Tichys Einblick
Herbeischreiben

Journalisten wollen Jamaika erzwingen

Jamaika oder der kleine Ratgeber, wie man sich mit Hilfe einer wlllfährigen Presse eine aufregende Hochzeitsnacht strickt.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

„Der Wiederspenstigen Zähmung.“ Oder vielleicht „Was ihr wollt“ ? Man kann diesem Bubenstück, benannt nach einem Inselchen in der Karibik, nun wirklich viele Namen geben. Aber muss man sich als Journalist wie hier bei der Welt auch noch mit den Komödianten gemein machen? Nein, es darf nicht heißen, „Herr Kubicki ist extrem frustriert“, auch nicht, wenn man das verschämt in Gänsefüßchen setzt, sondern „Hr. K. behauptet von sich, er sei extrem frustriert“ und weiter:

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Nicht „am Ende reichen den Unterhändlern von Schwarz, Gelb und Grün auch gut 15 Stunden nicht zum Durchbruch.“ Sondern: „auch nach gut 15 Stunden kommen die Unterhändler eigenem Bekunden nach nicht zu einer Einigung.“ Bitte nicht durch Formulierungen einem Schauspiel auch noch die spannende Begleitmusik und die Feigenblättchen fürs Versagen liefern. Der „Durchbruch“ ist im allgemeinen positiv besetzt: Ob durch den Abschluss dieser Sondierungen irgendein Gewinn, Erfolge, außer natürlich für die Akteure, erreicht werden, ist offen.

Nicht „Gegen 4 Uhr früh werfen die Verhandlungsführer um Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel vorerst das Handtuch“ sondern: „aus Kreisen der Verhandlungspartner wurde verlautbart, dass man sich erst um 4 Uhr früh dazu entschlossen habe, nicht weiterzuverhandeln.“ Wesentlich undramatischer, aber inhaltlich korrekt. Und ob es hier Handtüchern bedurfte, um Schweiss abzuwischen (Boxen) oder Blessuren zu versorgen, kann als unwahrscheinlich betrachtet werden. Handtücher hatten allenfalls die Kellner, die den Sitzenden zwischen all den heissen, heiser machenden Diskussionen den kargen Imbiss servierten.

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Die Politik der wuchernden Rechtsansprüche
Man soll wohl den Eindruck gewinnen, dass alles extreeeeem diffizil ist, aber man Unmenschliches leistet, um dieses (Lindner) „besondere Projekt nicht nach ein paar Stunden scheitern zu lassen“. Emsig bastelt die „Welt“ weiter aber an den konstruierten cliffhangern der Jamaikaner: „Das erste Signal der langen Verhandlungsnacht: Eine Einigung ist extrem schwierig – aber doch nicht unmöglich.“ Hosiannah! Habemam bald Jamaikam! Unterschlagen wird, wer diese Floskel hier zum besten gibt und das Wörtchen „sei“ fehlt, wie immer.

Exemplarisch dieser Absatz: „Es wurde Härte gezeigt. Erstmal streiten CSU und Grüne gefühlte Ewigkeiten über den Familiennachzug bei Flüchtlingen – das war zu erwarten. Nicht nur, dass es um ideologische Gegensätze geht: Die Grünen sind grundsätzlich für eine Willkommenskultur, die CSU ist für knallharte Begrenzung.“

Man muss sich doch fragen: war der Berichterstattende dabei, hat er in die „harten Mienen“ der Kontrahenten geblickt, die „gefühlten Ewigkeiten“ mit am Tisch durchlitten? Nein. Und die Position der CSU zur Willkommenskultur als „knallhart“ zu beschreiben, ist angesichts der bisher bekannten Aussagen von Herrn Seehofer zu dem Thema mehr als schmeichelhaft.

Dem Volk soll offenbar da von ein paar Laiendarstellern ein Märchen wie aus der „Lindenstraße“ vorgespielt werden. Mutti und ihr neuer Freund Christian ziehen zusammen. Der böse Onkel Horst ist auch in der WG und Tante Katrin soll auch ein Zimmer kriegen. Am Schluss haben sich alle lieb, nicht aber ohne sich vorher in sieben spannenden Folgen gefetzt zu haben. Der Zuschauer fiebert mit und sehnt, sehnt so sehr das Ende herbei, dass ihm die Fehler im Drehbuch gar nicht mehr auffallen.

So wie sich die Hersteller der Produkte Tesa, Nutella und Uhu darüber freuen dürfen, Eingang in die Alltagssprache als Deonyme gefunden zu haben, so ist Winfried Kretschmann glücklich, weit und breit als der einzige wahrhaft „Konservative“ unter den Grünen gehandelt zu werden. Die Presse, hier die Berliner Zeitung, die sich anschickt, ihm zu huldigen.

Gleich zu Beginn darf sich der Regierungschef „wütend“ über den langsamen Fortschritt der Jamaika-Sondierungen zeigen, ja sogar verhalten auf die eigene Partei schimpfen: „Jeder Preis, den man (wohl für den Erfolg der Verhandlungen) zahlen müsse, sei geringer, als wenn es Neuwahlen gäbe“ wird er zitiert. Dann weiß die BZ noch vom Zorne Kretschmanns über Dobrindt und Scheuer zu berichten, die „seit Wochen gegen die Grünen stänkerten“. Nun sei es dem fürs politische Amt beurlaubten Gymnasiallehrer aber zu bunt geworden: Er habe extra an einer Fernsehkamera innegehalten (läuft er normalerweise denn vorbei?) und sehr vergrätzt hineingeschwäbelt: „so gehe (gääht) es mal nicht weiter“, „Entweder verhandele man, dann verhandele man, dann lasse man pauschale Angriffe auf andere Seiten mal beiseite, und zwar radikal, oder er werde den Verdacht nicht los, dass diese Herren das gar nicht wollten, dass hier konstruktiv und erfolgreich verhandelt werde. Dann sollten sie es sagen“. Im Klartext, wie es der Schwabe liebt: Man wolle sich doch nicht für Dumm verkaufe lasse. Eine Faust aufs Tischle, ein „jetzabasonsgehemir“ von höchster ministerpräsidialer Ebene.

Ein Nachruf
Lindner, Kubicki und FDP ade
Die Zeitung beeilt sich dann nach diesem Zitat zu versichern: „Zwar könne Kretschmann zornig werden wie kaum ein Zweiter in der Spitzenpolitik“, aber natürlich hätte da schon eine Absicht dahintergestanden. (Soso) und hier gewährt uns die BZ dankenswerteweise einen Einblick in die abgesprochene Choreografie: „während sich die grünen Verhandlungsführer Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir schweigend an den Kameras vorbeigeschlichen und nur über die Schulter kurz zurückgeschaut hätten, hätten die Fernsehleute zeitgleich einen Hinweis bekommen (von wem eigentlich?), dass da von Kretschmann etwas kommen könne.“ Und ihn natürlich gleich abgepasst. Aber er wusste ja schon, was von ihm erwartet wurde. Sogleich hämmert die BZ wieder auf der Klaviatur des ewig-strengen Herrn Ministerpräsidenten: „Der möge ja nun keine linken Spinnereien, und auch keine Disziplin- und Verantwortungslosigkeiten von Leuten, die sich konservativ nennen würden“, „Aber Jamaika wolle er unbedingt, nachdem Schwarz-Grün 2013 gescheitert sei“.

Und weiter: „Der Regierungschef“ aus Stuttgart „genieße schließlich Ansehen weit ins bürgerliche Lager hinein – ja, er genieße dort sogar am allermeisten Ansehen – und setze es jetzt im Interesse der eigenen Partei und des Gelingens des Gesamtprojekts ein.“ Amen. So viel bürgerliche Respektabilität und Anstand muss man in der Politik lange suchen, soll sich der Leser wohl denken.

Zum Schluss bekommen Scheuer und Dobrindt noch eine Watschen: „es dürfte diesen nicht gelingen, den Kretschmann als grünen Freak zu diskreditieren“. Jedenfalls nicht, solange man solche Freunde bei der Presse sitzen hat, mag man hinzufügen.

Emil Kohleofen ist freier Publizist.