Tichys Einblick
Aktionswoche in Berlin

Die Klimaschützer inszenieren sich bewusst religiös

Berlin ist zum Jerusalem der Klimaschutz-Religion geworden. Dort zelebrieren sie ihren Glauben an die baldige Apokalypse und ihre Hoffnung auf Heil im Protest. Hinter den Kulissen geben sie sich anders. Von José Marinho

Aimée van Baalen, Irene von Drigalski, Carla Hinrichs, Raphael Thelen und Moderatorin bei der Pressekonferenz der Letzten Generation zu geplanten Protestaktionen in Berlin in der St.-Thomas-Kirche in Berlin am 18. April 2023

IMAGO / Mauersberger

Hand aufs Herz: Wer kann all die Klimagruppen noch auseinanderhalten? Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Die Letzte Generation? Zu sehr ähneln sie sich in ihren Forderungen, vor allem aber in ihrem Habitus. Das, was sie vereint, ist das Religiöse, der Glaube an den nahenden Weltuntergang und die Heilsfindung in Klimaschutzprotest. Das macht sich dieser Tage besonders in Berlin bemerkbar, das in den Wochen nach Ostern zum Jerusalem dieser Gruppen geworden ist.

Die Extinction Rebellion zum Beispiel, die ein Protestcamp auf dem Invalidenplatz abhielt. Der liegt auf halber Höhe zwischen grüner Bundesgeschäftsstelle und dem Wirtschaftsministerium der grünen Lichtgestalt Robert Habeck. Zwar tagte das Camp nahe aller zivilisatorischen Segnungen, etwa den S-Bahn-Stationen Friedrichstraße und Nordbahnhof. Doch trotzdem erweckte das Camp Assoziationen an die Essener, jene Gemeinde, die seinerzeit nahe Jesus und seinen Jüngern am Toten Meer hauste.

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Das Äußere der Extinction Rebellion zu beschreiben wäre leichter, wenn Reinhard Mey nicht die Urheberrechte an dem Begriff „Nonkonformisten-Uniform“ halten würde. Und das schon seit über 50 Jahren. Doch wer über das Camp schlendert, findet an den Bewohnern alle Zutaten, die jemand braucht, der zeigen will, dass er zu denen gehört, die nicht dazugehören wollen: barfuß laufen. Verfilzte Haare tragen. Ebenso verwaschene Kleidung, die vorher entweder einen Hippie oder einen Putzeimer geziert hat. Und dieser Blick, bei dem die Augen auf zwölf und drei Uhr gleichzeitig stehen und der am leichtesten zu erreichen ist, indem man Stoffe raucht, für deren Vertrieb die Deutschen demnächst Vereine aufbauen wollen.

Zum Camp gehören Schulungszelte, in denen die Teilnehmer unter anderem der Wert der veganen Speisen gepredigt wird. An den Geschmack von Tofu muss man halt glauben wollen. Der Toilettenwagen sieht tatsächlich so aus, als ob er schon den Essenern geholfen habe, sich zu erleichtern. Nur bei der Essensausgabe vertraut die Gemeinde auf Plastikschüsseln – dem Öl abgewonnenes Teufelszeug.

Die historischen Essener lebten in Armut, waren als Gemeinde aber reich. Das lag zum einen an den Rohstoffen, die sie gewannen. Zum anderen aber daran, dass die einzelnen Mitglieder ihrem Reichtum abschwören mussten. Der Verzicht auf persönliche Habe war ein Akt tief spiritueller Energie – und sehr praktisch für die Gemeindekasse. In die Wüste hatte sich die Gemeinde zurückgezogen, um mit der weltlichen Welt der Römer und orthodoxen Juden abzuschließen. Spätestens da enden jegliche Parallelitäten zwischen Essenern und Extinction Rebellion.

Die überzeugten Rebellen campieren direkt vor dem Wirtschaftsministerium. Deswegen hat die Polizei einen guten Grund, massiv vor Ort zu sein. Wobei die Grenzen verschwimmen: Was ist noch Schutz des Ministeriums vor den Übergriffen der „Aktivisten“ und was Schutz der Aktivisten vor eventuellem Unmut allgemeinen Wohlstand erwirtschaftender Bürger? Wer als Spaziergänger mit seinem alternden Terrier das Camp umstreift, wird das Klischee widerlegen können, in Berlin gebe es nicht genug Polizei. Ihm folgen nicht zwei, nicht drei, sondern gleich vier Polizisten. Und so nährt sich der Verdacht, dass dieses vom Bürger bezahlte Quartett kaum einschreiten würde, wenn die Rebellierer den Bürgern den Alltag erschweren würden – im Namen des Klimaschutzes –, sehr wohl aber schnell da wären, wenn sich Bürger gegen diese unbestellte Lektion wenden würden.

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Doch das ist ohnehin eher die letzte Generation, von der das zu erwarten ist. Die Essener mögen die radikalere Gruppe gewesen sein, aber die ganze PR haben Jesus und seine Jünger bekommen. Für sie wurden später Kirchen gebaut. Das gilt auch für die „Letzte Generation“, die zur Pressekonferenz in die St.-Thomas-Kirche einladen. Mit Schuhen an den Füßen und deutlich sauberen Haaren auf dem Kopf. So sprechen sie vor drei Dutzend Journalisten, die in einer Hingabe an den Worten der Klimaschützer kleben, von der Jesus auf seinem Berg nur träumen konnte.

Eigentlich macht es die Letzte Generation einem zu einfach, die Religiösität dieser Gruppe darzustellen. Sie predigt in der Kirche. Schon ihr Name trägt das Endzeitversprechen in sich, das sie geben. Und dann diese Sprache, die so nach Predigt klingt, dass sich später im „Pfeiffer’s“ sogar die Vertreter der Letzten Generation selbst darüber lustig machen. Obendrein kommt noch der Hall der Thomaskirche, der alles wie Fürbitten klingen lässt – die Orgel, der Altarraum … Um es mit den Worten des großen Darth Vader zu sagen: „Zu einfach.“

Deswegen lohnt es sich gar nicht, zu erklären, warum der Mariannenplatz, wo die Thomaskirche steht, für jede linke Bewegung in Deutschland ein heiliger Grund ist. Dort steht das Bethanien. Jener Ort, um den es eine der legendärsten Schlachten zwischen Polizei und linken Gruppen in Berlin gab, die das Land je gesehen hat. Jener Schlacht, der Rio Reiser den „Rauch-Haus-Song“ gewidmet hat. „Das ist unser Haus …“ Doch dieser links-alternative religiöse Bezug der Letzten Generation muss gar nicht erst umständlich erklärt werden. Die Gruppe mit dem Endzeitnamen macht es einem viel einfacher.

Etwa Raphael Thelen. Der erzählt, dass er früher als Journalist auf der anderen Seite gestanden habe und jetzt aber dem Klimaschutz das Wort führe. Wo ist der Unterschied, mag mancher fragen? Doch den Predigern in der Thomaskirche reicht das noch nicht. Sie fordern von den anwesenden Journalisten, ihr Leben ausschließlich in den Dienst der Sache zu stellen, wie Raphael das tut. Er sei auf Reisen gewesen, um von der Botschaft des Klimaschutzes überzeugt zu werden – die Ironie dahinter versteht er nicht. Ironie und Religiösität haben sich noch nie miteinander vertragen.

„Ich war im Irak …“, setzt Thelen zu seiner huldvollen Predigt an. Nie ist ein Berg da, wenn man mal einen braucht. Nur die Thomaskirche mit ihrer kirchenüblichen halligen Atmosphäre, in denen die Worte anfangs salbungsvoll klingen, bis zu dem Empfänger allmählich nur noch ein suggestives „Du bist müde … Du bist müde …“ dringt. Und dann war Raphael, der Erlöste noch nicht mal in Damaskus, um ein zweiter Paulus zu werden.

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Aimée van Baalen preist die Vorzüge eines Gesellschaftsrates an. Der soll das demokratisch gewählte Parlament verbessern. Dieses könne die gesellschaftlichen Widersprüche nicht versöhnen, aber: „Der Gesellschaftsrat beendet das ewige Gegeneinander …“ Der Bundestag hat das nicht geschafft, der Zentralrat nicht, genauso wenig wie die Duma, der Wohlfahrtsausschuss, der Römische Senat, das Politbüro oder der Hohe Rat. Der Bundesrat kann das nicht, die Nationalversammlung auch nicht oder das Unterhaus. Aber der Gesellschaftsrat beendet nun „das ewige Gegeneinander“. Das könnte man gesundes Selbstvertrauen nennen – oder halt doch Heilsversprechen.

Das Sympathischste an der Letzten Generation ist ihre Inszenierung. Und dass diese naiv auftretenden Kindchen wissen, dass sie wie naiv auftretende Kindchen wirken – aber später am Rio-Reiser-Platz darüber fachsimpeln, dass die Stratgie der Simplifizierung nötig sei, damit die Botschaft ankomme. Es ist die Inszenierung. Die Darsteller wissen es. Im Pfeiffer’s besprechen sie Profanes. Etwa was juristisch passiert, wenn einer der ihren in einer Woche an zwei Blockaden teilnimmt. In der Kirche haben sie Fragen nach Profanem noch im Ton der verletzten Kindchen zurückgewiesen. Kein Pragmatismus darf die sakrale Inszenierung trüben. Am Altar verkündet der Pfarrrer ja auch, dass der Wein das Blut Gottes sei – über die hohe Rechnung für den Wein beschwert er sich erst später in der Sakristei.

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