Tichys Einblick
ZDF-Primetimesendung mit Hendrik Streeck

Ein unschuldiger Boxsack für Lockdown-Hardliner

Das ZDF macht eine Sendung mit Hendrik Streeck. Das sorgt im Vorfeld und danach für große Empörung. Die 45-Minütige Dokumentation ist dabei aber mehr als harmlos.

Screenshot ZDF: "Corona - Pandemie ohne Ende?"

Zur Primetime zeigt das ZDF eine Sendung mit Hendrik Streeck: „Corona – Pandemie ohne Ende“. Allein diese Ankündigung sorgte für Furore, Böhmermann und die Netzgemeinde machten ordentlich Stimmung. Der Streeck lag so oft falsch, seinetwegen sterben potentiell tausende Menschen, warum darf der ins ZDF?

Streeck wird im Zusammenhang mit AstraZeneca vorgeworfen, dass er Mitglied des advisory boards eines zu Johnson & Johnson gehörenden Pharmazieunternehmens war. Deshalb habe er vor einigen Tagen in einer Talkshow eine mögliche Rückrufaktion von AstraZeneca als Beispiel genannt, angeblich um Stimmung gegen die Vakzine zu machen und so die Konkurrenz für den Impfstoff von J&J zu beseitigen. Die Theorie ist etwas weit hergeholt. Über den AstraZeneca-Stopp sagte Streeck gegenüber n-tv etwa jüngst: „Ich bin überzeugt davon, dass wir am Ende der Woche oder Anfang nächster Woche wieder mit Astrazeneca impfen werden, weil sich zeigen konnte, dass dieser Impfstoff eben nicht gehäuft zu Nebenwirkungen führt.“ Wirkt nicht gerade wie ein Agent eines Konkurrenzunternehmens. Egal, er soll trotzdem ein von der Pharmaindustrie gelenkter Panikmacher sein. Das kommt übrigens von den gleichen Leuten, die an jeder Ecke Verschwörungstheorien ausmachen.

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Nach der ganzen Vorfeldkritik ist die Sendung selbst am Dienstagabend dann zumindest gemessen in der Skandalskala enttäuschend. Der Verlauf der Pandemie wird geschildert, die Heinsberg-Studie, wie Aersole funktionieren – ein Lexikon der allgemeinen Corona-Erkenntnisse. Sogar die These vom Klimawandel, der neue Virus-Erkrankungen fördere, wird breit skizziert – von Lockdown-Kritik fehlt jede Spur. Wie auch meistens von Hendrik Streeck. Denn die Sendung ist zwar nach ihm benannt, er selbst tritt aber nur sporadisch in Harald-Lesch-Manier auf und macht ein paar Übergänge, ohne groß inhaltlich Standpunkte zu beziehen. Das Virus kenne keine Grenzen, wenn das ganze eins gezeigt habe, dann das die Weltgemeinschaft besser zusammenarbeiten müsste – Phrasen wie diese sind die Regel. Die ganze Sendung arbeitet mit durchgestylten Animationen, sogar mit Schauspiel-Einlagen und nachgespielten Rekonstruktionen etwa des Heinsberg-Hotspots – ganz im Stil einer TerraX-Sendung über die geheimen Schätze der Piraten oder einer Dokumentation über die dunkle Macht der Geheimbünde. Inhaltlich liefert die Sendung wenig neue Akzente und kocht alte Suppe nochmal neu auf.

Einen Punkt macht die Sendung dann doch: Corona wird nicht die letzte Virus-Welle dieser Art sein, so etwas kann schnell wieder kommen. Doch der einzig logische Schluss daraus wird dem Zuschauer überlassen, nämlich, dass wir dann ja wohl nicht immer mit Lockdowns sondern nur mit einer grundsätzlichen und langfristigen Strategie reagieren können.

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Hendrik Streeck rechnet mit dem Lockdown ab: "Hotspot - Leben mit dem neuen Corona-Virus"
An der Sendung ist nichts auszusetzen, abgesehen von einigen wilden Klimavorstößen und der völlig selbstverständlichen Behauptung, dass Corona von der Fledermaus natürlich auf den Menschen übergegangen ist. Aber es wird immerhin nicht einfach behauptet, dass wir alle in eine tödliche dritte Welle schleudern. Man skizziert einfach, was war und wie die Politik reagiert hat. Für eine ZDF-Dokumentation ist diese Sendung recht neutral. Aber nach einem Fünkchen Kritik sucht man vergeblich.

Dennoch wird auch hierfür Streeck wieder verrissen. Medial weist man breit darauf hin, wie oft Streeck schon falsch lag, Zusammenstellungen seiner Irrtümer geistern herum und Twitter glüht auch ohne genauere Betrachtung der Sendung. Streeck ist einfach Streeck und der geht gar nicht. Der Bonner Professor ist der wohl meinungsärmste unter den Promi-Virologen, was ja auch an sich nichts Falsches ist. Aber ausgerechnet er bekommt das mediale Image eines radikalen Sprücheklopfers aufgedrückt, während Karl Lauterbach & Co. als nüchterne Analysten gelten. Für eine ziemlich oppositionslose Medienblase ist Streeck ein unglaublicher Radikaler, weil er nicht ausnahmslos immer für den Lockdown war. Er ist brav und wehrt sich nicht – und taugt als idealer Boxsack für eine aggressive Hardliner-Szene.