Tichys Einblick

Die Bundeswehr „steht mehr oder weniger blank da“

Die drohende Agonie der deutschen Streitkräfte, der Personalnotstand und das materielle Desaster bei der Bundeswehr fallen in die Verantwortung von Angela Merkel. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Mais, hat nun das Schweigen gebrochen. Von Rolf Bergmeier

IMAGO / Björn Trotzki

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine hat Heeresinspekteur Generalleutnant Alfons Mais scharfe Kritik an der politischen Führung Deutschlands geäußert: „Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, schrieb der Generalleutnant, „die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert.“

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Die drohende Agonie der deutschen Streitkräfte, der Personalnotstand und das materielle Desaster fallen in die Verantwortung von Angela Merkel. Schon alleine deshalb, weil die letzten von Frau Merkel ernannten Verteidigungsminister weder die verteidigungspolitische noch die rüstungstechnische Kompetenz hatten, eine moderne Bündnisarmee zu führen, geschweige denn eine irgendwie erkennbare militäraffine Vita vorzuweisen hatten. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass der Soldat nicht für Friedenssicherung zuständig ist, sondern lediglich durch Demonstration der Kampfkraft die Bemühungen des Politikers unterstützen soll, Frieden abzusichern. Wer dies nicht versteht, wer keinerlei innere Beziehung zum Soldaten hat, taugt nicht zum Verteidigungsminister.

Nur Soldaten, die von ihrer Mission überzeugt sind, können gute Soldaten sein. Es ist eine Binsenweisheit: Je größer die Kampfkraft, umso leichter fällt in einer Demokratie das Ziel, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auch nach außen zu sichern. Mehr als 50 Jahre hat die Bundeswehr allen Verteidigungsministern gedient und sich mitnichten als Angehörige einer „CDU“-Armee gefühlt. Im Gegenteil. Im Rückblick muss man feststellen, dass die Belange der Bundeswehr von SPD-Ministern besser vertreten wurden als unter CDU-Ministern. Die SPD-Minister Leber und Schmidt genossen in der Truppe großen Rückhalt. Die Loyalität gegenüber diesen Ministern ging mit der Bereitschaft einher, „die Freiheit tapfer zu verteidigen“ und sich ein wenig mit dem aufopfernden Kampf der Spartaner um die Thermopylen zu identifizieren: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dort, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.“

Den Soldaten der Bundeswehr ist die Bereitschaft, notfalls für die Gemeinschaft das eigene Leben hinzugeben, schlecht belohnt worden. Linke, Grüne, Teile der SPD und der evangelischen Kirche sonnten sich einmal mehr in einer aggressiven Hypermoral der Verweigerung. Und Frau Merkel sagte kein Wort gegen diese Verunglimpfung. Im Gegenteil: Die Wehrpflicht wurde so lange herabgesetzt, bis sie schließlich von einer Unions-/FDP-Regierung unter Führung von Merkel ausgesetzt wurde und damit zu erheblichen Problemen bei der Personalrekrutierung führte. Ein volles Dutzend Jahre wurde in Berlin der Nato-Beschluss sabotiert, dass jedes Nato-Land zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Rüstung geben solle, bis die Bundeswehr „mehr oder weniger blank“ war.

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In diesem Orchester überforderter Politiker hat Frau von der Leyen mit einer Hetzjagd auf Nazigespenster und mit ihrem Ingrimm gegen alles Historische den Soldaten zu viel zugemutet. Frau Merkel hat fast acht Jahre lang den Streitkräften eine Ministerin als Chefin vorgesetzt, die der Bundeswehr wegen marginaler Vorfälle ein „Haltungsproblem“ vorhielt, die Kitas in den Kasernen errichten, Uniformen für schwangere Soldatinnen kaufen ließ und selbst in der Bundeswehr den Gender-Murks installierte: Aus „Hauptmann“ wurde beinahe „Hauptfrau“. Hinzu kam ihr völliges Unverständnis für das, was einen Soldaten ausmacht, und das sind sicherlich nicht Krabbelstuben in Kasernen. Einen größeren Gegensatz zwischen einem der hohen US-Militärs, die durch die Bank auch politische Führungsfunktionen ausfüllen können, und Frau von der Leyen, über die in Nato-Kreisen gelästert wurde, sie habe mehr Kinder als einsatzbereite Panzer, ist kaum vorstellbar.
Das Schweigen der Generale

Es lohnt in diesem Zusammenhang, einen Blick auf das Verhalten der Generalspitze zu werfen, die vermutlich meinte, Gehorsamspflicht und Solidarität innerhalb des Ministeriums verlange eine schweigende Duldung der Ministererlasse, die aber eben dadurch eine erhebliche Mitschuld am Desaster mitträgt. Die Generale im Ministerium hatten die Kompetenz, den drohenden Zusammenbruch zu erkennen und im Sinne ihres Eides öffentlich für eine Änderung des verderblichen Kurses einzutreten. Und sie hätten sich erinnern müssen, dass der Eid und das Soldatengesetz Loyalität gegenüber dem deutschen Volk und den anvertrauten Untergebenen anmahnt, aber nicht zwangsläufig gegenüber einer Partei.

Zu einer Kehrtwende wäre also ein Generaloberst Ludwig Beck vonnöten gewesen, der 1938 versuchte, ein gemeinsames Vorgehen der Generalität gegen die Kriegsplanungen Hitlers zu organisieren und den geschlossenen Rücktritt der Generalität vorschlug. Zwar sind die Szenarien – damals die Vermeidung eines Angriffskrieges, heute die Wahrung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und ihr Ansehen bei den Verbündeten – nicht vergleichbar, aber die außenpolitische Bedeutung des Verfalls der Bundeswehr, die katastrophale Rückwirkung auf die Attraktivität der Bundeswehr und damit auf die Rekrutierung des Nachwuchses und die Fürsorgepflicht für die anvertrauten Menschen hätten erkennbaren Widerstand der hochrangigen Generale erfordert.

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Gewiss, Loyalität wird in Soldatenkreisen hoch geschrieben, aber in Führungsverantwortung gewinnt dieser Begriff eine andere Dimension. Wenn in einem Unternehmen der Hauptabteilungsleiter Produktion die gesteckten Ziele nicht mehr erreichen kann, wird er seinen Hut nehmen müssen und wollen. Aber abgesehen vom ehemaligen Generalinspekteur Hans Peter von Kirchbach, der in bester aristokratischer Tradition im Jahr 2000 beim damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand einforderte, haben die folgenden Generale Solidarität mit den ihnen anvertrauten Untergebenen vermissen lassen.

Der erbetene Abschied wäre keine Revolte gewesen, sondern nur eine Dokumentation vor den Zeitzeugen und der Geschichte, dass man die Mitverantwortung für den einzigartigen und beschämenden Abbau einer einst hoch angesehen Armee nicht mehr mitverantworten wolle. Aber nichts dergleichen geschah.

Nachdem es bislang dem Bundeswehrverband und pensionierten Offizieren überlassen wurde, auf die Defizite der Bundeswehr hinzuweisen, hat nun endlich – und angesichts einer für jedermann erkennbaren Bedrohung – mit dem Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Mais, ein aktiver General das Schweigen gebrochen. Er hat damit die Ehre der Soldaten – und insbesondere der hohen Generalität – vor aller Öffentlichkeit verteidigt. Er zeigte, was man erwarten durfte: Mannesmut vor Fürstenthron.


Rolf Bergmeier, Oberst im Generalstab a.D.

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