Tichys Einblick
WDR und Lauterbach kämpfen um Corona

„Ich habe verhindert, dass es einen Freedom Day gibt“

Krieg, Inflation und Versorgungsengpässe. Angesichts einer solchen Nachrichtenlage fällt es schwer, das mediale Trommelfeuer aufrechtzuerhalten, das nötig ist, um die Angst vor dem Corona-Virus nicht einschlafen zu lassen – der WDR und Karl Lauterbach versuchen es trotzdem.

Screenprint: WDR7Aktuelle Stunde

Die Welt des Karl Lauterbach hat sich verändert. Zum Schlechten. Im ZDF bekommt er auf einmal kritische Fragen gestellt und die Redaktionen von Lanz oder Will ignorieren plötzlich den Mann, den sie 2021 am liebsten gar nicht mehr aus dem Studio hätten ziehen lassen wollen. Der Minister ist so verzweifelt, dass er sich von seinem Haus den digitalen Kanal „Karltext“ hat einrichten lassen, auf dem er selbst wöchentlich über „aktuelle gesundheitspolitische Themen“ informieren will, wie das Ministerium auf Twitter berichtet. Das ist keine Satire. Auf „Karltext“ ist die Welt dann wieder so, wie sie 2021 bei Anne Will war: Lauterbach, Lauterbach, Lauterbach – und keiner widerspricht.

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Wobei der gute Wille noch da ist, wie es die „Aktuelle Stunde“ am Donnerstag demonstriert hat. Nur, entschuldigen sich die Moderatoren Michael Dietz und Susanne Wieseler gleich am Anfang, es sei so viel passiert, man wisse gar nicht, womit man anfangen solle. Entsprechend kommen erst die EU, die Rohstoff-Versorgung, das „Entlastungspaket“ des Kanzlers und sogar die Börse dran, bevor Corona nach 17 Minuten endlich an der Reihe ist. Das Nachrichtenformat des WDR versucht die Positionierung mit Masse gut zu machen und widmet dem Block zehn Minuten – mehr als doppelt so viel, wie das „Entlastungspaket“ erhält.

Nicht nur mit der üppigen Zeit bereitet der WDR dem Leverkusener ein Heimspiel. Auch die Haltung entspricht der Attitude, die aus dem hässlichen Hinterbänkler einen strahlenden Talkshow-Star gemacht hat, der am Ende des Märchens das Gesundheitsministerium heiraten durfte. Zu Beginn der Sendung kündigt Wieseler das spätere Thema mit der Frage an: „Kann das ernsthaft so weitergehen?“ Angesichts der rhetorischen Frage ist es kein Spoiler zu verraten, dass die Antwort später nicht lauten wird: „Ja, es kann ernsthaft so weitergehen.“

Anlass für den Zehn-Minuten-Block ist ein Krankenhaus in Kleve, das Geburten verschiebt, weil es durch Corona zu belastet sei. Dass die Belastung daher rührt, dass Mitarbeiter in die Quarantäne müssen, wird nur beiläufig angesprochen. Die Frage, ob diese Quarantäne sinnvoll ist, passt nicht zum Ziel, abschließend sagen zu können, dass es nicht so weitergeht. Also lässt der WDR sie weg. Das Gleiche gilt für die Frage, ob es für Krankenhäuser generell und für dieses Krankenhaus speziell finanzielle Anreize gibt, manche Vorgriffe nicht mehr vorzunehmen.

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Stattdessen feiert die „Aktuelle Stunde“ 2021. Die meisten Experten, die zu Wort kommen, sind Journalisten. So beginnen Dietz und Wieseler den Block mit einer Art Zwiegespräch, wie man es aus dem Karneval kennt. Wo zwei Charaktere letztlich eine Meinung haben und mit dieser das Publikum hochschaukeln. „Wir lockern ja auch ordentlich“, klagt nicht der Tünnes dem Schäl, sondern der Dietz der Wieseler. Trotzdem ist das einem Auftritt in der Bütt näher als ergebnisoffenem Journalismus.
Für den nächsten Beitrag hat die Redaktion nach einem Betroffenen gesucht. Gefunden hat sie ihn in den eigenen Reihen. Der WDR-Journalist Dirk Chatelain erzählt über Netz-Schalte, dass ihm trotz negativen Tests „schummriger“ wurde. Besorgt ob dieser Schummrigkeit, machte er noch einen Test, der dann positiv war. Jetzt ist der Mann „stark erkältet und schlapp“. Möge er die schummrige Schlappheit gut überstehen.

Nach einem kurzen Abstecher ins Paul-Ehrlich-Institut nähert sich die „Aktuelle Stunde“ dem sakralen Höhepunkt: der Schalte zu Karl Lauterbach. Der nölt das Publikum zuerst mit Ausführungen über die Zuverlässigkeit der Tests in die (nicht positiv getestete) schlappe Schummrigkeit, die es braucht, um für seine Botschaften empfänglich zu sein. Wieseler spürt, dass der Moment der Offenbarung gekommen ist. Sie faltet die Hände wie zum Gebet und stellt Lauterbach die Frage: „Ist das der Moment, in dem wir sagen müssen, wir haben die Kontrolle verloren?“

Das ist eine geschlossene Frage. Journalisten stellen offene Fragen. Man erkennt sie an Fragewörtern, die mit W anfangen: wie, wer, wo, was oder wann zum Beispiel. Offene Fragen erlauben erörternde Antworten. Geschlossene Fragen geben eine Richtung vor. Was zwischen Wieseler und Lauterbach aber die Stimmung nicht trübt – schließlich gehen sie in die gleiche Richtung. „Ich mache ja viel, ich habe verhindert, dass es einen Freedom Day gibt“, antwortet Lauterbach.

Die Messe ist gelesen. Lauterbach muss noch das Schisma auflösen, zwischen: „Ich mache ja viel“, und es ist noch nicht genug getan worden. Zwei sich eigentlich widersprechende Glaubensgrundsätze, die Lauterbach in einer Person versöhnt. Die Länder hätten nun mal Rechte, bedauert der Minister unwidersprochen und verteidigt sich, er habe ihnen die Möglichkeiten gegeben: „Das Gesetz kann umgesetzt werden.“ Es liege an Landesministern wie Karl-Josef Laumann (CDU) in Nordrhein-Westfalen, es anzuwenden. Damit ist dann das Ziel des Zehn-Minuten-Blocks erreicht und Wieseler macht einen Strich drunter: „Dann hoffen wir, dass Herr Laumann zugehört hat, und dass das dann auch wirklich schnell umzusetzen ist.“

Amen.

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