Tichys Einblick
Kuscheln als politische DNA

Erst nach Merkel kann die Demokratie durchatmen

Je länger die Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP dauern, umso mehr werden die Merkel-Kritiker von der Kuschelei der Kanzlerin angewidert werden. Professionelles Kuscheln hat Frau Merkel seit frühester Jugend gelernt.

© Getty Images

Das Volk kann dickköpfig sein. Jedenfalls war es jener Souverän, der am Sonntag an den Wahlurnen den Parteien der Großen Koalition ca. 15% Stimmen entzog und damit CDU/CSU und SPD historisch abstrafte. Eins ist sicher: Die Bürger sind das Regime der etablierten Parteien, die sich als Kartell organisiert haben, leid. Frau Merkel mit ihrem kühlen Kalkül erntet dabei mehr Abneigung als der herzig auftretende Martin Schulz, dem man gut und gerne die Geschäftsstelle einer AOK anvertrauen würde.

Interview
Merkel nach der Dämmerung
Wenn jemand der Geburtshelfer der AfD war, so kann die Noch-Bundeskanzlerin dieses zweifelhafte historische Verdienst für sich in Anspruch nehmen. Sie hat mit ihrer bedingsloen Euro-Rettungspolitik Deutschland zur Haftungsmasse degradiert und durch die unkontrollierte Öffnung der Grenzen 2015 Teile der Bevölkerung überfordert und den Eindruck erweckt, Deutschland preiszugeben. Die Anschläge aus dem Milieu eines winzigen Teils der nach Deutschland gelangten Migranten, ließen die Befürchtung aufkommen, dass Merkel nicht nur fahrlässig handelte, sondern den Verlust an Selbstbestimmung der Deutschen bewusst in Kauf nahm. Ihre Bittstellergesuche beim türkischen Diktator Erdogan um Mithilfe bei der Flüchtlingspolitik waren unwürdig und sind zu Recht als solche empfunden worden.

Merkel hat daher in ihrer ersten Stellungnahme den Hass gegen ihre Person – besonders in Mitteldeutschland – wohl wahrgenommen. Etwas anderes wäre nach den „ Hau ab!“ Rufen bei etlichen Wahlveranstaltungen der Bundeskanzlerin auch nicht möglich gewesen. In diesem Eingeständnis liegt aber mehr noch: nämlich die Erkenntnis, dass sie und nur sie die AfD geschaffen hat, eine protestative Sammlungsbewegung. Wie stark muss die Abscheu gegen Merkel sein, um eine AfD zu wählen, die niemand wirklich einschätzen kann und das erst gar nicht versuchen. Indes sollte man sich nicht auf die Medienhäme des ökolinken mainstream verlassen, die nach dem Austritt von Frau Petry aus der AfD-Fraktion noch vor deren Konstituierung jubelnd auf den Abgesang dieser Neu-Partei setzt.

Wahlvereine
Parteienstaat und Staatsparteien
Nein, solange Frau Merkel Kanzlerin bleibt, behält die AfD ihr leibhaftiges Feindbild. Mehr noch: Je länger die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen und der FDP dauern, umso mehr werden die Merkel-Kritiker von der Kuschelei der Kanzlerin angewidert werden. Professionelles Kuscheln hat Frau Merkel seit frühester Jugend gelernt, vielleicht macht dies sogar ihre DNA aus: Obschon Pastorentochter wurde sie nicht nur religiös konfirmiert, sondern akzeptierte die antireligiöse Jugendweihe des SED-Regimes. Angesichts ihrer Intelligenz wurde sie bei der FDJ für Agitation und Propaganda zuständig  und stieg als Physikerin schnell zu den privilegierten Reisekadern des Regimes auf. Gerade diese chamäleonhafte Intelligenz mag Merkel zu erfolgreichen Verhandlungen mit Grünen und FDP befähigen, aber macht sie noch mehr zur Vertreterin jenes gewissenlosen Opportunismus, dem die AfD ihren Aufstieg zu verdanken hat.

Die Wahl am 24.9.17 liefert Deutschland nicht nur dem unwürdigen Hick-Hack des Parteienregimes noch mehr aus, sie markiert auch den Anfang vom Ende der Merkelschen Kanzlerschaft. Je schneller Merkels Ende kommt, umso zügiger wird sich die vielgestaltige Sammlungsbewegung AfD selbst in ein Nichts auflösen.

Die Hebel der Macht 4
Parteienstaat und Staatsparteien: Systemwechsel nötig
Deshalb muss Merkel gehen und zwar schleunigst. Damit die deutsche Demokratie durchatmen kann und  neue Wege beschreitet – personell wie institutionell. Die Personen werden sich schnell einstellen. De Gaulle war vor seinem Appel zum Widerstand gegen Nazi-Deutschland am 18.6.1940 ein unbekannter Soldat und stieg kometenhaft zum Hoffnungsträger empor. Entscheidend aber ist für Deutschland, dass sich die Deutschen fragen, ob sie sich den Parteienstaat, also einen Staat, den sich die Parteien zur Beute gemacht haben, noch länger leisten wollen.

Markus C. Kerber ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, Gründer von Europolis e.V.