Tichys Einblick
Der Talk vom Donnerstagabend

The Big Easy bei Markus Lanz: Fünf Köpfe, eine Meinung – mal wieder

Markus Lanz scheitert erneut an sich selbst. Fünf Köpfe, eine Meinung. Gruppenkuscheln statt Kontroverse. Wenn alle dasselbe sagen, ist es Essig mit Debatte.

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

„Leute, die eine andere Meinung haben, werden sich zehnmal überlegen, ob sie da die Wahrheit sagen. Weil sie wissen, was das für Konsequenzen für sie haben kann.“ Sagt Autor Adrian Geiges bei Markus Lanz. Mit diesen Sätzen will er die Zustände im aktuellen Moskau unter Wladimir Putin beschreiben. Und zugleich beschreibt er, wenn auch ungewollt, die Zustände im Zweiten Deutschen Fernsehen unter Markus Lanz. Denn auch die Talkrunde am Donnerstag zeigt eindrücklich: Wer anderer Meinung ist, hat bei Lanz nichts zu suchen. Er wird erst gar nicht eingeladen. Oder Schlimmeres. Am Abend wurde bekannt, dass die Bonner Professorin Ulrike Guérot gefeuert wurde. Sie war zuletzt bei Lanz mit extrem prorussischen Thesen aufgefallen. Sie soll 2016 abgeschrieben haben, fällt der Uni jetzt ein.

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So haben auch die Worte des Journalisten Michael Thumann, der wegen seiner semantischen Passgenauigkeit schon zum zweiten Mal in diesem Monat bei Lanz zu Gast ist, eine ungewollt doppelte Bedeutung. Eigentlich will er Putin beschreiben, wenn er sagt: „Er benutzt ja das Smartphone nur als Telefon. Es wird ihm dann vieles vorgelegt. Da wird ihm natürlich möglichst wenig Störendes vorgelegt.“ Es bestehe die „große Gefahr, dass man sich am Ende selbst belügt und so verirrt, wie das in der Ukraine passiert ist. Die hören, was sie selbst bestellt haben.“ Lanz nickt zufrieden. Aber den doppelten Sinn der Worte versteht er nicht. „Freiwillige Gleichschaltung“ hat das vor Jahren die Autorin Evelyn Roll der Süddeutschen Zeitung benannt. Sie meinte Berlins Politblase damit. Aber es ist lange her.

Stattdessen unterstellt Thumann Putin eine gewisse Weltentrücktheit: „Wenn Du in einer Diktatur an der Spitze bist, dann erfährst Du nie mehr die Wahrheit.“ Das ist richtig beobachtet. Aber auch dieser Satz hat durchaus eine gewisse Rückschlagskraft wegen der Blasen, in der sich auch andernorts Politiker jenseits der Realität bewegen und Gesetze der Physik oder der Geometrie nicht mehr wahrnehmen. Lanz selbst allerdings bleibt das verborgen. Der Moderator hat mit seiner Kult-Talkshow längst ein Stadium erreicht, in dem er die Wahrheit nicht mehr erfährt. Weil er sie gar nicht sucht. Es ist ja nicht falsch, was da gesagt wird. Es gilt nur in zwei Richtungen. Das herauszuarbeiten wäre eine Chance. Sie wird vertan.

Den Krieg in der Ukraine sieht Thumann als „Großangriff auf die europäische Ordnung“. Denn die Ukrainer seien für Putin „Brüder, die wollen sie ja nur befreien. Der Westen ist der Feind, und dem Westen ist der Krieg erklärt.“ Lanz stimmt ein und versteigt sich zu der These: „Der erfolgreichste Exportartikel russischer Art ist mittlerweile einfach Gewalt. Mit Blick auf Tschetschenien, mit Blick auf Aleppo, mit Blick auf das, was in Burkina Faso, in Mali, in Libyen, in vielen Orten passiert und eben jetzt auch in der Ukraine. Es sind immer Russen, es geht immer um brutale Gewalt.“ Dass auch die USA mit Kriegen Gewalt ausgeübt haben, wird in der Welt des Markus Lanz kurzerhand ausgeblendet. Das Böse ist klar verortet.

Auch Putins jüngste Rede ist Thema an diesem Abend. Für Lanz nur eine Ansammlung von „Lügen, aneinandergereiht“. Die Politologin Margarete Klein stimmt mit ein: Die Rede sei einfach nur „absurd“ gewesen. Wenn Putin den Verfall der westlichen Gesellschaften anprangere, die „Wokeness“ in allen ihren seltsamen Ausprägungen, dann mag bei manchen Zuschauern ein Aha-Effekt eintreten. Für Klein allerdings ist die Sachlage klar: „Sie denken sich einfach Dinge aus, um uns zu dämonisieren.“ Dass es dazu nicht mehr viel braucht, ist keine Überlegung wert. Die Blase wirkt, sie reflektiert sich niemals selbst.

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Der CDU-Politiker Norbert Röttgen setzt noch einen drauf. Die Gaspipeline „Nord Stream 2“ etwa bezeichnet er als „eine Waffe gegen die Ukraine“, die der Westen installiert habe. „Wir müssen das aufarbeiten“, findet auch Lanz. Aber wie, aber wie nur? Mit einem „Untersuchungsausschuss gegen die Kanzlerin“ etwa? Röttgen hingegen sieht „Strukturen“, die bis heute wirken und die, „wenn wir es nicht benennen, weiter wirken“. Thumann schlägt eine „deutsche Wahrheitskommission“ vor. Die Runde nickt, allgemeine Zustimmung. Hach, so gemütlich, dieser Abend. Was aber, wenn dann etwas rauskommen sollte etwa in dem Bundesland, wo lästige Steuererklärungen einfach verbrannt werden?

Die einseitig besetzte TV-Runde prangert die „Propaganda-Maschienerie“ in Moskau an. Dass sich etwa der Osten der Ukraine als russisch empfinden könnte, ist für die abendliche Runde eine reine Erfindung. „Im Donbass gibt es zwar russischsprachige Menschen“, sagt Klein, „aber wir wissen, dass der Großteil für den Verbleib in der Ukraine war“. Die ganze Geschichte werde von Putin bewusst vereinfacht. Die Sezessionsbestrebungen sind von außen gekommen. „Da ist bewusst eine Erzählung aufgemacht worden.“ Um eine Aufarbeitung der russischen Einflussnahme in Form grüner Männchen könnte man sich ja bemühen, da gäbe es genug, um sich dem zu nähern. Lanz spricht von Bananen und erklärt: „Es gibt immer einen russischen Blick.“ Thumann weiß genau, was der Moderator meint und erklärt es der Runde noch einmal. Es „bedeutet, dass Fakten biegbar sind, gebogen sozusagen“. Aber nur in Russland, wohlgemerkt, nicht im Westen. Denn der Westen ist ja der Wahrheit verpflichtet. Gut, dann wäre das auch geklärt.

Auch das „Manifest für Frieden“ kommt zur Sprache. Die Initiative der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Feministin Alice Schwarzer war unlängst bereits Thema bei Lanz. Der erinnert sich an den Abend, aber nicht so richtig. Die russische Journalistin Ludmila Melnyk hatte Wagenknecht in jener Sendung den Vorwurf gemacht, sie werde offenbar von Putin bezahlt. Lanz beteuert jetzt, dass er diese Unterstellung „sofort zurückgewiesen“ habe, was nachweislich nicht stimmt. Auch jetzt freut er sich geradezu diebisch und mit schlecht gespielter Überraschung, als Thumann erzählt, dass Wagenknecht in Russland „sehr bekannt“ und „wohlgelitten“ sei. Über andere zu reden ist einfach.

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Bleiben die Chinesen. Was ist mit deren Friedensinitiative? „Ist das eine gute Sache?“, fragt Lanz, und er kennt die Antwort bereits genau. Röttgen steht dennoch bereit, sie für ihn nochmal zu formulieren: „Ich ärgere mich darüber, dass schon mit dem Begriff ein Erfolg für die Chinesen verbunden ist“, sagt der CDU-Stratege des Äußeren. Es klinge so, „als sei das schon der chinesische Friedensplan“. Dabei sei doch völlig klar: „Es hat nichts mit Frieden zu tun. Das ist das Gegenteil von Frieden, es ist eine politische Parteinahme.“ Jedem Deutschen, der darin ein positives Zeichen sieht, spricht Röttgen die Intelligenz ab. Das seien „nützliche Idioten, die sagen: ‚Guck mal, das ist doch mal eine Initiative‘“. Dabei sei es nichts weiter als „ein diplomatischer Coup“. Mag sein. Wo bleibt der westliche Coup?

Und werden die Chinesen diesen Krieg möglicherweise aktiv unterstützen? „Ich sehe nicht, dass große Waffensysteme geliefert werden aus China“, sagt Klein beschwichtigend. Röttgen bestätigt. „Ich halte es für praktisch ausgeschlossen.“ Der Zuschauer ist beruhigt. Die wissen immer alles so genau in diesen Runden. Die wissen eigentlich alles. Auch Autor Geiges hat einen klaren Blick auf das Geschehen am anderen Ende der Welt: Es gehe jetzt lediglich darum, „China bis zum Jahr 2049 zum führenden Land der Erde zu machen. Und da ordnet sich auch diese sogenannte große Friedensinitiative ein.“ Lanz fasst zusammen: „Lass uns einfach nur noch Initiative sagen. Das find ich gut. Das richtige Framing für diese Sendung jetzt hier.“

Womit er Recht hat.

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