Tichys Einblick
„Das deutsche Kind“

Politisch korrektes ARD-Rührstück mit Rosamunde-Pilcher-Faktor

Die ARD, hier der NDR, lieferte mal wieder „edutainment“: unterhaltsam anrührend und politisch subkutan. Passend zur Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehöre, war am 4. April 2018 um 20.15 Uhr der 90-minütige Fernsehfilm „Das deutsche Kind“ zu sehen.

Screenprint: ARD

Die in Hannover spielende Story à la Rosamunde Pilcher besteht aus einer Kiste, die überquellend voll ist an allen echten oder virtuellen Problemen dieses unseres Landes sowie dessen vermeintlichen oder echten Klischees. Und das geht so: Die alleinerziehende Mutter Natalie Unger kommt nach einem nächtlichen „date“ als Radfahrerin bei einem Zusammenstoß mit einem LKW ums Leben. Testamentarisch hatte sie irgendwann vorher verfügt, dass ihre sechsjährige Tochter Pia als Vormund – ohne deren Wissen – eine befreundete muslimische Familie bekommt. Diese Familie besteht aus einem Mann namens Cem Balta, einem angehenden liberalen Imam, seiner Frau Sehra und der gemeinsamen Tochter Hanna. Pias Großeltern Christine und Theo Unger sind massiv gegen dieses Sorgerecht. Ihr Kontakt zu Tochter Natalie und Enkelin Pia war allerdings abgerissen, vermutlich weil die späteren Großeltern ihrer Tochter die Abtreibung des werdenden Mädchens ans Herz gelegt hatten. Nun wollen sie sich nicht damit abfinden, dass ihr Enkelkind in einer „fremden“ Familie aufwächst und womöglich eines Tages Kopftuch trägt. Sie unternehmen alles Mögliche, um das Sorgerecht für Pia zu erkämpfen. Am Ende ist alles „Friede – Freude – Eierkuchen“. Bei einer Feier zu Pias siebtem Geburtstag mögen sich dann alle. Was mit dem Kind wird? Einen „offenen Schluss“ nennt man das in der Film- und Literaturbranche.

So weit, so gut – so weit, so schlicht! Wären da nicht die überquellenden Problem- und Klischee-Kisten! Erst die etwas kleinere Problem-Kiste: Hanna eifert gegen Pia. Cem und Sehra sind sich uneins ob des Sorgerechts; Sehra, die Pia haben möchte, zieht sogar vorübergehend aus. Es gibt Streit mit den Großeltern um das Sorgerecht. Juristisch vertieft wird dies nicht, wiewohl es in der Frage der Vormundschaft von Großeltern und des Kindeswohls interessante, zum Teil höchstrichterliche Urteile gibt.

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Dann die Klischee-Kiste: Weil der angehende Imam Cem für einen weltoffenen Islam eintritt und auf Deutsch predigt, weil er ferner in einer Bürgerversammlung öffentlich über einen geplanten Moscheebau informieren will, wird er von seinen strenggläubigen Glaubensbrüdern zurückgepfiffen und nach Ankara gemeldet. Keinen Rückhalt findet er auch bei seinen türkischen Schwiegereltern, die es nicht einsehen, dass er das Sorgerecht für ein deutsches Mädchen übernimmt, wiewohl er für Pia zum Beispiel keinesfalls einen Weihnachtsbaum möchte („Er kommt mir nicht in die Bude“). Der Großvater Pias ist bloßes Anhängsels seiner Frau, aber Pias Oma gibt verbal und nonverbal das Biest. Sie mischt eine Bürgerversammlung zum Moscheebau auf, wirft Cem coram publico vor: „Dieser Mann hat uns unser Enkelkind genommen.“ Wenig später lässt sie Pia heimlich christlich taufen und mit einem Halskettchen samt Kreuz ausstatten; zum Ende hin unterstellt sie Cem und Sehra, sie hätten Pia entführt. Die Boulevard-Presse springt an, sie titelt mit Blick auf Cem auf der ersten Seite: „Ich war ein Salafist“. Die Gemeinderäume der türkischen Gemeinde werden verwüstet, es finden sich Schmierereien wie „Imam hau ab“, und an Cems Türklinke hängt später eine Plastiktüte mit einem Schweinskopf. Man könnte auch sagen: Nichts wird ausgelassen, filmische Klischees stehen gegen real existierende und vermeintliche Klischees – cineastisch freilich einprägsam inszeniert.

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Man möchte den Film als seichtes Rührstück abhaken, wäre da nicht die impertinente volkspädagogische, Punkt für Punkt antizipierbare Begleitmusik. Die ARD-Redaktion versteigt sich vorab schon in biblische Parallelen. Eine Nummer kleiner geht es nicht. Autor und Regisseur würden in ihrem Film, so heißt es, die alttestamentarische Geschichte des jüdischen Königs Salomon aufgreifen, der über den Anspruch zweier Mütter auf ein und dasselbe Kind zu entscheiden hatte. Hier seien es die Großeltern und die von der verstorbenen Mutter als Vormund testamentarisch gewünschte muslimische Familie. Dazu kommt etwas offenbar Selbsttherapeutisches. Der Autor Paul Salisbury sagt über seinen Impuls zum Film: „Die Idee zu der Geschichte kam mir nach der Geburt meiner Tochter. Ich habe mich gefragt: Würde ich unser Kind einem befreundeten Nachbarn zum Babysitten anvertrauen, der Moslem ist?“ Und dann erst die HÖRZU! Die meistverbreitete Programmzeitung pries den Film vorab in den höchsten Tönen an. So hieß es in HÖRZU: Pias Oma versuche mit Islam-Klischees, Pia der muslimischen Familie abzujagen. Muslime und christliche Nächstenliebe würden angeblich nicht zusammenpassen, aber nach diesem Film komme man definitiv zu einem anderen Ergebnis. Und der ultimative HÖRZU-Filmtipp lautet: „Hält Hasspredigern aller Couleur den Spiegel vor!“

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Bestellte (?) Netzeinträge auf der ARD-Seite (Schreibung jeweils sic!) tun ein Übriges: „Ganz toll und vorbildlich! Je mehr solcher Beiträge die Zuschauer betreuen desto mehr wird ihnen bewusst wie nützlich muslimischer Glauben bei der Bewältigung schlimmer Schicksalsschläge sein könnte. Diese Thematik, ein deutsches Kind in einer muslimischen Umgebung aufwachsen zu lassen ist faszinierend, das weckt Erinnerungan an von wilden, edlen und guten Indianern großgezogene Kinder weißer, leider abwesender Siedler-Eltern in alten Western, eine unglaublich aufwühlende Thematik. Das Erste beweist wieder einmal seine führende Stellung im Aufspüren von gesellschaftlichen, den Islam und Moslems schlimm diskriminierenden Themen. Das finde ich sehr gutt.“ Und dann auch noch: „Klingt nach einer Sternstunde des Erziehungsfernsehens.“ Der „Tagesspiegel“ verrennt sich mit Blick auf Bundesinnenminister Seehofer gar in das Lob: „Das ist der richtige Film zur richtigen Zeit.“

Man merkt jedenfalls die Absicht und ist verstimmt, zumal man solche „Produkte“ unfreiwillig über Zwangsgebühren mitfinanziert.