Am 1. Juli war der amerikanische Epidemiologe John Ioannidis bei „Servus TV“ zu Gast. Der österreichische Privatsender räumte dem Stanford-Professor Platz für ein 63-Minütiges Interview ein. Ioannidis gehörte zu den frühesten Stimmen der Kritik an der Lockdown-Politik. Er warnte bereits im Frühjahr 2020 vor Corona-Panikmache und überzogenen Lockdowns: Dafür wurde er im besten Fall belächelt, von vielen verachtet oder sogar verleumdet. Jetzt, anderthalb Jahre später, haben sich viele seiner Mahnungen bewahrheitet.
Es hätte „einen ganzheitlichen Blick auf die Auswirkungen auf die Gesundheit, die psychische Gesundheit, Bildung, die Gesellschaft“ gebraucht, meint Ioannidis. Der Welthunger, soziale Unsicherheit und Armut hätten zugenommen, eine Welle an psychischen Krankheiten habe die Gesellschaft heimgesucht und eine Generation von Lernenden sei massiv geschädigt worden – „Viele Schüler und Studenten werden nie mehr zu ihrer Ausbildung zurückkehren“. Das alles wegen eines Virus mit einer Sterblichkeitsrate von 0,05 Prozent.
Doch anstelle einer offenen, wirklich wissenschaftlichen Debatte über das Virus sei schnell Panik und Aktivismus getreten. „Aktivismus hat die Wissenschaft während der Pandemie wirklich unterdrückt“, bilanziert Ioannidis: Das sei ein „grob fahrlässiger Umgang mit der Wissenschaft“. Manche seiner Kollegen erreichten mit ihrem aktivistischen Gehabe „ein Maß an Selbstgerechtigkeit, Aggressivität und Aufdringlichkeit, mit dem sie der Wissenschaft sehr viel Schaden zufügen.“
Das Fazit des Stanford-Professors: Trotz aller Kritik an vergangenen Fehlern lohne sich der Blick zurück nicht auf Dauer. Für den Herbst warnt Ioannidis: „Ich würde drakonische Maßnahmen vermeiden innerhalb des Lockdown-Pakets“. Wir müssten beginnen, die Menschen aus Angst und Panik herausholen. „Ich habe Kollegen, die mir sagen: Du bist der erste Mensch, den ich seit Monaten sehe“. Eine Gesellschaft so in Angst zu halten, sei unverhältnismäßig.