Tichys Einblick
Waffen liefern oder Frieden fordern?

Hart aber Fair: So geht Diskussion nicht

Ein Jahr Ukraine-Krieg: Das musste auch in Hart aber Fair aufgegriffen werden. Doch schon lange geht es nicht mehr um den Krieg als solches, sondern um die Politik des Krieges in Deutschland. Dabei schlägt der gewohnte Reflex, wie man mit dem politischen Gegner umgeht, zu. Diskussion ist so unmöglich.

Screenprint: ARD / hart aber fair

Der Titel der Sendung war „Frieden mit Putins Russland: Eine Illusion?“. Und um Frieden wird es gehen – genauer: um die Forderung nach Friedensgesprächen.

Zu Gast war die übliche Auswahl von Politikerinnen: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Katrin Göring-Eckardt und Sahra Wagenknecht. Damit ist auch die Frontlinie der deutschen Debatte gut abgesteckt. Überraschende politische Positionen werden von ihnen nicht geäußert. Der Aufschrei nach Wagenknechts Aufruf zu Friedensverhandlungen war – und ist – groß. Ihre Position simpel: Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen, also muss sie schnellstmöglich Frieden schließen.

Dass jeder Friede akzeptiert werden müsste, der angeboten wird, schwingt dabei mit. Bei ihr äußert sich der kommunistische antiamerikanische Beißreflex. Oder ist es ein pro-sowjetischer, der auf das moderne Russland übertragen wird?

Am Ende macht es keinen Unterschied: Tenor ihrer Argumentation ist, dass die Ukraine ja ein bisschen selbst schuld sei mit dem Krieg, schließlich habe sie sich dem Westen angenähert. Jetzt soll das Land endlich Ruhe geben und Frieden akzeptieren.

Doch Russland ist in der Ukraine eingefallen

Dagegen stehen Strack-Zimmermann und Göring-Eckardt. Ihre Positionen sind bekannt. Auch die Überraschung, dass die Grünen ihr Mantra ins Gegenteil verkehrt haben, mit Waffen ließe sich kein Frieden schaffen, hat sich nach einem Jahr gelegt. Die Grünen- und die FDP-Politikerin gehören zu den polarisierendsten Befürwortern der Waffenlieferungen an die Ukraine. Aber sie haben recht, wenn sie sagen: Ob die Ukraine kapituliert oder nicht, das ist die Entscheidung der Ukraine.

Demonstration von Wagenknecht und Schwarzer
Über „Friedensschwurbler“ und andere Gemeinheiten des neuen Alltags
Russische Truppen morden, brandschatzen und plündern in der Ukraine, und nicht anders herum. Ukrainische Kinder werden entführt und in Russland adoptiert. Warum sollten die Ukrainer einen Tod auf Raten akzeptieren? Denn nichts anderes wäre eine weitere Teilbesetzung der Ukraine.

Doch die Diskussion in der Runde scheitert. Sie scheitert an einem Moderator, der seine Gäste nicht unter Kontrolle hat – oder sind es seine Gäste, die einfach keine Diskussion ertragen können? Kaum ein Satz, den die vier zu eins unterlegene Wagenknecht zu Ende sprechen kann. Es offenbart sich die Schwäche der deutschen Politik: Sie kann nicht mehr diskutieren. Sie erträgt Widerworte nicht. Sie ist starr geworden.

Ist Diskussion unerträglich, wird sie erstickt

Denn eine Politik, der die Diskussion unerträglich ist, muss diese ersticken. Statt Wagenknechts Positionen inhaltlich anzugreifen, versucht man ihren Protest als solchen zu diffamieren. Auf ihrer Demo seien AfDler, Identitäre, Neonazis gewesen. Schlimmer noch, weiß Strack-Zimmermann: Es waren auch Querdenker vor Ort. Doch Wagenknecht lässt das abprallen: Sie hatte Rechtsextreme aufgefordert, nicht zu kommen. Mehr könne auch sie nicht tun.

Das Versagen der Debatte in Deutschland: Statt Wagenknecht argumentativ zu stellen, versucht man sich an erweiterter Kontaktschuld. Querdenker sind schlimm, weil Nazis auch gegen Corona-Maßnahmen sind und weil beide Gruppen die Regierung schlecht finden. Folglich muss Wagenknecht die Regierung doch toll finden, scheint das Argument zu sein.

Debatte: Ein Jahr Krieg in der Ukraine
Die Aussichten auf einen "faulen" Nikias-Frieden in der Ukraine
In diesem Umfeld haben es auch die Mitdiskutanten schwer. Heribert Prantl ist Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, war bis 2019 auch Teil der Chefredaktion. Er sympathisiert mit Wagenknecht und fürchtet, dass die Waffenlieferungen in einem nuklearen Schlagabtausch enden könnten. Auch er möchte, dass verhandelt wird. Aber eine Einstellung der Waffenlieferungen fordert er nicht.

Der letzte Gast der Runde kommt zu kurz. Herfried Münkler ist emeritierter Professor der Humboldt Universität und Politikwissenschaftler. Er skizziert, wie eine Verhandlungslösung aussehen könnte. Doch eine solche Lösung muss Sicherheitsgarantien für die Ukraine beinhalten: also auf Russland gerichtete, westliche Waffen. Etwas anderes kann die Ukraine, die einst ihre Atomwaffen abgab auf das Versprechen Russlands hin, ihre Grenzen zu achten, nicht akzeptieren.

Im Krieg ist das erste Opfer die Wahrheit. Ein Problem, mit dem besonders kleine Medien wie TE zu kämpfen haben. In die Sendung ist für ein Kurz-Interview der ukrainische Oberstleutnant Sergij Osatschuk geschaltet. Er soll an der Front sein. Es ist naiv zu glauben, die Worte, die er spricht, seien spontan und nicht von Generalstab und Regierung vorgegeben. Es ist kein Zufall, dass sein Deutsch beinahe perfekt ist. Und doch sind seine Aussagen wertvoll:

„Ich möchte jeder Initiative danken, auch Frau Wagenknecht, dass sie sich dazu bemüht, dass der Krieg schnellstens beendet wird. Wenn wir die Waffen nicht hätten, wären die Russen im vergangenen Jahr im Stande gewesen, noch größere Teile der Ukraine zu erobern. Es hätte noch mehr tausende Folterkammern, tausende Waisenkinder und noch mehr tausende Gulag-Häftlinge gegeben. 20 Jahre Haft kriegt jeder, der gegen diesen Krieg in Russland auf die Straße geht. Dagegen zu kämpfen, ist unsere Entscheidung.“, sagt Osatschuk. Friedensverhandlungen würde es geben: „Ab sofort, wenn der letzte Okkupant und russische Soldat aus dem Territorium zurückgedrängt ist, sind wir bereit, den Frieden auszuverhandeln.“

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