Tichys Einblick
TE-Mediensafari

Schreiben und Meinen nach dem Attentat in Halle

Ein Text schaffte es in der vergangenen Medienwoche vor allen anderen, einen heftigen öffentlichen Streit auszulösen.

AXEL SCHMIDT/AFP via Getty Images
Ein Text schaffte es in der vergangenen Medienwoche vor allen anderen, einen heftigen öffentlichen Streit auszulösen: Der Artikel des Springer-Vorstandschefs und Journalisten Mathias Döpfner zu dem versuchten Attentat auf die Synagoge in Halle (und dem Tod zweier Zufallsopfer). „Nie wieder nie wieder’ hatte Döpfner sein Stück überschrieben, und darin die selektive Wahrnehmung des Antisemitismus in Deutschland in Medien und in der Politik und Bequemformeln wie „Nie wieder“ gegeißelt. Antisemitismus, stellte Döpfner fest, beginnt nicht erst dann, wenn in Deutschland ein schwer Bewaffneter loszieht, um Juden zu töten. Und Judenfeindlichkeit kommt nicht nur von rechtsextremer Seite. Sondern gerade in der letzten Zeit von Muslimen, militanten Palästinensern, außerdem in toxischem Vokabular und Gleichgültigkeit auch von etablierten Politikern und Medien. Mit ihrer politischen Korrektheit, das ist die zentrale These des Springer-Chefs, machen sich viele Medien und andere Tonangeber willentlich blind gegenüber einem erheblichen Teil des Judenhasses in Deutschland.

„Ein Zeichen war es vielleicht, dass wenige Tage zuvor, am 4. Oktober in Berlin, ein Syrer die Absperrung einer Synagoge überwindet, ‚Fuck Israel’ und ‚Allahu Akbar’ ruft und daraufhin ein Kampfmesser zieht“, schrieb Döpfner. „Er wird festgenommen und am Tag darauf wieder freigelassen. Neben Hausfriedensbruch bestehe kein weiterer Tatverdacht. Solche Zeichen werden verstanden. Als Einladung. (…)

Deutschlands Politik- und Medieneliten schlafen den Schlaf der Selbstgerechten und träumen den Wunschtraum der Political Correctness. Möchten sie nicht, dass diese Ruhe gestört wird?“

Döpfner nennt in seinem Text den Auftritt der beiden israelfeindlichen Rapper Shadi Al-Bourini und Shadi Al-Najjar am Brandenburger Tor in Berlin, die dazu aufrufen, Tel Aviv und Juden zu „zertreten“ (Beide bekamen übrigens, obwohl ihre Ansichten bekannt sind, problemlos Einreisevisa von der deutschen konsularischen Vertretung in Ramallah). Er hätte auch weitere Fälle nennen können: den eines jüdischen Schülers, der in einer Schule in Berlin-Friedenau so lange von überwiegend muslimischen Mitschülern gemobbt und gedemütigt wurde, bis ihn seine Eltern von der Schule nahmen. Oder den eines amerikanisch-jüdischen Gastprofessors in Bonn, dem ein, wie es dann im Polizeibericht hieß, Deutscher mit palästinensischen Wurzeln tagsüber im Hofgarten die Kippa vom Kopf schlug mit den Worten: „Kein Jude in Deutschland“. Oder den vom Berliner Gastronom Yorai Feinberg. Oder oder oder.

Schon damals warf der Herausgeber der „Jüdischen Rundschau“ Rafael Korenzecher der politisch-medialen Elite vor, „mit linksäugiger Erblindung den Feind der Juden gegen jede Evidenz auch heute noch ausschließlich rechts zu suchen“.
Der versuchte Messerangriff auf die Synagoge in der Oranienburger Straße kurz vor dem Attentat in Halle schlug sich übrigens nur als kurze Nachricht in Berliner Zeitungen nieder. Tichys Einblick Online gehörte zu den wenigen überregionalen Medien, die davon berichteten.

Der WELT- und ehemalige taz-Journalist Deniz Yücel warf Döpfner darauf vor, vom eigentlichen Thema abzulenken. Das Thema, meinte er, heiße Rechtsterrorismus, und dürfte auch nur so heißen.
Nein, Döpfners Thema hieß eben Antisemitismus. Allerdings war die WELT so frei, Yücel Platz freizuräumen, damit er gegen den Springer-Vorstandschef schreiben konnte.

Es gab in der vergangenen Woche noch andere Reaktionen auf Döpfners Text. Der Deutsche Journalistenverband überlegte in einem Tweet laut, ob Mathias Döpfner nach seinem „Hasstirade auf Journalisten“ als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) noch „tragbar“ wäre.

Nun ist der DJV eine ganz eigene Kategorie. Als Billy Six, Journalist für die „Junge Freiheit“, im sozialistischen Venezuela wegen seiner Reportertätigkeit vom Geheimdienst verhaftet und inhaftiert wurde, verkündete DJV-Sprecher Hendrik Zörner auf Anfrage fast schon stolz, sein Verband werde „nichts“ für die Freilassung von Six tun. Begründung: Six sei eben „rechts“.

Damit unterschied sich der DJV beispielsweise von „Reporter ohne Grenzen“ – die Organisation forderte unbeschadet aller politischen Differenzen die Freilassung des Journalisten. Genau so wie übrigens Deniz Yücel, der damals twitterte, journalistische Freiheit sei unteilbar.

Die Frage stellt sich also eher so herum: warum sollte ein Journalist mit Restselbstwertgefühl noch Mitglied im DJV sein? Dass dem DJV keine Argumente gegen Döpfner einfallen, sondern nur die Forderung, er müsse aus seinem BDZV-Amt entfernt werden, zeigt noch einmal und eigentlich überflüssigerweise, das in dem so genannten Journalistenverband die Verweser ihres Berufsstandes hocken.

Wer wäre eigentlich besser als Verlegerpräsident geeignet als Döpfner, jemand, der mit seinem Text offenbar einen Nerv trifft? In zehn Jahren werden vermutlich nur noch Medien existieren, die es heute schaffen, echte Debatten zu entfachen.

Trübe ist eher ein Beitrag auf dem Portal „Übermedien“ von Stefan Niggemeier, auf den der DJV sich beruft. Niggemeier, Gründer von „Übemedien“, behauptet dort, Döpfner spreche mit seinem Text über den toten Winkel vieler Medien beim Thema Antisemitismus „der AfD aus der Seele“. Ich schätze Stefan Niggemeier, obwohl ich die Schlussfolgerung in vielen seiner Texte nicht teile. Meinungsähnlichkeit ist und war mir allerdings für eine Wertschätzung nie wichtig. Meine eigene Meinung kenne ich sowieso schon, und ich bin dankbar für jeden Text, der sich interessant liest. Sein Text über Döpfner als angeblichen Seelenredner der AfD zählt allerdings zu den deprimierenden, weil weit unter seinem sonstigen Niveau argumentierenden Wortmeldungen.

Auch deshalb übrigens, weil die „Seele der AfD“ gerade nach Halle ein weites Feld ist. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Parlament, retweetete eine Textbotschaft, in der es hieß, die Opfer von Halle seien „eine Deutsche“ und „ein Bio-Deutscher“ gewesen: „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Abgesehen davon, dass es wohl eher nur Synagogen waren: Der Urheber des Tweets meinte also, Deutsche beziehungsweise „Bio-Deutsche“ und Besucher von Synagogen gehörten nicht zur gleichen Kategorie, ein Deutscher könne also kein Jude sein und umgekehrt. Was ziemlich genau den Nürnberger Rassegesetzen der Nationalsozialisten entspricht. Gegenüber TE rechtfertigte sich Brandner, er habe den Tweet ja nur kommentarlos retweetet, das bedeute bei ihm keine Zustimmung. Und dass ein kategorialer Unterschied zwischen Deutschen und Juden behauptet würde – auf diese Interpretation sei er gar nicht gekommen. Die liege ihm natürlich fern. Jetzt, da er dafür sensibilisiert sei, würde er diesen Tweet natürlich nicht mehr weiter versenden. (Mehr dazu in einem weiteren Beitrag auf TE).

Brandner war nicht der einzige Politiker, der nach dem Anschlag von Halle auf Twitter offenlegte, wie es in ihm denkt. Der vor kurzem aus der CDU ausgetretene, aber von Ex-Generalsekretär Ruprecht Polenz hoch geschätzte Christian Säfken schaffte es, die Gewalttat nicht nur mit der AfD in Verbindung zu bringen, sondern irgendwie auch mit den Ostdeutschen.

Wer wissen möchte, warum die CDU heute im Wählerzuspruch ungefähr dort steht, wo die SPD bei der letzten Bundestagswahl landete (sechs bis sieben Prozent CSU muss man ja beim Unions-Wert immer abziehen), der muss sich eigentlich nur die Twitter-Chronik dieses patenten Unionschristen durchlesen.

Hoffen wir einmal, dass er nicht der Partei in toto aus der Seele schreibt.

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