Tichys Einblick
Fernsehen

Weihnachtsprogramm des Grauens

Die Gespenster aus fünfzig Jahren deutscher Fernsehgeschichte schicken sich an, zur alljährlichen Dauerberieselung der Kleinen und Großen aus ihren Grüften zu klettern. Seltsam, dass niemand einschreitet.

Die Weihnachtsfeiertage verbringen zwei Drittel der Deutschen vor dem Fernseher, wie eine repräsentative Umfrage des ProSiebenSat.1-Werbe-Vermarktungsunternehmens SevenOne Media ergab (hier bei Digitalfernsehen.de).

Wer das verinnerlicht hat, was oft als modernes, weltoffenes Weltbild bezeichnet wird, der sollte den Bildschirm an Weihnachten aber besser auslassen. Andernfalls riskiert er, mit heute schlechterdings unerträglich gewordenen Klischees konfrontiert zu werden. Denn die Gespenster aus fünfzig Jahren deutscher Fernsehgeschichte schicken sich an, zur alljährlichen Dauerberieselung der Kleinen und Großen aus ihren Grüften zu klettern. Die neuesten Folgen des „Tatorts“ gehen grade noch, die haben die Drehbuchautoren bereits sauber an einer bisher leider unveröffentlichten, aber dennoch klar erkennbaren Direktive für mehr Vielfalt und gegen Sehnsüchte nach den Zuständen in den miefigen Fünfzigern ausgerichtet. Wer davon eine Nase voll möchte, soll sich eben einen der in der DVDose frisch gebliebenen Veteranen Lowitz, Tappert und Ode zu Gemüte führen.

Western mit John Wayne (hier die Diskussion beim Guardian) wurden rückwirkend wegen dessen vor Jahrzehnten unverblümt gegebenen Interviews gleich von der Liste „goldener Oldies“ gestrichen, aber auch in so scheinbar harmlosen Sendungen wie dem „Sandmännchen“ oder der „Schwarzwaldklinik“ kann unerwünscht Nostalgisches lauern, das weder auf Genderempfindlichkeiten noch die neue filmische Farbenlehre Rücksicht zu nehmen bereit ist. In der sozusagen im Wald auf Trockendock liegenden Version der Schwesterserie „Traumschiff“ durfte sich in den Achtzigern die gesamte Riege weißer deutscher Schauspieler im Arztkittel in der Paraderolle des Alphamännchens an fügsamen Patienten abreagieren. Sicher ein Graus für jede junge, emanzipierte Medizinerin. Unverständlich, warum diese Serien trotzdem auf so viele Zuschauer beiderlei Geschlechts, darunter sicher viele Akademikerinnen, so eine hypnotische Wirkung ausüben können. Dankenswerterweise war jedem beim „Ost“-Sandmann sofort klar, dass auch er parteipolitisch eingespannt wurde: von der Raumfahrt Sigmund Jähns bis zur Beweihräucherung der DDR-Alltagstechnik vom Fernsehturm über die Straßenreinigung bis zu allerlei Schienenfahrzeugen.

Protokoll der Ausgrenzung
Weihnachtsansprache 2019 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
PoC (People of Colour) dienten da höchstens als Hintergrundanimationen für die vielen Reiseziele, die der Bärtige mit dem Rucksack stellvertretend für die vielen DDR-Bürger mit seinen diversen fahrbaren und fliegbaren Untersätzen ansteuern durfte. Fünf Minuten Anreise, die die Zuschauer unter seinem Einfluss durchstehen müssen, wenn es ihnen einfach nur um den drolligen Wicht und seinen Abendgruß ging. Umfangreicher die Masse an Serienhits der 70er und 80er, gerne wiederholt, besonders um die langen Weihnachtsferien herum. Das Großstadtrevier, Kommissar Rex, TKKG – undifferenziert schwarz/weiß böse/gut geht es da zu, Helden bleiben Helden, unerschütterliche Polizisten kämpfen unermüdlich gegen die bedrohliche Unterwelt – wie platt und langweilig ist das denn. Kein Raum für die Ambivalenzen und die Vielschichtigkeit moderner urbaner Problemstellungen.
Grimm geht gar nicht

Einige Erzählungen, die Anfangs des 19. Jh. von dem berühmten Brüderpaar aufgeschrieben wurden, hat man zwar medial aufgepeppt, wie im für das Kika produzierten „Simsalagrimm“, aber die Brisanz der Botschaft, dass ein Goldmariechen auch eine faule Schwester haben kann und man sich mit Müßiggang eher Hohn als Lohn einhandelt, vergaß man zu entschärfen. Im Zeitalter eines „besinnungslosen Grundeinkommens“ für viele Sozialpolitiker sicher die falsche Moral von der Geschicht. Trotzdem findet die colorierte Zeichentrickausgabe der oft düsteren Grimm‘schen Sammlung – plus zweier Fantasiegestalten namens „yoyo“ und „doc croc“ – immer noch ihren Weg ins Programm.

Warum Hasel-, wo doch auch fair angebaute Kolanüsse erhältlich wären?

Gleiches muss man von den dutzenden, oft aus Tschechischer Produktion stammenden Kinderfilmen, hier beim moviepilot aufgezählt, (z.B. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“) berichten, die in unerträglicher Weise die Vorliebe der Steppkes für Rollenspiele als „Ritter“ oder „Burgfräulein“ fördern, und feudale Strukturen in der Gestalt von allerlei schicken adeligen Potentaten, schönen Grafen und edlen Jungfrauen verharmlosen. Wenn sich wenigstens ein Sender fände, der gleich anschließend einen Aufklärungsfilm ausstrahlen würde.

Die Gefahr lauert besonders da, wo das Gift überholt geglaubter gesellschaftlicher Normen im empfindlichen Kindergehirn wieder seine Wirkung entfalten könnte. Wichtige Artenschutzprojekte wie das Wiederheimischmachen des Wolfes werden durch böswillig klischeehafte Geschichten wie der von „Rotkäppchen“ oder den „sieben Geißlein“ ins falsche Licht gerückt. Die Kategorien „gut“ und „böse“ werden falsch verteilt. Wer sagt, dass Zwerge, Hexen oder Riesen immer die Rolle der Fieslinge spielen müssen? Die Überarbeitung alter Streifen, die partout nicht aus den Videotheken verschwinden wollen, darf nicht beim Umtaufen des „Negerkönigs“ von Pippi Langstrumpf enden (von der Verächtlichmachung der sicher unverschuldet auf die schiefe Bahn geratenen Kleinkriminellen Donnnerkarlson und Blum mal ganz zu schweigen), sie muss sich auch den tieferliegenden problematischen Inhalten widmen. Alles Alte sollte auf den Prüfstand. Im „Butt“ werden die durchaus verständlichen Wünsche der Fischersfrau nach gesellschaftlicher Teilhabe zunichte gemacht, heldenhafte Nibelungentreue vom Typ Johannes (hier bei Märchen.com) sollte in unseren Breiten geächtet sein und die immer noch überbewertete Standhaftigkeit des gehbehinderten Zinnsoldaten taugt nicht zur Nachahmung.

Zum Fest die „guten alten Zeiten“ hochleben lassen?

Schon stehen wieder urige Gestalten aus dem ländlichen Schweden (Lönneberga) bereit, uns zu zeigen, dass selbst der tobsüchtige Bauer Svensson ein liebender Vater war, unter dem weder Knecht noch Magd zu leiden hatten. Wicki und seine starken Männer werden wieder – ebenso wie die sich ausschließlich von Schweinebraten nährenden Asterix und Obelix – ein stark idealisiertes Bild vom Leben in ethnisch homogenen Dorfgemeinschaften liefern. Von der kleinen Nervensäge Pumuckl werden die Kinder lernen, dass man sich wenigstens in München und selbst als zugelaufener Kobold an alle möglichen langweiligen und piefigen Regeln halten muss – weil der Meister als verlängerter Arm des gesellschaftlichen Integrationsdrucks das eben so bestimmt hat.

Neun Zwischenrufe
Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten: Wenn einer mit einer mutlosen Rede „Mut“ predigt
Es bleibt die Hoffnung, dass die Gestalter sich endlich ein Herz nehmen und Streifen, die ungenehme Partei bei kontroversen Themen ergreifen könnten, rechtzeitig aus dem Verkehr ziehen werden. Wer möchte sich schon mit dem Weltbild der Väter oder, was Gott verhüten möge, dem der Großväter oder Urgroßväter auseinandersetzen müssen? Wer da schmerzlos geblieben ist, dem kann schnell zu einer täglichen Überdosis verholfen werden: Im Forsthaus Falkenau, bei den „jungen Ärzten“, oder „diesen Drombuschs“ – Quotenerfolge, die ohne nach Normalität süchtigen Fans wohl schnell aus dem Programm fliegen würden. Wie die Lemminge wird ein ganz bestimmter Kreis von Zuschauern von ewiggestrigen Filmen angezogen, deren Kopien sich auch bei den großen Versandhändlern nach wie vor wie warme Semmeln verkaufen.

Im Weihnachtsprogramm darf der „Liebling der Nation“ James Stewart zum wiederholten Male fragen, ob „…das Leben..“ in der fast rein-weißen ländlichen Eintönigkeit der 40er in den USA „…nicht schön?“ gewesen sei. Don Camillo und Peppone zeigen anschaulich, wie sich auch größte politische Differenzen in der Nestwärme eines ausschließlich mit Landsleuten bevölkerten norditalienischen Dorfes lange vor der Gründung der Lega Nord in Wohlgefallen auflösen und auch ein Rückblick auf die Zusammensetzung deutscher Schulklassen in den Siebzigern wird den Zuschauern im „Fliegenden Klassenzimmer“ anlässlich der Feiertage gestattet.

Gottlob werden die öffentlich-rechtlichen Anstalten bald ausschließlich auf modernisierte Ausstrahlungen, die z.B. „f.u. Goethe auch in den Weihnachtsferien“ oder „Four blocks neben dem Weihnachtsbaum“ heißen könnten, umschalten können.

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