Tichys Einblick
Hardliner auf verlorenem Posten

Verzweifeltes Regierungs-Retten bei Hart aber Fair : „Wir hatten nie einen Lockdown“

Selbst in der ARD hat man genug vom "deutschen Speziallockdown". Allein zwei eingeladene Gäste halten die letzten Stellungen mit aller Kraft - und reiten sich dabei immer mehr in Argumentationsmuster, die wirklich jenseits jeder Realität sind.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Auch Frank Plasberg hat den Lockdown mittlerweile satt. So klang schon die sarkastische Einleitung, die der Moderator am vergangenen Abend bei „Hart aber Fair“ wählte. „April April! War nix mit Lockerungen“ – stattdessen feile man weiter am „deutschen Speziallockdown“. Wenn selbst beim Öffentlich-Rechtlichen Spitzenpersonal der Groschen zu fallen scheint, steht die Regierung gegenüber dem Volk wirklich mit dem Rücken zur Wand.

Auch die Runde diskutiert die Corona-Politik in regelrecht bahnbrechender, kritischer Art und Weise – zumindest für ARD-Verhältnisse. An diesem Abend werden nur zwei Gäste für Lockdown und das Regierungshandeln argumentieren: Karin Maag, die gesundheitspolitische Sprecherin der Union im Bundestag, und Elvira Rosert, eine hamburger Politikwissenschaftlerin und Mitautoren des „NoCovid“-Strategiepapiers. Beide hat Merkel mit ihrem sich parallel in Planung befundenen Total-Lockdown ganz schön ins Schlamassel geritten – wie soll man das noch im Fernsehen verteidigen? Der Rest der Runde, bestehend aus dem Journalisten Georg Mascolo, dem FDP-Generalsekretär Volker Wissing und der Allgemeinmedizinerin Sibylle Katzenstein, tut sich jedenfalls schwer dabei, dem Kanzleramtskurs noch etwas positives abzugewinnen. Ganz im Gegenteil: So lockdownkritisch ging es selten im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen zu, selbst der Moderator steigt mit ein.

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Doch die gewohnten lockdowntreuen Talkingpoints sowie ein gewisser Unterhaltungsfaktor kam bei weitem nicht zu kurz, denn die mangelnde Unterstützung aus der Runde haben Maag und Rosert mit ihren Einzelleistungen auf jeden Fall kompensiert. Sie feuerten aus allen Rohren totale Realitätsverweigerung ab. „Irgendwie mit dem Virus leben – das funktioniert nicht“, erklärt Rosert. Sie ist zwar medizinischer Laie, scheint aber doch an der Karl-Lauterbach-Universität für Politmedizin promoviert zu haben. Statt Durchhalteparolen brauche es jetzt die Totalversorgung der Bürger im Lockdown. Und der könnte sich noch lange hinziehen, wenn es nach der „NoCovid“-Strategin geht: „Wir reden eher von sechs Monaten“, vielleicht auch über Jahre, meint die Politikwissenschaftlerin. Das alles gestützt durch eine staatliche quasi Totalversorgung der downgelockten Bürger – über die Finanzierung verliert sie kein Wort. Volker Wissing, der als Freier Demokrat eigentlich auch mal Fragen zur Finanzierung dieser Ideen stellen könnte, fehlt an dieser Stelle.

Wie die „NoCovid“-Phantasien denn realistisch gestaltet werden sollen, fragt sich aber Plasberg: „Wie soll das aussehen? Niemand geht vor die Tür und wir ernähren uns zwei Wochen von Zimmerpflanzen?“ Als Moderator setzt er immer wieder Akzente gegen die Lockdown-Phantasien: Dass der „NoCovid“-Ansatz inzwischen selbst bei einem ARD-Mann auf einen solchen Widerstand stößt, ist zumindest ein kleines Highlight des Abends. Auch Sibylle Katzenstein konterkariert das Bild der „NoCovidioten“ gewaltig – wohlgemerkt als die „Stimme der Wissenschaft“ an diesem Abend, auf die man sonst ja so gerne und öffentlichkeitswirksam hören will. „Diese NoCovid-Strategie kann ich nicht ganz nachvollziehen“, erklärt die Ärztin, die selbst eine Praxis betreibt, zunächst vorsichtig. „Wir müssen realistisch an die Sache rangehen. Auch wenn die Inzidenzen hoch sind, bedeutet das nicht das Ende der Welt. Wir müssen nicht nur auf die Inzidenzen schauen“, heißt es wenig später schon mutiger. „Ich würde einfach die Eigenverantwortung wieder an die Menschen zurückgeben, anstatt den Leuten immer von oben herab zu sagen, was man zu tun oder zu lassen hat“. Das unterstreicht sie auch mit persönlichen Erfahrungen – in ihrer Praxis, so Katzenstein, habe sich trotz 2.700 betreuter Coronapatienten kein einziger Mitarbeiter infiziert. Mit ihrer Kritik stellt Katzenstein dar: Fernab von Lockdowns ist ein freiheitlicher Umgang mit Corona möglich, wenn man ihn will.

„Es ist schwierig, die Beschlüsse auf Logik zu überprüfen“.

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Dass man diesen Willen von Regierungsseite jedoch meidet wie der Teufel das Weihwasser, wird von Karin Maas unter Beweis gestellt. Allein schon, dass in unserer föderalen Ordnung doch tatsächlich so etwas wie Dissens zwischen Kanzlerin und MPs besteht, ist für die Politikerin ein Unding: „Ich würde mir wünschen, dass wir endlich mal wieder zu einer einstimmigen Entscheidung kommen“, erklärt sie. Einstimmig bedeutet dann natürlich, dass sich alle hinter Merkel ins Glied einreihen, deren Pandemiepolitik doch gar nicht so schlecht sei. 9% der Menschen seien schon geimpft, und das sei ein „guter Wert“, befindet Maag: Zack schlägt die nächste Breitseite aus den Bordbatterien der „SMS Parallelwelt“ ein. Nun müssten wir „hoffen“, dass wir im April genug Impfstoff vorrätig haben. Mehr als Hoffen geht in unserer durch Merkel geschaffenen Realität ja auch de facto nicht. Schnell korrigiert sich Maag: „Wir werden mehr Impfstoff haben“. Als die Wirkungslosigkeit von Merkels „Wellenbrecherlockdowns“ kritisiert wird, erklärt die CDUlerin allen Ernstes: „Wir hatten nie einen Lockdown“. Bald müssten die Kanonen der Realitätsverweigerer eigentlich wegen Überhitzung außer Betrieb genommen werden, denkt man sich.

Bei solchen Kandidaten fällt es dem Rest der Runde nicht schwer, vergleichsweise zu Höchstformen aufzulaufen. Georg Mascolo kritisiert Tatenlosigkeit der Regierung – das ist zwar nichts neues, aber irgendjemand muss ja auch die tiefhängenden Früchte pflücken. Und so schießt er sich auf das Regierungsversagen ein: Weil man sich mit sinnlosen Gerechtigkeitsfragen aufhalte, bremse der Staat des Impfen aus, erklärt der Journalist. Auch er benennt vielerlei Absurditäten und Undinge der deutschen Coronapolitik. Warum man in Mallorca, nicht aber in Deutschland Urlaub machen könne, versteht er ebensowenig wie Sibylle Katzenstein. Doch während Mascolo offen dafür zu sein scheint, Reisen „ohne triftigen Grund“ einfach zu verbieten, widmet sich Katzenstein dem Thema von einem anderen Ansatz: „Ich hätte gerne wissenschaftliche Begründungen, wenn meine Bürgerrechte eingeschränkt werden – mit welcher wissenschaftlichen Begründung kann mir der Urlaub in der Lüneburger Heide versagt werden?“ Nun, anscheinend mit keiner wirklichen. Frank Plasberg konstatiert in diesem Zusammenhang schlicht zutreffend: „Es ist schwierig, die Beschlüsse auf Logik zu überprüfen“.

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Katzenstein berichtet auch aus ihrem Alltag als Corona-Schwerpunktärztin in Berlin – und dieser Alltag besteht vor allem aus Frustration mit staatlichem Versagen und Verhindern. Das ging so weit, dass der Senat sie sogar davon abhielt, Tests für eine Schule zu organisieren – mit Plasbergs Einspieler zu Fällen von schlichtweg weggeworfenem Impfstoff eines von so manchen absurd-perversen Fällen staatlichen Hyperversagens, bei denen einem die Spucke wegbleibt. Auch FDP-General Volker Wissing kritisiert hier viel, laut und gerne. „Als Bürger keine Maske tragen – 50 Euro. Als Gesundheitsminister keine Impfstoffe, keine Tests und keine Masken besorgen – kein Problem!“ „Wir sehen dass die Tests in Deutschland produziert worden sind, in Österreich genutzt werden und bei uns nicht zur Verfügung stehen“. Maßnahmen wie Ausgangsperren seien unverhältnismäßig und Beherbergungsverbote nicht nur „idiotisch“, sondern auch verfassungswidrig. Gut gebrüllt, Löwe – wenn Wissing und seine Partei so lockdownkritisch handeln würden, wie sie reden, wäre vielen geholfen. Plasberg begleitet das ganze kritisch, immer wieder mit drastischen Worten gegen Staatsversagen und skandalöse Absurditäten aller Art – von nicht beschafften Tests bis zu weggeworfenen Impfdosen. Insgesamt findet sich in der Runde, von einem NDR-Journalisten über eine Ärztin bis zum Moderator selbst, eine Mehrheit gegen Merkel und „NoCovid“, die streckenweise schon Akzente gegen den Lockdown an sich setzt – das passiert, wenn man Lauterbach nicht einlädt, schimpft heute wahrscheinlich ein WDR-Redakteur.
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