Tichys Einblick
Talk vom 13. Dezember 2022

Lanz beklagt die Verengung des Meinungskorridors – und sieht sich selbst als Opfer

ZDF-Moderator Markus Lanz kritisiert, was er seit Jahren ständig mit Inbrunst zelebriert: die Verengung des Meinungskorridors. Von Michael Plog

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

Ausgerechnet Markus Lanz mahnt plötzlich eine „Verengung des Meinungskorridors“ an. Man mochte seinen Augen und Ohren kaum trauen an diesem Dienstagabend. „Wenn ich mich beim Gendern ungeschickt ausdrücke, dann bin ich sofort der dumme Sexist. Und wenn ich Bedenken äußere, dass Migration in diesem Lande nach wie vor etwas ist, das wir irgendwie nicht richtig im Griff haben, dann bin ich sofort ein elender Rassist.“ Sagt Lanz. Nanu? Ein Sinneswandel? Aber nein, zu früh gefreut. Denn Lanz meint es leider genau so, wie er es sagt. Er meint sich selbst – als Opfer, nicht als Täter.

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Die Frage muss erlaubt sein: Sortiert er nicht selbst ständig seine Gäste nach Meinung? Wirft er nicht Andersdenkende wie einen einsamen Fremdkörper in eine homogene Runde? War es nicht er, der Ulrike Guérot fast bis zur Sprachlosigkeit unterbrach und ständig herunterquasselte. Eine bekennende Europäerin, die dafür warb, man möge im Ukraine-Krieg doch einmal auf Diplomatie setzen, auf mehr Verhandlung statt immer mehr Waffen. Solch eine Position genügte Lanz bereits, die Politikwissenschaftlerin drei anderen Gästen, darunter Marie-Agnes Strack-Zimmermann, buchstäblich zum Fraß vorzuwerfen (Sendung vom 2. Juni 2022).

So gibt Markus Lanz an diesem Dienstag dann auch nicht den Geläuterten, sondern den Geschlagenen und Gequälten. Er beklagt eine Verengung des Meinungskorridors, die er aus eigenen Sendungen kennt, die er selbst zelebriert. Auch Politologe Wolfgang Merkel gibt ihm Recht: Positionen, die früher lediglich rechts waren, seien heute plötzlich unsagbar. „Wir haben eine Tendenz, den Debattenraum wahnsinnig eng zu machen. Jede Demokratie muss sich daran messen lassen, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.“ Selbst Lars Klingbeil stimmt zu: „Es gibt nur noch schwarzweiß, es gibt nur noch ja/nein“, sagt der SPD-Chef. Und Lanz fühlt sich bestätigt. Aber als Opfer, nicht als Täter.

Mit dem Stichwort „Migration“ hat er en passant eingeworfen, was viele Menschen in diesen Tagen beschäftigt: steigende Gewaltkriminalität, das tote Mädchen von Illerkirchberg. Die unfassbare Weigerung von Nancy Faeser, selbst einen abgelehnten Asylbewerber abzuschieben. Doch das alles wird nicht besprochen. Stattdessen geht es an diesem Dienstag – mal wieder – um die Reichsbürger-Razzia. Die operettenhafte Inszenierung von 3000 Polizeibeamten gegen einige Dutzend freie Radikale fortgeschrittenen Alters. Das allein genügt für eine weitere, nachtfüllende Lanz-Sendung. Ach herrje, die schöne Sendezeit!

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Ein „Experte“ mit Undercover-Cap berichtet aus der Reichsbürger-Szene, die er vor Jahren mal von innen ausgespäht hat. Die Ausführungen des Tobias Ginsburg wirken fast kurioser als die Gruppierungen, die er beschreibt. Wild wirft er alles durcheinander, Rechtsextreme und Konservative, Nazis und Reichsbürger. Er spricht von „New Age-Esoterikern“, Paneuropäern und Adligen, die fürchten, „ihre Privilegien zu verlieren“. Welche Privilegien der Adel heute denn noch hat, möchte man wissen. Fragt aber keiner. Selbst der Begriff „hohle Erde“ fällt. Und das Beste: Die Reichsbürger würden sich ärgern, dass sie kein tausendjähriges Reich bekommen hätten, sondern „nur popelige zwölf“ Jahre. Ein Ärger, den sie offenbar von den Neonazis übernommen haben müssen.

Nein, dieser Abend-Talk geht so konsequent an allem vorbei, was eigentlich auf der Hand liegt, dass man sich am Ende – mal wieder – um seine Nachtruhe betrogen fühlt. Wenn eine Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, mit Plastiktüten voller Geld erwischt wird, woran kann die Politikverdrossenheit, das Misstrauen des Wahlvolks dann nur liegen? „Warum geben die Katari soviel Geld an diese Person?“, fragt die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski zu recht. Die Griechin Kaili habe schließlich „gar nicht soviel Macht“ wie etwa die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Was mag da erst an den wirklich großen Machthebeln los sein? Warum weigert sich beispielsweise von der Leyen noch immer, zu ihren SMS-Verhandlungen mit Pfizer-Chef Albert Bourla Stellung zu beziehen? Fragen, die in der Luft liegen. Aber keiner stellt sie.

Stattdessen wird erneut die Rentner-Razzia hochgejazzt, bis auch der letzte ZDF-Zuschauer es verstanden haben muss: Die Gefahr kommt von Rechts! Und Rechts ist alles jenseits von Links.

Immerhin. Lanz stört sich daran, dass die Verdächtigen in den Medien unverpixelt und mit Klarnamen veröffentlicht wurden. Hier werde doch wohl die Unschuldsvermutung verletzt, klagt er. „Jemand, der so verhaftet wurde, der wird sich sein Leben lang nicht davon erholen. Es bleibt für immer hängen“, muss auch Bubrowski zugeben. Das stört die Runde aber nicht weiter. Der Undercover-Fachmann ist besonders hart: „Sie können Verschwörungsideologen so nicht entgegenkommen.“ Im Zweifel für den Angeklagten? Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils?

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Das war gestern. Querdenken-Gründer Michael Ballweg sitzt seit geschlagenen sechs Monaten in Untersuchungshaft, ohne dass überhaupt Anklage erhoben wurde. Klingbeil ruft ungewollt genau diesen Vergleich ins Bewusstsein, als er die Razzia mit den Worten kommentiert, es gehe nicht darum, „Menschen auszusortieren, die sich mal kritisch gegen die Coronapolitik geäußert haben“. Das Problem für den typischen ZDF-Zuschauer: Er versteht es gar nicht. Denn die Causa Ballweg wird in den Medien totgeschwiegen.

Irgendwann keimt vorsichtiger Widerspruch auf. Politologe Wolfgang Merkel mahnt zur Besonnenheit. Angesichts der Ergebnisse, die diese Razzia gebracht hat, von einem bevorstehenden Staatsstreich zu sprechen, findet er einfach nur „absurd“. Doch sein Mahnen verhallt. Bubrowski schwingt das Schwert der staatlichen Kontrolle und Massenüberwachung. Und Klingbeil warnt fernab der tatsächlichen Faktenlage: Alle Festgenommenen seien bewaffnet gewesen. Alle! Der SPD-Chef vergisst nicht, das Ganze politisch gebührend auszuschlachten. Die Reichsbürger, sagt er, hätten in der AfD einen „parlamentarischen Arm“.

Immerhin, zwei lustige Momente hatte der Abend: Bubrowski bezeichnet die übertriebene Razzia-Inszenierung allen Ernstes als „Ruf nach Liebe und Aufmerksamkeit von Seiten der Polizei“. Und Klingbeil freut sich, „dass die CDU jetzt die größte Oppositionspartei ist und nicht die AfD“. Ein fieseres Kompliment hätte er der CDU kaum machen können.

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