Tichys Einblick
Trans-Aktivisten mobben Feministin

Hass-Sterne im Buchportal

Moderner Aktivismus ist, wenn Gegner als Feinde gesehen werden: Eine Feministin schreibt ein kritisches Buch – und die Trans-Lobby fällt gemeinschaftlich über sie her. Ein Lehrstück darüber, wie Verblendete den zivilisierten Diskurs ruinieren.

Screenprint: Twitter/kommunikatorin

„Bürger, es steht zu befürchten, dass die Revolution – wie Saturn – nach und nach all ihre Kinder verschlingt und am Ende den Despotismus mit allem seinem Unheil gebiert.“

So sprach der Revolutionär Pierre Vergniaud kurz vor seiner Hinrichtung 1793. Franzosen haben einfach ein Gespür für wuchtige letzte Worte. Tatsächlich fressen Revolutionen aber nicht nur ihre Kinder, sondern mitunter auch ihre Eltern. Wir kommen gleich darauf zurück.

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LGB für „Lesbian – Gay – Bisexual“: Diese englische Abkürzung gaben schwule, lesbische und bisexuelle Aktivisten ihrer eigenen Bewegung. Das war zu einer Zeit, als es sich bei diesen Gruppen tatsächlich auch noch bei uns um benachteiligte Minderheiten handelte.

Dieses Dreigestirn – Lesben, Schwule, Bisexuelle – hat einen erkennbaren inneren Sinnzusammenhang. Bei allen drei Gruppen handelt es sich um homosexuelle Minderheiten, entweder nur (lesbisch, schwul) oder auch (bi). Alle drei haben nicht identische, aber vergleichbare Probleme. Dass gerade diese drei Randgruppen ihre Interessen gemeinsam vertreten, ist inhaltlich wie politisch nachvollziehbar.

Eine gesellschaftliche Benachteiligung konnte man ungefähr bis zur deutschen Wiedervereinigung schwerlich bestreiten: Bis 1994 waren einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern – unter wechselnden Tatbestandsvoraussetzungen – nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs (StGB) verboten. In der Bundeswehr reichte 1984 der Verdacht, ein Vier-Sterne-General könne womöglich schwul sein, um den damaligen stellvertretenden Nato-Oberbefehlshaber zu entlassen (das war die Kießling-Affäre, die Älteren erinnern sich).

Ungefähr Mitte der 1990er-Jahre lockerten sich die Verhältnisse. Der „Schwulen-Paragraf“ 175 wurde gestrichen. Offen homo- oder bisexuelle Künstler machten bei uns genauso problemlos Karriere wie ähnlich veranlagte Politiker: Hape Kerkeling, Hella von Sinnen, Bettina Böttinger, Ole von Beust … Deutschland bekam einen offen schwulen Vizekanzler und Außenminister. Im „Völklinger Kreis“ organisierten sich homosexuelle Top-Manager – ohne Schaden für ihre Karriere, eher im Gegenteil. Selbst die traditionell konservative Bundeswehr änderte (etwas später) ihre Richtlinien: Homosexualität war offiziell kein Beförderungshindernis mehr.

Lesben, Schwule und Bisexuelle blieben natürlich eine Minderheit – ganz einfach deshalb, weil sie zahlenmäßig nun einmal eine Minderheit sind. Aber von Benachteiligung konnte kaum noch die Rede sein, jedenfalls nicht in Deutschland.

Entsprechend waren die Paraden zum Christopher-Street-Day immer weniger politische Demonstrationen. Stattdessen nahmen sie immer mehr den Charakter von schrillen Straßenumzügen an, bei denen sich drei sexuelle Randgruppen sehr freizügig selbst feierten. Nun gut. Als gesellschaftliche Protestbewegung taugte die LGB-Gemeinschaft – im hippen Denglisch nennt man das „Community“ – hierzulande jedenfalls nicht mehr. Es gab schlicht kaum noch etwas, wogegen man glaubwürdig hätte protestieren können.

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Den Verlust dieser Bedeutungsdimension erkannte eine Gruppe, die bis dahin in der öffentlichen Wahrnehmung und auch sonst gesellschaftlich praktisch keine Rolle gespielt hatte: die Transsexuellen.

Das sind zahlenmäßig sehr, sehr wenige Menschen: 2007 gab es in ganz Deutschland 419 registrierte geschlechtsangleichende Operationen. Das entsprach 0,000005 Prozent der Bevölkerung. Anders: Jedes Jahr ließen sich auf eine Million Einwohner fünf (in Zahlen: 5) Menschen vom Mann zur Frau operieren, oder umgekehrt.

Was den wenigen Betroffenen an Masse fehlte, ersetzten sie durch Entschlossenheit. Es gelang ihnen, die politisch ermattete LGB-Bewegung davon zu überzeugen, dass Transsexuelle – genauso wie Lesben, Schwule und Bisexuelle – eine unterdrückte Minderheit seien. Schon das stimmte nicht. Anders als einst Homosexualität war Transsexualität spätestens nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts schon seit 1978 ausdrücklich rechtlich akzeptiert.

Doch es ging noch weiter: Die verschwindend wenigen Trans-Aktivisten setzten den Irrglauben durch, es handele sich bei ihnen um eine irgendwie den Lesben, Schwulen oder Bisexuellen ähnliche sexuelle Minderheit. Das ist, mit Verlaub, absurder Quatsch. Transsexualität ist – anders als Homosexualität oder Bisexualität – keine sexuelle Orientierung.

Bis 2018 galt Transsexualität unter dem Fachbegriff Geschlechtsdysphorie offiziell als psychische Störung. Dass die WHO das aus politischen Gründen 2018 auf Druck der Trans-Lobby änderte, ist unter Sexualmedizinern und Psychotherapeuten bis heute hochumstritten. Es gibt keine andere Form der Selbstwahrnehmung, deretwegen Menschen die operative Entfernung von voll funktionsfähigen Körperteilen (Brüste, Penis, Adamsapfel, …) anstreben und die NICHT als psychische Störung angesehen wird.

Trotzdem gelang es den Trans-Aktivisten, sich in die Jahrzehnte alte, gewachsene, strukturierte und organisierte – aber eben auch müde gewordene – LGB-Bewegung zu mogeln. Als sichtbares Zeichen der neuen Verbindung wurde der Name der Community um einen Buchstaben erweitert: dem „T“ für „Transsexuelle“. Fortan hieß man nun also „LGBT“.

Um es mit einem Lied der einstigen Homo-Ikone Hildegard Knef zu sagen: Von da an ging’s bergab.

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Das Potenzial dieser erfolgreichen – man kann es kaum anders sagen – Kaperung der schwul-lesbischen Bewegung für ganz andere Ziele erkannten auch andere. Neue Interessierte traten auf den Plan: die „Queeren“.

Was genau darunter zu verstehen ist, können selbst Szene-Mitglieder nur schwer erklären. Das dürfte vor allem daran liegen, dass der Begriff „queer“ gar keine einheitliche Bedeutung hat. Selbst Wikipedia, sonst ja um abenteuerliche Definition nicht verlegen, schwurbelt herum:

„Queer ist heute eine Sammelbezeichnung für sexuelle Orientierungen, die nicht heterosexuell sind, sowie Geschlechtsidentitäten, die nichtbinär oder nicht-cisgender sind.“

Die zeitgenössische Gottheit des Links-Seins, Judith Butler, warnt sogar davor, den Begriff genau zu definieren. Am ehesten bedeute es wohl, dass man auch in sexuellen Fragen „gegen die Normen ist“.

Aha.

Jedenfalls schlossen sich nach den Transsexuellen auch die „Queeren“ der Bewegung an, und auch sie bekamen ihren Buchstaben. Dann kamen die Intersexuellen und die Asexuellen, jeweils nebst eigenem Buchstaben. Und man will für weitere Neuzugänge offen bleiben. So heißt die Bewegung heute „LGBTQIA+“.

Es dürfte im aktuellen gesellschaftlichen Klima nur eine Frage der Zeit sein, bis noch irgendeine Randgruppe sich selbst für benachteiligt erklärt und Aufnahme in die einstmals ehrwürdige schwul-lesbische Interessenvertretung verlangt. 19 Buchstaben und drei Umlaute sind noch übrig.

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Inhaltlich ist das Ganze allerdings kein bisschen lustig.

Man muss den LGB-Leuten schon vorhalten, dass sie sich nicht wirklich gegen die feindliche Übernahme durch andere Interessengruppen gewehrt haben. Denn inzwischen sind Lesben, Schwule und Bisexuelle wieder zu einer Randgruppe degradiert: diesmal in ihrer eigenen Bewegung. Zahlenmäßig sicher in der Mehrheit, werden ihre Anliegen aber völlig überlagert und marginalisiert – vor allem von der extrem lauten und extrem aggressiven Mini-Minderheit der Trans-Aktivisten.

Denn eine Mini-Minderheit ist es unverändert. 2021 – also nach zahlreichen Gesetzesänderungen und nach vielen Jahren öffentlicher Sichtbarkeit, die ohne Zynismus als massive Dauer-Werbekampagne für Geschlechtsumwandlungen bezeichnet werden kann – wurden bei uns 2.598 entsprechende Operationen gezählt. Das sind immer noch nur 0,00003 Prozent der Bevölkerung. Anders: Jedes Jahr lassen sich auf eine Million Einwohner weiterhin nur 30 (in Worten: dreißig) Menschen vom Mann zur Frau operieren, oder umgekehrt.

Diese Mini-Minderheit führt einen regelrechten Krieg – kurioserweise vor allem gegen Feministinnen (lesbische und heterosexuelle). Denn immer mehr engagierte Frauen erkennen, dass die Einebnung biologischer Unterschiede zugunsten von 0,00003 Prozent der Bevölkerung dazu führt, dass 50 Prozent der Bevölkerung zusammen mit ihren berechtigten Anliegen einfach entwertet werden. Vor allem physische und soziale Schutzräume für Frauen werden von der Trans-Lobby radikal in Frage gestellt – mit dem Argument, wer sich als Frau fühle, sei auch eine Frau.

So verteidigt man einen biologischen Mann ohne geschlechtsverändernde Operation – also mit Bart und mit Penis –, der Zugang zur Frauen-Sauna verlangt (jüngst in Wien genauso passiert). So verteidigt man die Teilnahme von biologischen Männern an Sportereignissen für Frauen – wo Trans-Frauen aufgrund ihrer angeborenen körperlichen Konstitution einen absolut wettbewerbsverzerrenden Vorteil haben. So verteidigt man die Forderung eines Vergewaltigers (!), ins Frauengefängnis (!!) verlegt zu werden – weil er sich jetzt eben als Frau fühle.

Der Trans-Lobby gelingt es, eine feministische Errungenschaft nach der anderen zu kippen. Und die fallen wie Dominosteine – weil die Trans-Aktivisten eben besonders radikal und ruchlos vorgehen.

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Ihr jüngstes Opfer ist die Feministin Eva Engelken.

Die hat ein Buch geschrieben: „Trans*innen? Nein, danke. Warum wir Frauen einzigartig sind und bleiben.“ So etwas tut man heutzutage nicht mehr ungestraft. In den Propaganda-Netzwerken der Trans-Aktivisten liefen die Drähte heiß, und der Mob rückte aus.

In einer offensichtlich konzertierten Aktion wurden auf den Internet-Plattformen mehrerer Buchhändler schlechte Bewertungen des Buches zusammen mit Schmäh-Kommentaren hinterlegt. Intellektuell sehen die alle ähnlich aus, zum Beispiel so (Orthografie aus dem Original übernommen, Hervorhebung von mir):

Es ist ein Armutszeugnis, das diese regressive, transfeindliche Hass-Rhetorik verbreitet wird und sich „feministische literarur“ schimpft. Traurig das sich die Authorin, eine beleidigung an das Wort selbst, sich so unsicher in Ihrer eigenen Weiblichkeit fühlt, das sie anderen Frauen Ihre indentität absprechen will.

Das postet ein Trans-Aktivist bei Thalia unter dem Namen „Hasslieratur“ (schreibt sich so im Original). Er oder sie nutzt damit das zentrale Erfolgsrezept seiner Blase: Man hetzt und verbreitet selbst Hass auf andere, während man sich fortwährend grundlos über Hass und Hetze von anderen beklagt.

Bei Amazon kommen alle negativen Bewertungen nur von Menschen ohne verifizierten Buchkauf. Man kann darauf wetten, dass die allermeisten Hasskritiker das Buch weder besitzen noch es gar gelesen haben. Müssen sie auch nicht, aus ihrer Sicht: Denn es geht ihnen ja auch gar nicht um eine echte Buchbewertung, sondern darum, „ein Zeichen zu setzen“.

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„Das Private ist politisch.“ Den Satz prägte 1970 die Feministin Carol Hanisch. Er war wichtig für die Emanzipationsbewegung der Frauen. Er war wichtig für die feministische Revolution.

Jetzt frisst die Revolution nicht ihre Kinder, aber ihre Eltern: Feministinnen wie Eva Engelken.

Politik ist der Wettbewerb um Macht. Die Politisierung aller Lebensbereiche führt dazu, dass sämtliche Beziehungen zwischen Menschen nur noch auf Machtverhältnisse reduziert werden.

Das hat den Journalismus erfasst, der sich in weiten Teilen selbst zum publizistischen Arm von Ideologien deformiert hat – vulgo: zu Propagandawerkzeug. Das hat die Wissenschaft erfasst, die sich zunehmend selbst als akademischer Geleitschutz von ideologischen Interessen missbrauchen lässt. Das hat Familien erfasst, in denen – wir erinnern uns – Eltern stolz auf Twitter verkündeten, Opa dürfe nun den Enkel nicht mehr sehen, weil der Großvater vorsichtig eine gewisse Skepsis gegenüber den Corona-Maßnahmen geäußert hat.

Und wenn jemand ein Buch schreibt, dann richtet sich die Bewertung nicht mehr danach, ob das Buch gefällt oder nicht – sondern allein danach, wer es geschrieben hat. Ist es der falsche Autor – oder, in unserem Fall, die falsche Autorin –, wird systematisch eine konzertierte Herabwürdigungsmaschinerie in Gang gesetzt.

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Die Trans-Lobby politisiert das Private bis in den letzten Winkel – und verfolgt alle, die sie als Feind identifiziert hat. Das sind derzeit vor allem klassische Feministinnen. Aber auch Eltern, die zum Beispiel zarte Vorbehalte dagegen haben, dass Drag Queens mit Künstlernamen wie „Big Clit“ Lesestunden für vierjährige Kinder abhalten.

Das schafft Widerstand, wo vorher keiner war.

Fast 50 Jahre hart erarbeitete Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Bisexuellen wird in rasender Geschwindigkeit zerstört durch eine völlig maßlose, geifernde und nach gesellschaftlicher Macht greifende Trans-Lobby. Sie zerstört den gesellschaftlichen Diskurs über sexuelle Minderheiten, der in Deutschland langsam, aber immerhin auf einem guten Weg war.

Es ist ein kleines Drama, dass die Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland das mit sich machen lassen.

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