Tichys Einblick
Opfer sind nur alte, weiße Deutsche

Bei Anruf … Betrug!

Raus aus dem Telefonbuch! – Dieser naheliegende Rat wird von der Polizei seit zwei Jahrzehnten mit zahlreichen Opfern von Telefonbetrug nicht gegeben. Aber warum? Ist es politisch unerwünscht, das lukrative Geschäft mit Telefonbuch-Daten zu stören? Oder sind die Interessen der möglichen Opfer politisch uninteressant?

Symbolbild

IMAGO / Schöning

Sie heißen Alfred, Erwin, Hubert oder Erna, Ingrid, Anne-Marie: alte, weiße Deutsche, die mit ihrem Vornamen im Telefonbuch stehen und Opfer eines betrügerischen Anrufs werden. Der Staat schützt sie mit Ratschlägen – seit über zwanzig Jahren und erfolglos.

2017 richtete die Münchner Polizei eine Arbeitsgruppe „Phänomene“ mit rund zwanzig Beamten ein. Das „Phänomen“ ereignet sich in der Stadt tagtäglich – bis zu 600-mal: Senioren erhalten zu Hause einen Anruf, in dem eine Notsituation vorgespiegelt wird, die sich nur dadurch abwenden lässt, dass sie SOFORT einen hohen Geldbetrag verfügbar machen und einem „Abholer“ übergeben. Zum Beispiel will der Enkel (oder ein anderer Familienangehöriger) eine „sehr günstige“ Eigentumswohnung kaufen und muss, um den Zuschlag zu bekommen, „bis morgen“ eine große Anzahlung leisten (Enkeltrick).

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Oder: Die Verkehrspolizei informiert, dass die Schwiegertochter einen tödlichen Unfall verursachte und in Haft kommt, wenn nicht eine hohe Kaution gestellt wird. Schließlich: Ein Kriminalkommissar „Beckmann“ (die falschen Polizisten haben stets häufige Nachnamen) warnt, dass beim Angerufenen ein Einbruch geplant ist, und empfiehlt ihm dringend, seine Wertsachen zur sicheren Aufbewahrung einem Beamten zu übergeben, der „gleich kommt“ (Polizistentrick).

Der Enkeltrick wurde 1999 „erfunden“; der Polizisten-, allgemeiner: Amtspersonentrick (es kann auch ein falscher Staatsanwalt oder sonstiger Beamter anrufen) kommt seit 2015 in Deutschland häufiger vor und löste den Enkeltrick (der sich herumgesprochen hat) als bevorzugte Betrugsmasche ab.

Von hundert betrügerischen Anrufen ist durchschnittlich einer erfolgreich. Trotzdem lohnt sich für die organisierte Kriminalität dieses Geschäft; denn der Gewinn (Bargeld, aber die Täter nehmen auch Schmuck und Gold an) pro Erfolgsfall ist oft fünfstellig und der Einsatz nicht hoch: Die Opfer stehen im Telefonbuch und werden über seniorentypische Vornamen ausgesucht: Dank Digitalisierung genügt es, im Internet www.dastelefonbuch.de aufzurufen und bei der Suchfunktion einen Ort (zum Beispiel „München“) und einen Vornamen (zum Beispiel „Erna“) einzugeben; Ergebnis (Stand: 3.4.2023): 111 Adressen. Berücksichtigt man Einträge von Firmen, Freiberuflern und Paaren („Erna und Wilhelm“, „Erna und Heinz“ + Nachname) nicht, bleiben rund 85 (vermutlich) alleinstehende Seniorinnen mit dem Vornamen „Erna“ übrig, die antelefoniert werden können. Die entsprechenden „Fachkräfte“, die sogenannten „Keiler“, arbeiten von Callcentern in der Türkei und in Polen aus; die „Abholer“ sind hier ansässig oder reisen ein.

Ab und zu, wenn ein Angerufener zum Schein auf die Forderungen der Betrüger eingeht und die Polizei benachrichtigt, wird der Abholer gefasst und dann von der Justiz verurteilt – in der Regel zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Eine abschreckende Wirkung scheint dies nicht zu haben; denn die Haupttäter sitzen ziemlich sicher im Ausland. Die Polizei setzt deshalb auf Prävention und gibt Tipps wie „Lassen Sie sich am Telefon nicht unter Druck setzen, legen Sie einfach auf!“, „Übergeben Sie niemals Geld an Unbekannte!“ oder „Die Polizei holt niemals Geld oder Wertgegenstände bei Ihnen ab“.

Altersarmut
Studie kündigt Wohn-Desaster für Rentner an
Diese und ähnliche Ratschläge – in München wurden sie auch auf hunderttausend Bäckertüten gedruckt – setzen voraus, dass der Betrugsanruf zustande kommt und ein Empfänger, der die schockierende Nachricht ernst nimmt, dann ruhig und überlegt reagiert. Letzteres ist aber unwahrscheinlich. Eine wirksame Prävention muss deshalb verhindern, dass es überhaupt zur Kommunikation mit den Betrügern kommt, und dafür gibt es ein einfaches Mittel: den Telefonbucheintrag löschen. „Seit ich mich aus dem Telefonbuch habe streichen lassen“, heißt es in einem Leserbrief zum Telefonbetrug, „habe ich nur noch Leute am Telefon, die ich haben will. Kein dummer oder lästiger Anruf mehr!“ (Münchner Merkur 24.11.2020).

Raus aus dem Telefonbuch! – Dieser naheliegende Rat wird von der Polizei seit zwei Jahrzehnten mit Zehntausenden von Opfern des Telefonbetrugs nicht gegeben. Aber warum? Ist es politisch unerwünscht, das lukrative Geschäft mit Telefonbuch-Daten zu stören? Oder sind die Interessen der möglichen Opfer des Telefonbetrugs politisch uninteressant? Fast alle sind ja nur alte, weiße „Deutsche“ (darunter überwiegend Frauen), ohne Migrations- oder Diversitätshintergrund, kurz: Bürger, die in einem „weltoffenen“, „digitalen“ und „vielfältigen“ Deutschland nach fortschrittlicher Meinung ohnehin keine Zukunft haben.

Anzeige