Tichys Einblick
Ohne FDP und Grüne

Maischberger: Die verstörte Republik

Jeder der geladenen Gäste war wohl mindestens schon einmal bei Maischberger. Und jeder schien auf seine Weise eine Verstörung mit in die Sendung gebracht zu haben.

Screenprint: ARD/maischberger

Wurde der Autor hier über die Jahre schon völlig mürbe gemacht? Oder zu abgestumpft, um zu begreifen, was anderen so schnell so klar war? Am Morgen nach Maischberger erzählen eine Reihe nachts euphorisch hingeschriebene Emails von guten Freunden, die Maischberger-Sendung wäre ausnahmsweise mal richtig interessant und gut gewesen, während der Mailempfänger sich wieder nur geärgert hat. Am meisten übrigens darüber, dass er während des mittleren Drittels der Talksshow glatt eingepennt ist und nach dem Aufwachen also zurückspulen und den Maischberger-Abend bis halb eins in der Nacht künstlich verlängern musste, um noch irgendwie angemessen darüber berichten zu können.

Jeder der geladenen Gäste war wohl mindestens schon einmal bei Maischberger. Und jeder schien auf seine Weise eine Verstörung mit in die Sendung gebracht zu haben. Fangen wir bei der Lady in Red an: Sahra Wagenknecht war anhaltend verstört darüber, dass die Linke neben der AfD ein Stück ihrer Daseinsberechtigung im Deutschen Bundestag verliert. Die politischen Torpedos Richtung Merkel-Regierung kommen allesamt von rechts, wie die schiere Masse und die veritablen Klickzahlen der dazugehörigen Youtube-Filmchen eindrucksvoll beweisen. Alexander Gauland schien schon verstört darüber, dass es einfach immer so weiter geht mit seiner AfD: Noch der größte Supergau irgendeines hinterwäldlerischen mitteldeutschen AfDlers und trotzdem bekommt der sogar den Posten des Rechtsausschuss-Vorsitzenden.

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Und gleich zu Maischberger in der selben Sache: Denn die war über etwas verstört, was sie so lange erhofft, aber nicht mehr für möglich gehalten hätte. Endlich das Youtube-Video eines hochrangigen AfD-Politikers zu finden, dass auch ihren Zuschauern brutal in den Augen und Ohren brennen würde: Der komplett asoziale Auftritt des Geraer AfD-Abgeordneten Brandner war in seiner Widerlichkeit die Atombombe unter den Stammtischparolen der Rechtspartei. So eindeutig, dass Maischberger eine überraschende Kühnheit an den Tag legen konnte, als sie ein Filmchen des ebenfalls eingeladenen SPD-Vize Ralf Stegner nachlegte. Als der sich gerade Freudentränen über Stephan Brandners „KKK“-Ausraster wegwischte, knallte ihm die Moderatorin einen Stegner-Tweet um die Ohren: „Gauland ist der übelste Hetzer seit … Ekelhafte Anwürfe des Stahlhelmintellektuellen der Rechtspopulisten.“ Wumms, das saß. Stegner mal für den Moment leiser.

Ebenfalls mit in der Runde der Verstörten – gleich neben Stegner auf der Zweisitzer-GroKo-Bank – der CSU-Politiker Joachim Hermann. Der bayrische Innenminister war darüber verstört, dass ausgerechnet ihm in diesem Stegreiftheater die Rolle zukam, die AfD so oft wie möglich zu beleidigen, zu diskreditieren, sich abzugrenzen von einer Partei, die dem artigen Bayern so fremd ist, von der aber alle anderen behaupten, seine Partei versuche gerade, der Rechtspartei die Themen zu klauen. AfD-Themenraub – wahrscheinlich der launigste Straftatbestand von allen.

Kommen wir zu einer weiteren Verstörten. Bettina Gaus, die Dame von der taz – ja, worüber war sie eigentlich verstört? Denken wir noch einen Moment darüber nach und kommen zu dem Herrn, der wahrscheinlich die größte Verstörung durch die Sendung schleppte, kommen wir zu Christoph Schwennicke. Der ist Chefredakteur des Cicero und wird immer mal wieder eingeladen, weil er zu allem und Nichts irgendeine Meinung aus dem Zylinder ziehen kann, die er zudem auch noch mit beeindruckend schlacksiger Körpersprache zum Besten gibt. Wenn einer Stegreiftheater machen kann, dann er. Die freie Labervolksbühne für den semmeligen deutschen Michel als Einmann-Show.

Dieser Herr Schwennicke war nun deshalb der Verstörteste von allen, weil sein Vortrag eben immer so angelegt ist, dass er unterbrochen werden muss. So ist das eben, wenn dem Gesagten keine Idee zu Grunde liegt, aber immer noch irgendwie ganz schön ausgedrückt klingt, dann muss nämlich die Schere kommen, aber sie kam einfach nicht und machte so das viel größere Aua. Also wurde das Wortgespinst aus Nichts und wieder Nichts nur immer größer und größer, bis Schwennicke in seinem eigenen vorlauten Wortsalat geradezu zu ersticken schien.

Schwennicke und Gaus flankierten Maischberger, waren also rechts und links vom Moderatorinnenthron platziert wie journalistische Paladine, rechts und links vom Spickzettelhost. Also los geht’s. Thema der Sendung, wie konnte es anders sein: „Der GroKo-Poker: Letzte Chance für Merkel & Co?“

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Eine unwichtige Randbemerkung vorweg: Dieser Joachim Hermann ist natürlich ein echtes Goldstück, der wirkt nie unsympathisch. Aber diese beige-orange-braun diagonal gestreifte Krawatte, wie kann das sein? Die Hoffnung bestände ja, dass sie irgendeinem Retro-Schick folgen würde, wie bei Schwennicke, der das braun-beige-dunkelblaue Pendant trägt, aber die Chance ist deutlich höher, dass es sich bei Herrmann um ein Original aus den Siebzigern handelt. Stegner hingegen kommt ohne, er hat wahrscheinlich noch in der Garderobe versucht, mit seiner roten Gauland zu strangulieren, der wie gewohnt die Gauland-Krawatte trägt: gelber Hund auf grünem Grund. Ein Bestseller bei Amazon, dort beworben mit den Worten: „Die Krawatte eignet sich für den unangepassten Herren mit Geschmack.“

Natürlich geht es zunächst um den Familiennachzug. Einfach gesagt: Die SPD will ihn, die Union offiziell nicht mehr. Deshalb muss die GroKo angemessen lange streiten, damit der Bürger da draußen versteht, dass man es sich nicht leicht macht. Stegner fand das Winken vom Balkon schlimmer als seine Vorwürfe an die CSU, sich die Themen der AfD zu eigenen zu machen. Nun hieß es jahrelang durch alle Parteien, das Thema Zuwanderung sei eines der AfD, erstaunlich, dass eben diese Zuwanderung nun Masterthema der SPD also auch der GroKo geworden ist.

„Jeder steht zu dem, was man vor der Wahl versprochen hat.“, weiß Herrmann. Nun müsse man seinen Mitgliedern teilweise das Gegenteil erklären. Das ist zumindest merkwürdig, denn das nach der Wahl eine andere Politik gemacht wird als versprochen, ist eher die Regel als die Ausnahme – unabhängig davon, wer nun mit wem koaliert. „Wir sind der Stachel im Fleisch der Union, im Fleisch einer Regierung, die eben seit 2015 eine völlig falsche Politik gemacht hat.“ So eröffnet Alexander Gauland für sich den Maischberger-Abend.

Interessant, dass auch hier wieder nur die Frage gestellt wird, ob es die SPD, ob es Stegner schafft, seine Parteimitglieder final für die GroKo zu gewinnen. Niemand erwähnt, dass es längst innerhalb der Union Leute gibt, die auf ein Scheitern hoffen, weil ein Scheitern auch das Ende der Ära Merkel einläuten würde.

Dann Schwennicke. Er spricht von Nahtoderfahrung der Ex-Koalitionäre an der Seite Merkels, von schwarzem und grünem Tee, letzteren könne man zweifach aufbrühen. Kaffeesatzleserei mit Teebeuteln: Cicero halt, das Magazin für politische Kultur. Dann Herrmann mit der ihm von Ralf Stegner gleich zu Beginn zugewiesenen Aufgabe, dieses Mal doch bitte das AfD-Bashing zu übernehmen. Diese Rollenspielchen sollte beide noch in den Koalitionsvertrag übernehmen.

Stegner nennt Gauland mehrfach den „Herrn da gegenüber“. Der setzt nicht auf Neuwahlen, weiß aber, dass die AfD von Neuwahlen profitieren würde. Gauland hat dazu gelernt: Er sitzt viele Angriffe einfach stumm weg, wo er sich früher zu einer Replik hatte hinreißen lassen, die dann regelmäßig viral ging. Nun sitzt die AfD wahrscheinlich zukünftig als Oppositionsführer fest im Bundestag, da muss man in einer Talkshow nicht mehr aufgeregt auf dem Sessel herumrutschen.

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Sahra Wagenknecht bemerkt, dass das Sondierungspapier der GroKo doch fast dasselbe sei wie das Jamaika-Papier. Es fehle die Unterscheidbarkeit. Die allerdings kann den Linken keiner absprechen. Die haben ihre Themen. Aber die verhungern leider unter dem Masterthema Zuwanderung. Und ausgerechnet dazu hat die Linke zwar offiziell eine programmatische Haltung, spricht aber am liebsten nicht darüber, weiß man doch um die zuwanderungsfernen Haltungen vieler Mitglieder der eigenen Partei, angefeuert noch von früheren Anmerkungen von Sahra Wagenknecht selbst.

Für Alexander Gauland ist die CDU völlig entleert, sie hätte keine Inhalte mehr und die SPD das Thema des unbedingten Familiennachzugs zu einem Masterthema gemacht, welches auf der Straße als weltfern empfunden werde. „Bleiben sie uns fern mit so einem Quark“, kontert Stegner, wie man ihn kennt, Willy Brandt sei selber Flüchtling gewesen. Stegner in Rage ist dann auch „schnurz“, was ihn Schwennicke fragt. Bettina Gaus glaubt gar nicht daran, dass die SPD an ihrem Fokus auf den Familienzuwachs in den Umfragen so brutal hat Federn lassen müssen. Wagenknecht ist fleißig bemüht, der AfD die Rolle der eigentlichen Oppositionspartei wieder wegzunehmen. Aber solange die SPD den Familiennachzug in den Mittelpunkt stelle und nicht die wichtigen sozialen Themen, bleibe es wohl dabei.

Christoph Schwennicke erinnert sich an den Apfelwein im Elternhaus, irgendwas mit Gärprozessen, die ihn an jene der AfD erinnern würden, man wisse noch nicht, ob Apfelwein daraus wird. Aber würde Schwennicke dann einen kräftigen Schluck nehmen wollen, wenn der Kellermeister den Korken knallen lässt? Wohl eher nicht. Hier offenbart sich dann die ganze Verstörung auch jenes Chefredakteurs, dessen Magazin in der Hochphase der Massenzuwanderung besonders unter dem Vorwurf gelitten hatte, rechtspopulistisch zu sein – von einem „Rechtsruck“ schrieb die taz. „Seit Beginn der Flüchtlingsdebatte nähern sich Texte des „Cicero“ dem rechten Rand. Was ist passiert mit dem Debatten-Magazin?“

Ja, was ist seitdem passiert mit Schwennicke, möchte man anfügen. Immerhin hat er bereits das Hauptstadtbüro der Süddeutschen Zeitung geleitet und stellvertretend das des Spiegels. Und nun fand er sich in den Leitmedien plötzlich auf dem Weg nach Schnellroda wieder, noch dazu in einem Moment, als er und ein Partner selbst finanzielle Verantwortung für das Magazin übernommen hatten.

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Aber man darf vielleicht nicht zu hart mit Christoph Schwennicke ins Gericht gehen. Denn seine Verstörtheit ist ja symptomatisch für fast alle in der Runde, die ja initiiert werden von einer Zuwanderung, die zuerst verharmlost, dann parteipolitisch und medial humanideologisch aufgeladen und erst jetzt nach fast drei Jahren als ein existentielles Problem für die Bundesrepublik Deutschland, ihren Sozialstaat und Europa, wie wir es bisher kannten, anerkannt wurde. Die Linke ist davon bewegungsunfähig, wo sie sich gerade jetzt besonders erfolgreich profilieren könnte, wo die SPD ihre soziale Verantwortung dem Bürger gegenüber fast vollständig dem Familiennachzug geopfert hat.

Es gäbe Stimmen in der CDU, die darauf warten, dass die Groko-Verhandlungen scheitern und damit auch Merkel. Stegner weiß es, Schwennicke stimmt zu. Für Maischberger scheinbar etwas neues, wie man aus ihrer leicht verstörten Reaktion schließen kann.

Die Union steht am politischen Sterbebett der Kanzlerin, die kein Vermächtnis hinterlassen hat, sondern das Erbsilber eingeschmolzen und an ihre persönlich eingeladenen Gäste verschenkt hat, während man an Alexander Gauland erkennen kann, dass sich die AfD, jetzt, wo sie im Bundestag sitzt, immer tiefer ins System eingraben kann, ohne dass anhaltend brutal-verbale Ausfälle noch irgendeinen größeren Schaden anrichten würden.

Deutschland bei Maischberger. Übrigens, dass die Grünen und die FDP nicht dabei waren, ist nicht einmal aufgefallen. Ist das schon der Wink mit dem Zaunpfahl, wo es für diese beiden Parteien zukünftig lang geht bei den Debatten im deutschen Bundestag? Dass die Grünen Geschichte sind, ist noch am ehsten nachvollziehbar, aber hat Christian Lindner mit seiner Absage an Jamaika nun doch die endgültige Beerdigung des Widergängers FDP eingeleitet?