Tichys Einblick
Der Ukraine Waffen geben oder nicht

Bei Hart aber Fair: Kein Gas mehr, aber vor Putin kuschen?

Seit dem 2. September wissen wir, dass Russland kein Gas mehr liefern wird. Das Ziel ist, Deutschland und Europa unter Druck zu setzen – und die Hilfen für die Ukraine an der Gasrechnung zu ersticken. Diese Strategie beherrscht auch die neueste Sendung von Hart aber Fair.

Screenprint: ARD / hart aber fair

Waffen ist uns die Ukraine nicht wert. Zumindest vermittelt das Ralf Stegner bei Hart aber Fair – die Sendung trägt diesmal den Titel: „Der Winter naht, der Krieg wirkt fern: Was ist uns die Freiheit der Ukraine wert?“. Stegner fordert stets eine diplomatische Lösung. Eine diplomatische Lösung für einen Konflikt, in dem der Angreifer partout nicht verhandeln will. Sein Mantra: „Die Freiheit ist uns viel wert, aber gewonnen wird sie nicht mit immer mehr Waffen, sondern Diplomatie.“ Putin sieht das anders. Er schickt immer mehr und mehr Waffen und Soldaten in die Ukraine. Aber von ihm fordert Stegner auch nicht, sich einem Aggressor mit leeren Händen entgegenzustellen. Das soll Selenskyj tun.

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Als SPD-Linker ist Stegner immerhin konsequent in seiner Selbsttäuschung. Er glaubt, dass Autokraten vor Überfällen zurückschrecken, weil es falsch ist, Menschen zu vergewaltigen, sie zu verschleppen, zu ermorden. Und nicht, weil sie die Übermacht des Andern fürchten. Immer mehr Waffen würden die Situation nur eskalieren lassen. Eskalieren? Die Ukraine kämpft schon, erringt mühsam Zentimeter um blutigen Zentimeter einen Teil ihres Landes zurück. 20 Prozent sind von Russland besetzt.

Dagegen steht Alexander Lambsdorff, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag. Er fordert Waffen für die Ukraine, nimmt drastische und wahre Worte in den Mund: Vergewaltigung, Mord. Aber gut, andere haben sie ja vor ihm gesprochen. Nun muss er keine Kritik mehr fürchten, wenn er sie laut und deutlich ausspricht. Das neu verkündete Entlastungspaket nennt er „wuchtig“. Es ist zwar eine wirtschaftspolitische Katastrophe, aber das kehrt man bei der FDP-Führung gekonnt weiter unter den Teppich.

Stegner und Lambsdorff: Auch nur Scheindiskussion

Man mag sich wundern: Gehören nicht beide, der stellvertretende Fraktionsirgendwas und der SPD-MdB, Regierungsparteien an? Der eine fordert dies, der andere das: irrelevant, wenn sie bei Abstimmungen trotzdem Fraktionstreue halten. Eine Oppositionspartei ist in der Diskussion nicht dabei.

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Schützenhilfe erhält Lambsdorff von Sabine Fischer. Sie ist Expertin für russische Außen- und Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die SWP erhält einen Großteil ihrer Gelder direkt aus dem Bundeskanzleramt und ihr Rat wird von Regierungs- und Parteienvertretern dominiert.

Nichtsdestotrotz bringt Fischer immer wieder gute Analysen in die Diskussion. Im Kern aber: Russland will nicht verhandeln, hat gar Verhandlungen bisher ausgeschlagen oder mit absurden Vorbedingungen, wie einer bedingungslosen Kapitulation der Ukraine, unmöglich gemacht. Eine diplomatische Lösung sei erst möglich, wenn der Kreml den Kampfeswillen verliert.

Deutschlands Aufgabe: „Solidarität organisieren“

Mit bei der Runde ist Anna Lehmann, sie leitet das Parlamentsbüro der taz. Sie ist so eine Art Halb-Stegner: Irgendwie findest sie Waffen auch nicht so gut, äußert sich zu dem Thema aber eher selten. Solidarität ist ihre Lieblingsworthülse. Deutschlands Aufgabe sei es nicht, Waffen zu liefern – das machen die Amerikaner besser –, sondern „Solidarität zu organisieren“. Gleichzeitig fehlt ihr die Stegnerhaftigkeit, um Andrij Melnyk ins Gesicht zu sagen, er solle sich mit Feindestruppen im Land abfinden.

Lehmann meint: „Soldarität ist uns viel Wert, wir haben eine Million Flüchtlinge aufgenommen“, und weiter: „ Dieser Krieg wird doch nicht nur auf militärischem Gebiet gewonnen.“ „Doch“, unterbricht Andrij Melnyk. Der ukrainische Diplomat, der auch mal zum verbalen Vorschlaghammer greift, ist auch dabei. Und fordert, was er braucht: Waffen. Im Namen seiner Ukraine, im Namen der Moral und im Namen amoralischer Sicherheitsinteressen Deutschlands.

Diplomatie wird erzwungen

Für ihn ist klar, der Krieg mag diplomatisch enden. Doch diese Diplomatie wird nur mit Waffengewalt errungen werden. Erst wenn Putin nicht mehr glaubt, die Kapitulation der Ukraine erzwingen zu können, wird er mit der Ukraine ernsthaft verhandeln. Stegner schlägt er ganz ernst vor, er solle nach Russland fliegen und sich um eine diplomatische Lösung bemühen. Man brauche tatsächlich einen Vermittler. Vielleicht könne er ja den Hobby-Außenpolitiker Michael Kretschmer mitnehmen.

Das sogenannte Entlastungspaket
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Vorher versuchten Stegner und Lehmann, Melnyk auf die Kosten des Krieges für Deutschland aufmerksam zu machen. Stegner sieht natürlich alles durch die Linse des „Kampfs gegen Rechts“. „In der Demokratie muss ich verhindern, dass Angstmacher, dass Rechtsradikale davon profitieren, dass Menschen am Ende hier ihre Gasrechnung nicht mehr bezahlen können“, so der SPD-MdB. Die Forderung nach Energiesicherheit als Rechtsextremismus: Das Framing sitzt.

Die Wirtschaftskrise ist ein Problem, auf das Melnyk auch nicht antworten kann. Was sind für ihn wirtschaftliche Kosten, wenn seine Landsleute um die nackte Existenz kämpfen? Ein schwacher Trost für die von uns, deren wirtschaftliche Existenz bedroht ist. Aber es ist nicht Melnyks Aufgabe, uns Trost zu spenden.

Was bleibt von der Diskussion? Wir haben Russland sanktioniert – hart sanktioniert –, aber die Trumpfkarte unserer Industrie zurückgehalten, in der Hoffnung, dass Putin das Gas nicht zudreht. Doch auch Putin weiß, dass sein Druckmittel Gas stumpfer wird, je länger er zögert. Nun hat er es abgedreht. Wir stehen vor einer Entscheidung. Die Waffenschmieden einheizen? Oder vor Russland nachgeben und die Sanktionen lockern – im Wissen: Wenn der Kreml es wünscht, stehen wir wieder ohne Gas da? Und dann auch ohne Verbündete. Eine Entscheidung trifft die Runde nicht in dieser Frage, die ihre Diskussion beherrscht, ohne ausgesprochen zu werden.

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