Tichys Einblick
Juristen streiten über das Kriegsrecht

Bei Lanz: Geht Israels Militär in Gaza zu weit?

Historiker Michael Wolffsohn und Völkerrechtler Kai Ambos streiten über die Definition israelischer Kriegsverbrechen. BSW-Chefin Amira Mohamed Ali kritisiert das Vorgehen der Israelis – und will von linkem Antisemitismus in Deutschland nichts wissen. Von Fabian Kramer

Seit gut einem halben Jahr ist in Israel nichts mehr, wie es vorher war. Der grausame und barbarische Überfall der Steinzeit-Islamisten der Hamas hat das Land erschüttert. Israels militärische Reaktion in Gaza erhitzt seitdem die internationalen Gemüter. Für den Normalbürger ist der Konflikt und die Lage unübersichtlich. Abhilfe schaffen soll die Lanz-Sendung. So haben sich die Macher es sich wahrscheinlich vorgestellt.

Doch die Sendung entpuppt sich als abgehobener akademischer Disput unter Juristen über die rechtliche Bewertung des Krieges. Für den Zuseher ist die Lage nach der Sendung noch unübersichtlicher als zuvor. Die in komplexen juristischen Details verstrickten Experten überfordern den völkerrechtlichen Laien permanent. Unterm Strich ist der Talk ein in die Länge gezogener Streit über die juristische Definition möglicher israelischer Kriegsverbrechen. Flapsig formuliert, gilt für die Sendung das Sprichwort: zwei Juristen, drei Meinungen. Der Erkenntnisgewinn über die Lage in Gaza ist marginal.

Ein Krankenhaus als Terror-Unterschlupf

Nicht erst seit dem 7. Oktober sollte jedem im Westen klar sein, dass man es mit der Hamas nicht mit Freiheitskämpfern zu tun hat. Die radikalen Islamisten sind eine extrem gewalttätige und unberechenbare Terror-Bande, welche auch die eigene Bevölkerung in Gaza als Schutzschilde missbraucht. Für die israelischen Streitkräfte geht es daher um die heikle Mission, das Leben der Zivilisten zu schützen, aber gleichzeitig die Terroristen zu jagen. In einem dicht besiedelten Gebiet wie Gaza eine Herkulesaufgabe. Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn meint dazu: „In einem Krieg muss man mit Gewalt rechnen.“ Aus seiner Sicht ist die Hamas hauptschuldig an der prekären Lage der Zivilisten. „Ein Krankenhaus wird als militärischer Stützpunkt missbraucht“, das Ergebnis der perfiden Strategie ist eine Vielzahl ziviler Opfer.

Gerade deshalb wählen die Hamas-Strategen oftmals zivile Infrastruktur als Unterschlupf und Waffendepot für ihre Kämpfer aus. Ein getötetes Kind lässt sich wieder für die eigene Propaganda missbrauchen. Der Völkerrechtler Kai Ambos stellt klar, dass Israel ein Selbstverteidigungsrecht habe. „Die Hamas ist kein Staat“, gibt er zu bedenken, das Kriegsrecht ist daher nur eingeschränkt gültig. Deshalb sei die Sache etwas komplizierter. „Wir haben Probleme, die Sache zu bestimmen“, meint er dazu. Aus seiner Sicht gehen die zivilen Opferzahlen zu weit: „22000 tote Zivilisten sind keine Kollateralschäden.“

Es ist die Kernfrage des Abends. Lassen sich die zivilen Opfer in so einem Kampf gegen Terroristen überhaupt vermeiden? Ein Beispiel aus der Geschichte verdeutlicht, wie brutal ein gerechtfertigter Krieg sein kann. Im Zweiten Weltkrieg haben die Alliierten keinerlei Rücksicht auf die deutsche Bevölkerung genommen. Um die Nazis zu besiegen, wurden die deutschen Städte in Schutt und Asche gelegt. Tausende Zivilisten kamen im Flammenmeer der Bombenteppiche ums Leben. Auch in Gaza gilt es, ein Unrechtsregime zu bekämpfen, welches mit der Aggression begonnen hat. Doch die Debatte dreht sich im Moment weniger um die Vernichtung der Terroristen als um das Vorgehen der Israelis.

Könnte Israel zivile Opfer vermeiden?

Im Raum stehen schwere Vorwürfe. Israel begehe in Gaza Kriegsverbrechen. Aber ist das Wesen des Krieges nicht das Verbrechen? Für den Historiker Wolffsohn sind die zivilen Opfer bedauerlich. Doch der Krieg mache dies unabdingbar. „Krieg ist nicht vorhersehbar“, beschreibt Wolffsohn treffend die Gemengelage. Die Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht, Amira Mohamed Ali, sieht die Sache gänzlich anders. „Die toten Zivilisten übersteigen das Selbstverteidigungsrecht“, beklagt sie. „Israels Einsatz ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar“, fügt sie hinzu. Von ihrer Warte aus gesehen, begehe Israel in Gaza Kriegsverbrechen, sagt Mohamed Ali. Der Journalist Michael Bröcker widerspricht. Er hat einen wichtigen Einwand: „Niemand spricht über die Geiseln.“

Die Terroristen der Hamas haben noch immer Dutzende Geiseln in ihrer Gewalt. Der israelische Häuserkampf soll auch dazu dienen, die Geiseln zu befreien. Die Hamas könnte durch eine Freilassung der Geiseln auf Israel einwirken und zur Deeskalation beitragen. Allerdings ist diese Freilassung nicht sehr wahrscheinlich. Die Hamas hat kein Interesse an einer Deeskalation. Die Führungsebene sitzt nicht in Gaza, sondern in Dubai und Katar. Die Geiseln und das Leid der eigenen Bevölkerung nützen den Führungsschichten, um ihre Propaganda zu füttern. An der Lage der Zivilisten kann vor allem die Hamas etwas ändern. Doch die Terroristen weigern sich und spielen lieber die Opferrolle.

Wachsender Antisemitismus

Jüdisches Leben ist in Deutschland aktuell akut in Gefahr. Wegen der Selbstverteidigung Israels geraten Juden in Deutschland ins Visier von muslimischen Zuwanderern und der politischen Linken. „Es gibt eine Brutalisierung gegen jüdisches Leben“, stellt der jüdische Historiker Wolffsohn mit Bedauern fest. Die Synagogen sind nicht sicher, dass Tragen der Kippa oder des Davidsterns ist gefährlich und im Netz verbreitet sich antisemitische Hetze. Gerade auf der linken Seite des politischen Spektrums und auf Seiten muslimischer Zuwanderer wird gegen Juden polemisiert. Zwar wird in Deutschland von offizieller Seite fast ausschließlich vor dem rechten Antisemitismus gewarnt, doch finden sich dann überraschend wenig Rechte auf den Anti-Israel-Demos. Die Klientel auf diesen Demos ist fast ausschließlich extrem links und muslimisch.

Der Journalist Michael Bröcker kritisiert deshalb die BSW-Chefin. „Beim BSW gibt es antisemitische Ressentiments“, bemängelt er. Leider macht er kein konkretes Beispiel, sondern verweist auf positive Resonanz einiger BSW-Mitglieder zu Anti-Israel-Demos auf Social Media, ohne diese namentlich zu nennen. Mohamed Ali will von linkem Antisemitismus nichts wissen. „Eine Unverschämtheit“, entgegnet sie Bröcker. Eine Schwäche der Sendung ist, dass dieses interessante inner-deutsche Thema erst gegen Ende der Sendung zur Sprache kommt und dass sich der Moderator darauf nicht vorbereitet hat.

Denn Lanz stellt keine kritische Frage an die linke Politikerin und hat sich nicht näher mit der BSW und Israel befasst. Alles in allem geht der Talk am Interesse der Zuseher vorbei. Statt sich mit einem komplexen Konflikt ewig zu befassen und jedes juristische Detail von Deutschland aus klären zu wollen, hätte der Fokus auf der deutschen Perspektive liegen müssen. Was ist mit der politischen Linken und ihrer Haltung zu Israel? Und was machen muslimische Zuwanderer mit unserer Gesellschaft und wie beeinflussen sie unser Verständnis von Israel? Weniger völkerrechtlicher Hochseilakt und mehr innenpolitische Debatte sind für ein nächstes Mal wünschenswert.