Tichys Einblick
Talk zum Krieg

Linker fordert bei Anne Will die saarländische Lösung für die Ukraine

Zweite Reihe und abstrakte Debatte. Talkshows wie Anne Will drehen sich mit dem Thema Ukraine-Krieg im Kreis – bis der Linke Jan van Aken mit der saarländischen Lösung um die Ecke kommt.

Screenprint ARD / Anne Will

Talkshows wie Anne Will geben ein gutes Bild davon ab, wie hilflos Deutschland mit dem Krieg in der Ukraine umgeht und in welche außenpolitische Handlungsunfähigkeit es sich gebracht hat: Die Debatte ist abstrakt, verhandelt mehr Symbolik als Konkretes und ist buchstäblich wie metaphorisch weit von der eigentlichen Front entfernt. Entsprechend geht nur noch die zweite und dritte Reihe in die Shows.

Etwa Jan van Aken. Er war acht Jahre Bundestagsabgeordneter für die Linken – das ist fünfeinhalb Jahre her. Seine Aufgabe bei Will ist, die Gruppe um Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht (Linke) zu verteidigen, die sich mit einem Aufruf und einer Demonstration in Berlin für Friedensverhandlungen und gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen hat.

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Nun stellt van Aken bei Will die Frage: „Mit welchen Mitteln schaffen wir es, so viel Druck auf den Kreml auszuüben, dass es zu Friedensverhandlungen kommt?“ Hört sich spannend an. Hört sich gut an. Allerdings wie so oft bei Linken – nur so lange, bis es konkret wird: „Wir“ müssten China und Indien bei Sanktionen gegen Russland mit ins Boot nehmen, um Wladimir Putin ausreichend unter Druck zu setzen. Denn China und Indien hätten kein Interesse an diesem Krieg.

Auf einer idealistischen Ebene mag van Aken recht haben. Auf dieser idealistischen Ebene sind die Inder mit Sicherheit entsetzt über das Leid und Sterben in der Ukraine. Aber auf materialistischer Ebene? Am Dnjepr stirbt kein einziger indischer Soldat. Und die indische Wirtschaft profitiert vom Krieg. Das Land hat den lukrativen Job des Zwischenhändlers bei Rohstoffen übernommen. Deutschland zahlt gleich doppelt. Hohe Preise für Rohstoffe und Entwicklungshilfe gleich hinterher.

Deutschlands Wirtschaft profitiert nicht vom Krieg. Durch die Sanktionen sind die ohnehin hohen Energiepreise explodiert – dadurch ist die ohnehin hohe Inflation ebenfalls explodiert. Das Projekt Nord Stream liegt buchstäblich zerschossen in der Ostsee. Offiziell wissen wir nicht, wer hinter der Sabotage steckt. Offensichtlich tun wir nur sehr wenig, um es herauszufinden. Was wir wissen, ist, dass die USA das Ende von Nord Stream wollten – und nun davon profitieren, indem sie uns Fracking-Gas teuer verkaufen. Darum geht es übrigens bei Anne Will nicht – zu konkret, zu nah dran.

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Stattdessen geht es bei Anne Will um die Frage, ob wir uns mit Waffenlieferungen schuldig machen, weil durch diese Waffe russische Soldaten sterben. Klingt nach einer pastoralen Diskussion. Passenderweise hat sich Will Annette Kurschus für solche Gedankengänge eingeladen. Sie ist Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und sagt: „Ich bin überzeugt, dass keine Waffe Frieden schafft.“ Aber die evangelische Theorie sage, dass „rechtserhaltende Gewalt“ angebracht sei. Deswegen sei Kurschus für Waffenlieferungen.

Das klingt abstrakt, wirr und mühselig. Man möchte schon beim Lesen dieser Gedanken einschlafen? Beim Niederschreiben geht es einem nicht anders. Kurschus gehört zu den Akrobaten von staatlich unterstützten zivilen Institutionen, die zu jedem intellektuellen Spagat bereit sind, um der Regierung Recht zu geben. In der Pandemie sprach sie sich dafür aus, dass Kirchgänger einen Impfnachweis vorlegen müssen. Gut, schließlich heißt es ja auch Gottvertrauen und nicht Menschenvertrauen. Aber Kurschus sagte: „Wir wissen längst: Wer sich impfen lässt, schützt auch andere.“ Wir wissen längst, dass das nicht stimmte. Aber Schwamm drüber. Kurschus ist schließlich Pfarrerin, Gesundheitspolitik liegt ihr halt nicht – jetzt redet sie über Verteidigungspolitik.

Apropos Experten, die sich durch Versagen auszeichnen. Anne Will hat Christoph Heusgen abgestaubt und wieder ins Studio geholt. Er war zwölf Jahre lang sicherheitspolitischer Berater von Angela Merkel (CDU) und danach fünf Jahre lang ständiger Vertreter Deutschlands bei der UN. Heusgen ist einer der Architekten der Sicherheitspolitik, die Deutschland in diese hilflose Situation gebracht hat. Jetzt fachsimpelt er darüber, wie es weitergehen soll. Das ist so, als ob man einen Architekten nicht fragt, warum sein Haus eingestürzt ist – sondern sich ein neues von ihm bauen lässt.

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Heusgen will, dass die historische deutsche Schuld gegenüber der Ukraine in der aktuellen Politik berücksichtigt werden soll. Von der historischen deutschen Schuld gegenüber Russland spricht er nicht. Aber egal: Wie sich Heusgen den Umgang mit der deutschen Geschichte konkret vorstellt, hat er ohnehin als ständiger Vertreter Deutschlands bei der UN demonstriert. Dort stimmte er bei arabischen Hardlinern fast immer mit, wenn diese Resolutionen gegen Israel eingebracht haben. Kurzum: Heusgen widerspricht sich, Heusgen ist ein historischer Versager. Aber okay. Für Anne Will reicht’s.

Muss man noch erwähnen, dass Kevin Kühnert (SPD) auch in der Runde saß? Er meinte, wir wissen heute nicht, ob die Sanktionen gegen Russland die Ukraine näher an Friedensverhandlungen gebracht haben. Das wüssten wir erst nach dem Krieg. Das ist Politik im Sinne Heusgens. Ähnlich konsequent – und erfolgreich.

Schöner ist da die Idee von Jan van Aken. Er schlägt die saarländische Lösung vor. Die von Russland besetzten Gebiete der Ukraine wie die Krim sollen Mandatsgebiet der Vereinten Nationen werden. Sie bekämen einen Sonderstatus wie das Saarland zwischen 1945 und 1957. Deren Friedenstruppe müsste sich dann zwischen Russland und die Nato stellen. Das ist maximal weit von der Realität entfernt – aber ein typisches Topik für eine deutsche Talkshow.

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