Tichys Einblick
Wattebällchen-Höchststrafe

ZDF-Fernsehrat kritisiert eine Böhmermann-Sendung mit knapper (!) Mehrheit

Ein Böhmermann-Beitrag landet wegen „mangelnder Differenzierung“ und „verhetzender Wirkung“ beim ZDF-Fernsehrat. Den ZDF-Chef, Intendant Norbert Himmler, ficht das alles nicht an. Über Böhmermann hält er immer die schützende Hand.

IMAGO / Sven Simon
Stell’ dir vor: Der ZDF-Fernsehrat schaut Jan (unter seinen Groupies m/w/d: „Janni“) Böhmermann mal auf die Finger. Und die „Höchststrafe“ – vom 60-köpfigen ZDF-Fernsehrat mit knapper Mehrheit entschieden? Ein Böhmermann-Beitrag vom 8. September 2023 verschwindet exakt ein Vierteljahr später, am 8. Dezember 2023, aus der ZDF-Mediathek (ZDF-Deutsch: „depubliziert“). Das nennt man „Aufsichts“-Rat, das nennt man Tempo.

Die genauen Hintergründe lassen sich nur vage darstellen. Die Tagesordnung der Sitzung des ZDF-Fernsehrates vom 8. Dezember gibt sich hier hoch geschlossen. Dort findet sich unter TOP 13b nur die Zeile „Einzelne Programmbeschwerden“.

Konkret geht es um einen Böhmermann-Beitrag vom 8. September mit dem Titel „Wenn man vom Teufel spricht“. Im Teaser hieß es dazu: „Heute geht es um rituelle Gewalt. Sie soll zum Beispiel von satanischen Kulten ausgehen, die mit brutalen Ritualen die Persönlichkeiten ihrer Opfer kontrollieren … Nachweise dafür gibt es jedoch nicht. Oder weiß es eine Psychotherapeutin besser?“

In einer schrägen Mischung als „Satire“ und „Investigation“ war Böhmermann dann der Frage nachgegangen, ob es sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Ritualen etwa von satanistischen Kulten tatsächlich gibt oder ob eine einzelne Psychotherapeutin dies aus eigenem Interesse lediglich behaupte.

Woran entzündete sich die Kritik?

Kritikpunkt 1: Böhmermanns Team soll für eine Sendung über rituelle Gewalt angeblich auf rechtswidrigem Weg recherchiert haben. Zwei Tage vor dem 8. September Ausstrahlung gab es dazu eine anonyme Anzeige und die Anzeige einer Kanzlei. Diese Anzeigen wies das ZDF gegenüber der ermittelnden Polizei als „völlig aus der Luft gegriffen“ zurück; die Recherche sei „in allen journalistischen Standards angemessen“ gewesen.

Rechtswidrige Recherche, wie muss man sich das vorstellen? Arbeitet Böhmermann wie der Verfassungsschutz mit verdeckten Ermittlern? Durchaus, denn ein Journalist aus dem Böhmermann-Team hatte sich unter Klarnamen, aber mit falscher Berufsbezeichnung für ein einschlägiges Online-Weiterbildungsseminar im Bereich Traumatherapie einer Psychotherapeutin angemeldet und es auch besucht. Dieses Seminar stand allerdings nur Ärz­ten, Psychologen und Psychotherapeuten offen. Hauptperson der Sendung wurde dann die Seminarleiterin mit ihren Thesen zu ritueller Gewalt durch Sa­ta­nis­ten. Pikant: Die Teilnehmer des Seminars hatten eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben müssen. Das „ZDF Magazin Royale“ zitiert dennoch an einer Stelle aus dem Seminar.

Höchst fragwürdig ist jedenfalls, dass Böhmermann in seiner Sendung Inhalte der Weiterbildung – darunter besprochene Patientenfälle – veröffentlichen wollte. Aufgrund ihrer Arbeit mit Personen in Zeugen- und Opferschutzprogrammen genießt die Therapeutin allerdings besonderen Schutz. Dies ist auch der Grund, warum sich Staatsschutz bzw. Polizei eingeschaltet haben.

Kritikpunkt 2: Der Vorwurf lautet, die Böhmermann-Sendung zeige „mangelnde Differenzierung“, habe eine „verhetzende Wirkung“ und betreibe „gezielte Stimmungsmache gegen alle Betroffenen sexualisierter Gewalt“. Zu den Beschwerdeführern gehörte die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, die Ausmaß, Art und Folgen der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Deutschland und der DDR untersucht.

Leise Kritik und Himmler-Schutzmantel

In der Sitzung des 60-köpfigen ZDF-Fernsehrats, in dem unter anderem 16 Ländervertreter und zwei Vertreter des Bundes sitzen, wurden die Beschwerden kontrovers (!) diskutiert. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte beispielsweise, das Thema sei „besonders sensibel, besonders heikel und besonders schwierig“. Die Darstellung in der Sendung sei insgesamt nicht ausgewogen und die Betroffenenperspektive nicht ausreichend berücksichtigt worden. Jesuitenpater Hans Langendörfer als Vertreter der katholischen Kirche sagte, es gebe Themen, die für Satire nicht geeignet seien, und dazu gehöre sexualisierte Gewalt. Die Sendung könne eine schädigende Wirkung auf Patienten haben.

Den ZDF-Chef, Intendant Norbert Himmler, ficht das alles nicht an. Über Böhmermann hält er immer die schützende Hand. „Whatever it takes“. Zum Beispiel eine jährliche Apanage von 651.000 Euro (plus MWSt.) für Böhmermann für eine 30-Minuten-Sendung pro Woche. Nicht mitgerechnet die Kosten für Böhmermanns 70-Mann-Team und die Kosten für die Produktionsfirma: die Ehrenfeld UE GmbH (UFE), einem Unternehmen der ZDF-Tochtergesellschaft Gruppe 5, und Jan Böhmermanns.

Himmler weiter: Das ZDF und Böhmermann würden ihre Verantwortung wahrnehmen und Themen sehr sensibel auswählen und damit umgehen. Man wäge ab, welche möglichen Folgen die Darstellung einer Recherche haben könne, sei aber auch dazu verpflichtet, Missstände aufzudecken. Zudem habe Böhmermann zu Beginn der Sendung ernst und empathisch (sic!) über Betroffene gesprochen. Dies betonte auch der Programmausschuss Programmdirektion des Fernsehrats, der eine Zurückweisung der Beschwerden empfohlen hatte.

Wenigstens der „Tagesspiegel“ charakterisiert Böhmermann zutreffend

Nun wissen wir ja, dass Böhmermann nahezu jährlich mit „Preisen“ überhäuft wird. Die Gründe dafür sind uns freilich noch nie einsichtig geworden. Wir wissen auch nicht, warum ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten Anfang 2023 sagte: „Jan Böhmermann nötigt mir Respekt ab.“

Lassen wir Joachim Huber vom „Tagesspiegel“ zu Wort kommen. Er nennt Böhmermann einen „Maulhelden in ZDF-Diensten“. Dieser tänzle durch die Lande und widme sich jetzt den Usancen in der Behandlung und Aufarbeitung „ritueller Gewalt“. Jan B. wäre nicht Jan B., wenn er nicht genau darauf warten würde. So ein Heldenstatus verlange ja Heldentaten. Was aber unangenehm aufstoße, sei diese peinliche Selbststilisierung, ja Selbsteuphorisierung. Weil es sonst keiner tue, müsse der „Janni“ immer wieder in die Sch… langen. Er wolle es ja gar nicht, aber er müsse. Huber weiter: Böhmermann könne es auch nicht mal bei der Recherche belassen. Huber fragt schließlich: Geht es bei Böhmermann ohne ständiges Sich-auf-Schulter-klopfen?

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