Tichys Einblick
Splittingtarif hin und Steuerklassen her

Ehegatten-Splitting: Missverstanden? Oder absichtlich missverstanden?

Das Splitting-Verfahren erhitzt, angeregt durch die kürzlich vom SPD-Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil in die Debatte geworfene Idee der Abschaffung, mal wieder die Gemüter. Von Siegfried Franke

IMAGO / Steinach
Das Splitting-Verfahren geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957 zurück, weil nämlich der in den 1950er Jahren geltende einheitlich-progressive Steuertarif zwei verdienende Ehegatten nach ihrer Heirat schlechter stellte als vor ihrer Heirat. Um festzustellen, dass dies mit Art. 6 Abs. 1 GG kollidiert, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen, bedarf es sicher keiner besonderen Kenntnisse des Verfassungsrechts.

Besonders deutlich wird der Verstoß gegen das Verfassungsgebot, wenn beide Ehegatten vor und nach der Heirat gleich viel verdienen. Schwieriger wird der Fall, wenn die jeweiligen Einkommen der beiden unterschiedlich hoch sind. Ein gleich hohes Einkommen kann sich dann jeweils völlig unterschiedlich zusammensetzen. Das Verfassungsgericht hatte in seinem Urteil darauf hingewiesen, dass das damals in den USA geltende Splittingverfahren verfassungskonform sei. Dem ist der Gesetzgeber gefolgt.

Dieses Verfahren nimmt an, dass das Haushaltseinkommen beiden Ehegatten zu gleichen Teilen zusteht, weil sie sich, wenn auch oft durch konkludentes Verhalten, darauf verständigt haben, wie die Haushaltsaufgaben und die Art und Weise der Einkommenserzielung zu bewältigen sind. Diese Annahme basiert auf der „vertikalen Steuergerechtigkeit“, wonach die einkommensteuerliche Belastung des Einkommens davon abhängig ist, wie viele Personen rechtlich gesehen darauf einen Anspruch haben. Wer, in welchem Ausmaß zum Gesamtbruttoeinkommen beiträgt, und wie letztlich innerfamiliär das verbleibende Nettoeinkommen aufgeteilt und verwendet wird, geht jedoch den Staat eben so wenig an, wie er auch das Schnüffeln in den Schlafzimmern seiner Bürger zu unterlassen hat.

So gesehen ist auch das ständige Gerede über die Steuerklassen überflüssig. Am Ende des Jahres kommt nach der Lohn- bzw. Einkommensteuererklärung in jedem Fall das gleiche Nettoeinkommen heraus. Sicher, je nach Höhe der monatlichen Einkünfte kann sich am Jahresende eine Steuernachzahlung oder auch eine Rückzahlung ergeben. Allerdings könnte eine bessere Kommunikation zum Verständnis helfen.

Letztlich setzt sich das derzeitige System aus Einkommensteuerprogression einerseits und der Einkommensdifferentiation (Splittingtarif, Kindergeld usw.) andererseits zusammen. Anders ausgedrückt: Es geht um die vertikale Gerechtigkeit, d. h., unterschiedlich hohe Einkommen sollen auch unterschiedlich hoch besteuert werden, und um die horizontale Gerechtigkeit, d. h., gleich hohe Einkommen sollen nur dann gleich besteuert werden, wenn auch gleiche Umstände vorliegen. Während der Staat in seiner Raffgier die Steuerprogression innerhalb weniger Jahrzehnte von knapp 10 Prozent auf oftmals deutlich über 50 Prozent getrieben hat, war er bei der Differentiation (zum Beispiel Kindergeld, sonstige Belastungen) stets sehr zurückhaltend.

Würde sich der Staat sich nicht wie jener von Thiers beschriebene Krämer verhalten, der bei vermutetem Reichtum gerne hurtig und kräftig zugreift, sondern sich mit einem maßvollen Proportionaltarif oder jedenfalls mit einem angemessenen Stufentarif, wie etwa von Paul Kirchhof entwickelt und vorgeschlagen, begnügen, entfiele das Gerede von angeblichen Privilegien oder Steuervorteilen. So jedenfalls nutzen bestimmte Kreise das selbstgeschaffene und übergriffige System, um durch unrichtige Behauptungen weitere Verwirrung zu stiften.

Unter diesem Deckmantel wird von geänderten gesellschaftlichen Vorstellungen zu Ehe und Familie sowie geändertem Rollenverständnis gefaselt. Dies konnte man jedoch schon vor über 30 Jahren bei den Grünen nachlesen und hören, unter anderem gesellte sich auch die damalige ÖTV (Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport) dazu. Sollte dem Gerede Erfolg beschieden sein, kommt am Ende ganz sicher eine abermalige Steuererhöhung dabei heraus, die sich dazu noch rühmt, gerechter zu sein und einem modernen Menschenbild zu folgen. Interessanterweise kommt der Vorschlag auch dieses Mal wieder auf den Tisch, weil dem Staat dämmert, dass er sich übernommen hat. Statt zu sparen, sucht er neue Geldquellen. Man darf gespannt sein, was das Verfassungsgericht dazu sagt.

Zuletzt sei erwähnt, dass sich auch dieses Mal wieder Kreise der Wissenschaft und der Wirtschaft anhängen. Äußerungen aus dem sogenannten „Rat der fünf Wirtschaftsweisen“ legen den Verdacht nahe, dass weder der Splittingtarif noch das System der Steuerklassen verstanden worden ist. Und: Sicher, Arbeitskräfte werden gebraucht, aber man sollte die Leute nicht für dumm verkaufen. Viele werden sicher unter dem Strich feststellen, dass – Splittingtarif hin und Steuerklassen her – eine etwaige Neuregelung sie in ihrem Gesamteinkommen schlechter darstellen lässt. Und manche werden sich fragen: Lohnt es sich, dass beide arbeiten gehen? Im Todesfall eines der Partner lässt sich dem ja abhelfen – wieder so eine „weise“ Idee -, indem man die Witwenrente abschafft, um eine Arbeitsaufnahme des überlebenden Partners zu erzwingen. Wie wäre es wenn man stattdessen das zum Müßiggang anregende „Bürgergeld“ überdenkt?

Prof. em. Dr. habil. Siegfried F. Franke, lehrte an der Norddeutschen Akademie für Finanzen und Steuerrecht, Hamburg, an der Universität Stuttgart sowie an der Andrássy Universität Budapest; seit 2018 Gastprofessor an der Andrássy Universität Budapest.

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