlebnisse aus dem Lockdown an: kontakt@tichyseinblick.de
Anzeige