Tichys Einblick
Welche Sendung sah der Welt-Schreiber?

Nach Illner: Wenn einer in der WELT die Welt nicht sieht

So geht heute Journalismus, er ist oft faul, er will mehrheitsfähig sein. Eines bedingt das andere. Glaubwürdigkeit basiert aber nach wie vor nicht auf glauben wollen, sondern auf dem kritischen Blick, der nüchternen Einsortierung von Fakten und nicht zuletzt auf Informationen und einem konzentrierten Nachdenken über diese.

Screenpint: ZDF/maybrit illner

Die Welt schaut Fernsehen. Und während Stephan Paetow wohl am frühen Morgen noch ein Stündchen schaut, ausbessert, ausformuliert, was er am späten Abend vor dem Fernseher notiert, überlegt und schon vorkommentiert hat, haut der Journalist Felix Simon für die Welt um 1:55 Uhr kurz vor dem Einschlafen schon mal raus, was er sich zusammengebastelt hat, frei nach dem Motto: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst, der nimmt auch noch die Daumen der Nachtschwärmer mit ins Ranking.

Aber es ist besser geworden, seitdem wieder ein paar kritische Stimmen bei der Welt zu Wort kommen dürfen, auch wenn die manchem in der Redaktion Bauchschmerzen machen. Also kommt der flinke Herr Simon mit heilsamem Kamillentee daher oder es wollte nachts kein anderer machen, wir wissen es nicht. Und genauso liest sich das dann aber leider auch.

Nein, Debatten-ferner kann man kaum aufschreiben. Ein Beitrag, wie aus der Mottenkiste der Zuwanderungsdiskussion, damals, als die BILD noch Refugees Welcome-Aufkleber mitlieferte wie Bingokarten. Und man kann leider auch nicht alles auf das jugendliche Alter des Schreibers (*1993) schieben oder etwa darauf, dass Simon laut Freitag mittlerweile von London aus tätig sein soll: Die Tweets seines Twitter-Accounts sind fast durchgängig englisch formuliert. Natürlich, im digitalen Zeitalter kann man von überall aus der Welt über alles in der Welt schreiben. Eine Wahrheit bleibt allerdings: Wer schreiben will, wie das Brät in die Wurst kommt, sollte beim Schlachter vorbeischauen und nicht aus dem Friseurstuhl heraus kommentieren, weil der Friseur gerade was Schlaues über die Welt erzählt hat.

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Felix Simon hält den BAMF-Skandal für so etwas wie eine rechte Erfindung. Er kommentiert die Gesprächsrunde bei Illner so: „Ginge es um die vermutete Bewilligung von Sozialleistungen an 1.200 Deutsche ohne ausreichende Rechtsgrundlage, würde das Thema vermutlich nicht einmal in den Medien Erwähnung finden.“ Nun ist das in zweierlei Hinsicht ärmlich: Zum einen, weil, wer die Debatte verfolgt hat, längst weiß, dass diese Fälle aus Bremen nur das Spitzchen des Eisbergs sind, das bestätigte gerade sogar die Initialgeberin des Skandals an Ort und Stelle, darauf verweist die Bundesregierung selbst, wenn sie auf eine kleine Anfrage der Linken schon im Oktober 2017 Statistiken über weitere eklatant abweichende Zahlen aus anderen Bundesländern bezüglich der Annerkennungsquoten sendet.

Darauf verweisen ernstzunehmende Aussagen aus dem BAMF selbst, von Mitarbeitern und selbst noch aus dem eiligst anberaumten Innenausschuss sickert Erschütterndes durch. Klar ist also längst jedem, dass Bremen nicht der Ausreißer war, sondern nur das Systemversagen selbst offenbart. Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz bezeichnete beispielsweise die Vergabe sensibler Rechte an eine viel zu große Zahl von BAMF-Mitarbeiter und obendrein die mangelhafte Kontrolle dieser Rechte „unter Rechtsstaatsgesichtspunkten als extrem problematisch“.

Felix Simon weiß von alledem leider nichts, weiß auch nicht, dass die 40 Prozent erfolgreicher Asylklagen, die Robert Habeck, Parteivorsitzender der Grünen, bei Illner immer wieder penetriert, falsch sind, fast doppelt so viele, wie es in Wahrheit sind, was übrigens sogar schon in anderen Talkrunden und aufmerksamen Medien geklärt wurde. Ja, das hätte man wissen können. Diese Informationen sind nur einen Klick entfernt und auch in den sogenannten Leitmedien verfügbar, wenn man nur da nachlesen mag.

Aber wenn es Robert Habeck erwähnt und bei Illner niemand in der Runde bemängelt, dann wird es schon richtig sein, mag sich Simon gedacht haben. So geht heute Journalismus, er ist oft faul, er will mehrheitsfähig sein. Eines bedingt das andere. Glaubwürdigkeit basiert aber nach wie vor nicht auf glauben wollen, sondern auf dem kritischen Blick, der nüchternen Einsortierung von Fakten und nicht zuletzt auf Informationen und einem konzentrierten Nachdenken über diese. Ohne ausreichende Informationen, ohne ein Mindestmaß an Debattenfestigkeit sollte man die Finger davon lassen, selbst dann, wenn sich niemand anderes gefunden hat, der Nachts noch aufschreiben mag. Dann muss die Seite eben mal leer bleiben oder aus der Retorte gefüllt werden.

Nun darf man dem Welt-Autor immerhin zu Gute halten, dass er aus seiner Unlust und seinem Nichtwissen kein Geheimnis macht, wenn er seinen Artikel so eröffnet: „Eigentlich ist der BAMF-Skandal schnell erklärt: Eine Behörde hat versagt, sie hat es mit der Rechtsstaatlichkeit und der nötigen Bürokratie nicht so genau genommen. Eine typisch deutsche Affäre eigentlich, ein Skandal sicherlich, aber eigentlich kein besonders aufregender.“ So entsteht dann über Simon in seiner Welt der Eindruck: Alles unangenehm, bloß nicht tiefer graben, wie viel mehr müsste man dann wissen, mit wie vielen verstörendes Details mehr sich beschäftigen, wie viel Mehrarbeit läge auf dem Tisch, wenn man zu wühlen begänne, aber um 1:55 Uhr fertig sein will?

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Christian Lindner würde gerne so tun, als hätte er Maulwurfqualitäten. Hat er welche? Der Anti-Maulwurf Felix Simon kommentiert das so: „FDP-Chef Christian Lindner machte hingegen den großen Topf auf. Er ist der Meinung, es habe „politische Fehler gegeben“ und will eine bestmögliche Durchleuchtung.“ Und wenn Robert Habeck (Grüne) mit Joachim Herrmann (CSU) in der Frage des „Staatsversagens“ übereinstimmt, das habe es nicht gegeben, dann will Felix Simon das allzu gerne glauben, so eine doppelt bestätigte Gewissheit erspart lästige journalistische Arbeit. Welche individuellen Interessen allerdings Lindner, Habeck und Herrmann haben könnten, dürfte in dieser Frage nicht ganz unwichtig sein.

Kurios wird es, wenn Simon sich empört, dass Herrmann und Lindner darauf abheben, die Maghreb-Staaten seien immerhin begehrte Urlaubsländer, das allein spräche doch für die Bewertung als sichere Herkunftsstaaten. Nun ist das sicher saftig formuliert, aber es betätigt letztlich nur, was die große Koalition mit den Stimmen beider Fraktionen längst vereinbart hat: Zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden Länder, deren Asyl-Anerkennungsquote unter fünf Prozent liegt.

Aber wenn wer auch davon noch nie gehört hat, der schreibt dann eben: „Wirklich peinlich wurde es jedoch (…) für Christian Lindner und Joachim Herrmann. (…) Wenn die Rechtsstaatlichkeit solche Freunde hat, wozu braucht sie dann noch Feinde? “ Nein, peinlich ist hier etwas ganz anderes. Wir haben gerade kurz darüber gesprochen. Über die Arbeit eines Journalisten, der nachts bis 1:55 Uhr für die Welt was aufgeschrieben hat, dass die Welt nun wirklich nicht gelesen haben muss.