Tichys Einblick
Linke von Gestern

Friedenskekse bei Hart aber Fair: „Tempo 100 statt Panzerhaubitze 2000“

Bei Hart aber Fair trifft der alte linke Pazifismus auf ein wenig Realität. Alte Parolen über die böse Nato und „Frieden schaffen ohne Waffen“ wirken, wie sie sind: aus der Zeit gefallen.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Bei „Hart aber Fair“ steht auch dieses mal das Thema auf der Agenda, welches aktuell die politische Debatte in Deutschland bestimmt: Frank Plasberg diskutiert mit seinen Gästen über Waffenlieferungen an die Ukraine. Kann, sollte, muss Deutschland mehr liefern? Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der ehemalige deutsche Nato-General Egon Ramms, der Zeit-Journalist Michael Thumann und die aus Kiew stammende Fotografin Yevgenia Belorusets sind sich einig: Ja, da muss mehr kommen aus Berlin, wenn es um die Unterstützung des ukrainischen Abwehrkampfes geht. 

General a.D. Ramms attestiert den Ukrainern hohe Wehrfähigkeit: „Ich erwarte, dass die Ukrainer ihr Land erfolgreich verteidigen werden.“ Zu Anfang habe er befürchtet, dass die russischen Soldaten einfach durchmarschieren – das ist nicht eingetreten. Moral, Kampfeswille, Kampfkraft und Unterstützung der Bevölkerung hätten die russische Offensive gestoppt. Der Krieg werde nicht so schnell zu Ende gehen, meint Ramms, der Erfolgschancen für die Ukraine sieht – wenn der Westen unterstützt. „Auch die Gebiete im Osten des Landes können sie halten und zurückerobern. Dafür braucht es aber genug und gute Waffen.“ Dass Putin in der Ukraine militärisch gestoppt werde, sei elementares Sicherheitsinteresse des Westens, argumentiert er. Da stimmt ihm die Ukrainerin Yevgenia Belorusets zu. Eine Verhandlungslösung werde es nicht geben: „Der Aggressor ist gegen jede Form von Friedensabkommen.“ Das einzig realistische Ende des Krieges sei eine militärische Niederlage Putins. 

DER PODCAST AM MORGEN
Weitere US-Hilfszusagen an Ukraine – TE Wecker am 26. April 2022
Dieser Rhetorik will sich Jan van Aken nicht anschließen. Der Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung saß lange Jahre für die Linkspartei im Bundestag. Als Abgeordneter beendete er seine Reden immer mit einem Satz: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte.“ Diesem Satz bleibt er auch heute treu. Er kritisiert stattdessen den Diskurs – seit Wochen werde nur über Waffen, nicht mehr über Sanktionen diskutiert. „Warum reden wir nicht weiter über wirtschaftliche Sanktionen?“, fragt van Aken und regt an: „Was können wir hier in Deutschland tun, damit der Kreml möglichst bald verhandlungsbereit ist?“
„Wir sind der eigentliche Kriegsgegner in der großen Auseinandersetzung“

Warum man über Waffenlieferungen spricht? „Weil Putin die Menschen ermordet“, antwortet ihm die Ukrainerin Yevgenia Belorusets, die den Angriff auf Kiew miterlebt hat. Doch van Aken reitet seine Prinzipien. Er räumt sogar ein, dass die Ukraine ohne Waffenlieferungen vielleicht verlieren könnte. Aber: „Ich habe das Gefühl, dass wir irgendwo falsch abgebogen sind. Wir waren doch ein Land, dass in solchen Situationen auch außerhalb des Militärischen denken konnte.“ Mit seiner anschließenden Forderung nach einem Tempolimit zum Spritsparen gegen Putin macht er sich keine Freunde in der Runde – das Motto „Tempo 100 statt Panzerhaubitze 2000“ klingt in linksgrünen, pseudointellektuellen Kreisen zwar gut, hält den politischen Realitäten aber nicht stand.

Belorusets entgegnet, dass die russische Propaganda die Sanktionsfolgen wegpropagieren würde. In Russland heiße es: „Wir frieren gerne, dafür töten wir Faschisten.“ Marie-Agnes Strack-Zimmermann regt sich richtig auf über den Fundamentalpazifisten: „Wenn ein Wladimir Putin den Befehl erteilt, eine Geburtsklinik zu bombardieren, dann ist er ein Kriegsverbrecher!“ Van Akens Gerede nimmt sie als naiv wahr. Putin verstehe „nur die klare Sprache der Waffen. Das ist nicht schön, aber das ist leider so.“  Keiner spräche gerne über Waffen, räumt sie ein. „Aber ich möchte, dass diese Naivität aufhört – dass wir glauben, einen Mann wie Putin mit hehren Worten stoppen können.“ Da redet die Runde wild durcheinander. Plasberg muss Ordnung reinbringen – und wendet sich danach an Zeit-Journalist Michael Thumann.

Der Moskau-Korrespondent der Zeitung aus Hamburg stimmt beiden zu. Man bräuchte einen doppelten Ansatz: „Wir brauchen sowohl van Aken wie auch Strack-Zimmermann.“ Er verweist auf den Jugoslawien-Krieg. „Da haben wir uns lange mit Sanktionen an Milosevic abgearbeitet. Die haben gewirkt – die haben nur den Krieg nicht gestoppt.“ Waffenlieferungen an Kroatien und Bosnien hätten dann den Weg zum Frieden geebnet, führt er aus. Auch er stellt sich klar hinter Waffenlieferungen.

Ukraine-Krieg
Russland bereitet sich vor – doch die Offensive kommt nicht ins Rollen
Friedensverhandlungen mit Putin? Daran glaubt – außer van Aken – niemand in der Runde so richtig. Stattdessen soll die Ukraine den Aggressor stoppen. „Mir würden Friedensverhandlungen mit Putin ausgesprochen schwerfallen, weil ich mich mit jemandem an einen Tisch setzen müsste, zu dem ich kein Vertrauen habe“, erklärt General a.D. Ramms. Putin habe so ziemlich jede internationale Vereinbarung gebrochen: „Was er an Kriegsverbrechen aneinanderreiht, ist horrend.“ Ramms zieht einen historischen Vergleich: „Winston Churchill wurde 1944 dazu angeregt, mit Hitler in Friedensverhandlungen einzutreten. Er hat geantwortet: Wir wollen keinen Frieden, wir wollen einen Sieg.“ In diese Situation würden die Ukraine und der Westen auch kommen, meint er – und Putin müsse lernen, dass er mit dem Westen nicht spielen könne, wie er es 20 Jahre getan hätte. 

Wieder kritisiert van Aken diese Rhetorik: Das Gerede von „Sieg“ oder einem „militärischen Besiegen Putins“ bereite ihm „richtig Sorgen mittlerweile“. Van Aken scheint den dritten Weltkrieg zu fürchten – „Und wir wissen alle, was dann passiert“, sagt er zu einem möglichen Aneinandergeraten der Nato mit Russland. Moskau-Korrespondent Thumann stellt später heraus, dass Russland den Konflikt längst als Stellvertreterkrieg gegen den Westen begreife. „Zwar sprechen die Russen in ihrem Land von einer militärischen Operation, aber doch trotzdem über einen Krieg. Und wir sind der eigentliche Kriegsgegner in der großen Auseinandersetzung. Die Deutschen, die Nato, die Vereinigten Staaten.“ Es gehe vielmehr darum, die Amerikaner aus Europa zurückzudrängen, und damit um die Vorherrschaft in Europa.

Waffenlieferungen würden dieses russische Bild von Deutschland ohnehin nicht mehr tangieren, meint er. Van Aken will einen Konflikt vermeiden, der schon längst da ist. Der Hamburger kämpft verzweifelt gegen die neuen politischen Realitäten an, die ihn schon längst überholt haben – seine Ausführungen darüber, die Nato doch durch bilaterale Verteidigungsabkommen zu ersetzen, oder Ausführungen darüber, dass das nordatlantische Bündnis ein Angriffspakt sei, wirken im Angesicht des realen Angriffskrieges der Gegenwart, über den alle anderen sprechen, wie sie sind: aus der Zeit gefallen. 

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