Tichys Einblick
Dazu zwei Gedächtnislücken

Zunehmend ergrünter Söder bei Lanz: „Eine Programmatik zurück zu den Quellen bringt nichts“

Söder verrät damit mehr oder weniger (un)gewollt, dass er mit den „Grünen“ als ausschließlichem Koalitionspartner liebäugelt. Da kann er die Koalitionsfrage noch so weit von sich weisen. Die aktuell 32 Prozent für die CSU sind da offenbar noch nicht Warnruf genug.

Screenprint: ZDF/Markus Lanz

Am Dienstag, 18. Mai, hatte CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu später Stunde, zugeschaltet aus München, einen halbstündigen Auftritt bei Markus Lanz im ZDF.

Wir übergehen hier weitestgehend, was Söder über die aktuelle Lage in und um Israel sagte und greifen nur ein paar seiner Aussagen heraus: Alles dort in Nahost sei „kompliziert“; die antisemitischen Parolen auf deutschen Straßen seien „ekelig“; diese Ausfälle kämen nicht nur aus dem rechtsradikalen Milieu, sondern auch von „anderen“ Gruppen, zum Beispiel Querdenkern und Coronaleugnern; den „eingewanderten“ (!) Antisemitismus habe man lange nicht erkannt; man dürfe bei der Betrachtung all dessen aber „keine Schablonen“ anwenden; Integration sei vielfach nicht gelungen; die „volle Härte“ in der Anwendung des Gesetze sei hier „schwierig“ … Lassen wir das. Es sind dies die Sprechzettel aller arrivierten Parteien.

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Ein wenig spannender wurde es, als Söder zur Lage der Union, vor allem der CDU, befragt wurde. Klar, er, Söder, habe der CDU das „Angebot“ einer Kandidatur gemacht, und er habe sich gefreut, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ja dass sogar norddeutsche CDU-Verbände sich für ihn stark gemacht hätten. Aber nun sei eben der „nicht zu unterschätzende“ Armin Laschet der Kandidat, und zwar mit seiner (Söders) „voller Unterstützung“ bis hin zu gemeinsamen Wahlkampfauftritten und der Plakatierung Laschets selbst auf CSU-Plakaten. Und flankiert von „Mobilisierungsangeboten“ der CSU. Was immer das heißen mag. Dass es bei der AfD „viele böse Menschen“ gebe; dass Maaßens Kandidatur „Unbehagen“ ausgelöst habe; dass er vor allem nach der Intervention von Kirchen nicht mehr von „Asyltourismus“ wie 2018 sprechen werde: All das übergehen wir.

Noch interessant schien es zu werden, als Söder sich strategisch-programmatisch gab. Wörtlich zum Beispiel: „Wir müssen beweisen, dass man nach 16 Jahren (der Name Merkel fiel nicht), neue Ideen hat.“ Mit neuer Ausrichtung und mit einem Paradigmenwechsel: zum Beispiel weiblicher, jünger, ökologisch-nachhaltiger. Die CSU habe das mit ihm 2018 „erfolgreich“ (!) bewiesen. Nanu, 2018?

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Gedächtnislücke Nummer1: War die CSU damals bei den Landtagswahlen mit einem kurz zuvor frisch gekürten Ministerpräsidenten Söder nicht von 47,7 Prozent des Jahres 2013 auf 37,2 Prozent (also um 10,5 Prozent) abgeschmiert? Das ist kein Schnee von gestern. Topaktuell prognostizieren die Umfrageinstitute Forsa und GMS jetzt Mitte Mai 2021 folgende Wähleranteile für die Bundestagswahl 2021 in Bayern: CSU je 32 Prozent, Grüne je 26 Prozent, FDP 9 bzw. 11 Prozent, SPD bei 9 bzw. 8 Prozent.

Nein, Söder will, wie er sagt, dem Zeitgeist nicht hinterherlaufen, sondern ihn „prägen“. Zurück „ad fontes“, also zu den „Quellen“? Keineswegs! Da schwingt unausgesprochen mit, was Söder im April 2021 von sich gab: „Ich glaube nicht, dass es klug ist, nach den progressiven Merkel-Jahren eine Politik ‚Helmut Kohl 2.0‘ aus der Vergangenheit zu machen“, sagte Söder auf die Frage, was ihn von Laschet unterscheide. „Keiner will die alte Union aus den 90er-Jahren zurück. Wir brauchen einen politischen New Deal statt Old School.“ Söder hatte damals mit Blick auf Laschet auch kritisiert: „Mich hat auch die Begründung der Kandidatur nicht überzeugt. Ich stehe für eine Modernisierung im Programm.“

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Und wie schaut das aus? Söder will stehen für eine „ökologisch-nachhaltige Welt im Wohlstand.“ Deswegen strebe Bayern im Verein mit dem grün-schwarzen Baden-Württemberg bereits für 2040 Klimaneutralität an. Dazu gehört zum Beispiel eine PV-Pflicht (PV=Photovoltaik) bei allen Neubauten. Und auch die Kurzstreckenflüge müsse man reduzieren und den entsprechenden Verkehr auf die Bahn verlagern. Ja, Söder hat die 137 Seiten des Entwurfs eines „grünen“ Wahlkampfprogramms gut gelesen. Er will damit offenbar „grüne“ Wähler an sich binden, auch wenn man weiß, dass diese doch lieber das Original als das Imitat wählen. Der einsame Merkel-Beschluss einer raschen Abschaltung der Atomkraftwerke unmittelbar nach Fukushima und kurz vor der Landtagswahl 2011 im Ländle und der damit verbundene dauerhafte Absturz der CDU im ehemaligen Stammland scheint verdrängt. (Gedächtnislücke Nummer 2!)

Mehr scheint Söder zu bewegen, dass die FDP nicht zu viele Stimmen bekommt. Denn wenn potentielle CDU/CSU-Wähler der FDP ihre Leihstimme gäben, würde das zu einer „Ampel“ führen, meint Söder, aber nicht zu Schwarz-Gelb. Söder verrät damit mehr oder weniger (un)gewollt, dass er mit den „Grünen“ als ausschließlichem Koalitionspartner liebäugelt. Da kann er die Koalitionsfrage noch so weit von sich weisen.

Die aktuell 32 Prozent für die CSU sind da offenbar noch nicht Warnruf genug.

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