Tichys Einblick
Zahnloser Pazifismus

Warum der RIAS-Kammerchor Händel cancelt – mit dabei sind Deutschlandradio, rbb und der Bund

Mit seinem hanebüchenen Statement gibt der RIAS-Kammerchor ungewollt und tragikomisch links-intellektueller „Israelkritik“ einen neuen Spin: Er kritisiert nicht Israel, sondern cancelt einfach gleich dessen Gott. Absurder geht es kaum. Bemerkenswert: die Träger des Chors.

IMAGO / Frank Gaeth
Die Rettung Israels aus der Knechtschaft der Ägypter – eine Geschichte von Befreiung, so episch und so wirkmächtig, dass sie zu allen Zeiten Künstler inspiriert hat; unter anderem auch Georg Friedrich Händel, der mit Israel in Egypt ein großes Oratorium mit gewohnt wuchtigen Chören und festlicher Klangfülle geschaffen hat. Ein perfektes Stück für ein Neujahrsprogramm, sollte man meinen, doch der RIAS-Kammerchor ist umgeschwenkt: Das Werk wird durch einen Psalm ersetzt. Man will das Neue Jahr angesichts der Kriege und des Unfriedens lieber mit einer Friedensbitte einläuten; und was wäre dafür geeigneter als ein Psalm über Jerusalem, die heilige Stadt dreier Weltreligionen?

Das klingt legitim, doch die Erläuterung, die Chordirektor Bernhard Heß und Chefdirigent Justin Doyle vorlegen, lässt tief blicken: „Im Oratorium Israel in Egypt gibt es eine einseitige und alles erobernde Macht, die vor allem durch den Chor repräsentiert wird. Diese Darstellung, auch wenn sie dem Alten Testament entstammt, halten wir angesichts der aktuellen Situation nicht für angemessen (…).“

Nennen wir das Kind beim Namen: Wer hier vorwurfsvoll als „einseitige und alles erobernde Macht“ betitelt wird, ist niemand anderes als der Gott des Judentums. Die Täter-Opfer-Umkehr macht also selbst vorm Allmächtigen nicht halt. Nicht die Ägypter, die das Volk Israel versklaven, handeln unangemessen, sondern Gott, der sein Volk gewaltsam befreit – übrigens nachdem er es mehrmals gewaltlos versucht hatte. Mit diesem hanebüchenen Statement gibt der Kammerchor ungewollt und tragikomisch links-intellektueller „Israelkritik“ einen neuen Spin: Er kritisiert nicht Israel, sondern cancelt einfach gleich dessen Gott. Absurder geht es kaum.

Zudem wird hier eine frappierende Entfremdung der Künstler von der Kunst, die sie pflegen, deutlich: Der Gott, den sie mit einem Psalm um Frieden bitten wollen, ist schließlich derselbe wie im Anstoß erregenden Oratorium. Wie soll er der Bitte entsprechen, ohne einzugreifen? Im Programm verbleiben darf der Lobgesang der Maria, in dem diese die „machtvollen Taten“ Gottes bejubelt: Offensichtlich versteht man beim RIAS-Kammerchor den inneren Zusammenhang des jüdisch-christlichen Weltbildes nicht. Man verdächtigt Religion, eigentlicher Urheber von Gewalt zu sein, und stört sich dementsprechend am kämpferischen göttlichen Bekenntnis zum Volk Israel.

Eine sehr oberflächliche Lesart – ein Kunstwerk hat niemals nur eine Ebene: Jedes Volk, jeder Mensch kann sich in diesem Oratorium erblicken; Trauer, Verzweiflung, Gefahr, Errettung, all diese Grunderfahrungen müssen nicht mit jüdischem oder christlichem Blick gelesen werden. Zudem zeigt uns die gegenwärtige Situation, dass es im Angesicht des Bösen die Bereitschaft braucht, sich klar zu bekennen.

Das jedoch ist dem faulen, kraftlosen Pseudopazifismus zuwider. Man bleibt diffus bei Floskeln, die „Respekt, Toleranz und gegenseitige[r] Achtung“ beschwören, und setzt Zeichen, indem man das „unangemessene“ Gottesbild aus dem Programm wirft. So kann man der unangenehmen Realität ausweichen, auf die Händel und die Bibel nun einmal hinweisen: dass das Böse real ist. Dass der Wunsch nach Gewaltlosigkeit nicht zu Gleichgültigkeit gegenüber Opfern und Tatenlosigkeit gegenüber Gewalttätern führen darf; dass also zur moralischen Rechtschaffenheit gehört, „einseitig“ zu sein, das heißt Position zu beziehen gegen jene, die Gewalt und Hass verbreiten.

Es ist eine Illusion, dass Frieden irgendwann vom Himmel fällt, ohne dass sich jemand – ob Mensch oder Gott – dafür die Hände schmutzig machen müsste. Wer aber darauf hinweist, gilt in einem Milieu, das nicht nach Frieden, sondern lediglich nach dem Wohlgefühl eigener Friedfertigkeit strebt, als Unruhestifter. Und Unruhestifter werden in dieser gutbürgerlichen Scheinwelt nicht geduldet – gleich, ob es sich um Moses oder Händel handelt, oder um den lieben Gott höchstpersönlich.

Es ist aber auch nicht allein Sache des Chordirektors. Träger des Chores sind Deutschlandradio, die Bundesrepublik Deutschland, das Land Berlin und der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Es ist ein weiterer Fall nach der antisemitischen Präsentation auf der Documenta, dass die Kulturbeauftragte des Bundes, Claudia Roth, offensichtlich nicht ihrer Aufsichtspflicht nachkommt.

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