Tichys Einblick
Kollateralschäden schwerer als die des Virus

John Ioannidis bei „Servus TV“: Der Unerhörte, der Recht behielt

Der amerikanische Epidemiologe John Ioannidis zieht bei Servus TV eine umfassende Corona-Bilanz: „Die Reaktion war nicht wirklich angemessen und zielte nicht darauf ab denen zu helfen, denen geholfen werden sollte.“

ServusTV / Manuel Seeger

Am 1. Juli war der amerikanische Epidemiologe John Ioannidis bei „Servus TV“ zu Gast. Der österreichische Privatsender räumte dem Stanford-Professor Platz für ein 63-Minütiges Interview ein. Ioannidis gehörte zu den frühesten Stimmen der Kritik an der Lockdown-Politik. Er warnte bereits im Frühjahr 2020 vor Corona-Panikmache und überzogenen Lockdowns: Dafür wurde er im besten Fall belächelt, von vielen verachtet oder sogar verleumdet. Jetzt, anderthalb Jahre später, haben sich viele seiner Mahnungen bewahrheitet.

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Beim Gespräch im „Hangar“ mit Moderator Michael Fleischhacker wirft Ioannidis einen Blick zurück auf die Pandemie – ohne Rechthaberei und ohne Verharmlosung. Corona sei für viele ein verheerendes Virus, meint der Professor – „für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist es das aber nicht. Das sollten wir berücksichtigen.“ Doch genau diese Risikogruppen seien in Wahrheit auf der Strecke geblieben. „Die Reaktion war nicht wirklich angemessen und zielte nicht darauf ab denen zu helfen, denen geholfen werden sollte.“ In diesem Zusammenhang spricht Ioannidis sogar von „Massakern“ – der Vorschlaghammer des Generallockdowns schade vielen und nütze wenigen, ist das Fazit des Epidemiologen. Die Antwort auf Corona sei verheerender als Corona selbst gewesen: „Das, was wir bisher gesehen haben, deutet darauf hin, dass die Kollateralschäden fast jeden betreffen (…). Meiner Erfahrung und Berechnung nach und nach dem, was ich in der Literatur gelesen habe, sind die Kollateralschäden mehr und schwerwiegender als die Auswirkungen der Pandemie, des Virus selbst.“

Es hätte „einen ganzheitlichen Blick auf die Auswirkungen auf die Gesundheit, die psychische Gesundheit, Bildung, die Gesellschaft“ gebraucht, meint Ioannidis. Der Welthunger, soziale Unsicherheit und Armut hätten zugenommen, eine Welle an psychischen Krankheiten habe die Gesellschaft heimgesucht und eine Generation von Lernenden sei massiv geschädigt worden – „Viele Schüler und Studenten werden nie mehr zu ihrer Ausbildung zurückkehren“. Das alles wegen eines Virus mit einer Sterblichkeitsrate von 0,05 Prozent.

Doch anstelle einer offenen, wirklich wissenschaftlichen Debatte über das Virus sei schnell Panik und Aktivismus getreten. „Aktivismus hat die Wissenschaft während der Pandemie wirklich unterdrückt“, bilanziert Ioannidis: Das sei ein „grob fahrlässiger Umgang mit der Wissenschaft“. Manche seiner Kollegen erreichten mit ihrem aktivistischen Gehabe „ein Maß an Selbstgerechtigkeit, Aggressivität und Aufdringlichkeit, mit dem sie der Wissenschaft sehr viel Schaden zufügen.“

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Auch zum Impfen äußert sich Ioannidis. Er selbst ist für das Impfen und gegen Angst vor dem Vakzin – doch er warnt auch vor einer Impfpflicht. „Ich glaube, bei einem Produkt, das immer noch unter Notfallzulassung steht, statt voll lizenziert zu sein, ist es keine gute Idee, es verpflichtend zu machen. Ich bin für eine Strategie, die damit arbeitet, Leute zu informieren. (…) Wir sollten ruhig bleiben und es vermeiden, auf Leute, die sich nicht impfen lassen wollen, Druck auszuüben. Ich glaube, das würde negative Auswirkungen haben.“ Wenn man die Impfraten wirklich erhöhen wolle, sei es „die schlechteste Idee, eine Umgebung zu schaffen, wo sich die Leute unterdrückt fühlen. Dass sie das tun müssen, weil sie sonst ausgestoßen, beiseite geschoben werden, eine Art Bürger zweiter Klasse.“

Das Fazit des Stanford-Professors: Trotz aller Kritik an vergangenen Fehlern lohne sich der Blick zurück nicht auf Dauer. Für den Herbst warnt Ioannidis: „Ich würde drakonische Maßnahmen vermeiden innerhalb des Lockdown-Pakets“. Wir müssten beginnen, die Menschen aus Angst und Panik herausholen. „Ich habe Kollegen, die mir sagen: Du bist der erste Mensch, den ich seit Monaten sehe“. Eine Gesellschaft so in Angst zu halten, sei unverhältnismäßig.

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