Tichys Einblick
WhatsApp statt Bibel

hart aber fair extra: Vor dem Corona-Tsunami

Das C-Wort noch mal durchkauen ist ein schweres Stück Arbeit; man muss es vermutlich. Aber besser wird es nicht. Nur unfreiwillig ehrlich.

Screenprint: ARD/hart aber fair

Bekanntlich leben wir ja im Land mit dem besten Gesundheitssystem, kein Vergleich mit dem bösen Trumpland. So ist es, so sagen wir es uns vor, darauf werden wir eingestimmt. Aber bekanntlich ist die Wahrheit ein Eichhörnchen, da zuckt der rote, buschige Puschel gerade noch unten am Stamm und schon grinst es von oben aus dem Geäst, ganz frech. Und hat die Nuss entführt. Und so ist es auch in dieser Sendung.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Dass der Landrat von Heinsberg, dem post-rheinischem-Karneval-Corona-Hotspot, dass also Stephan Pusch (CDU) jetzt China um Hilfe bittet und nicht seinen Parteifreund Jens Spahn, weil im Kreis der schon 261 Genesenen trotzdem die Masken und Schutzkittel zur Neige gehen, zeigt, wie realitätsfremd die ganzen Berichte über das exzellente Krisenmanagement bei uns sind. Immerhin hat der chinesische Generalkonsul schon mal eine Fax-Nummer dagelassen. Wenn das zum Ziel führt, braucht Krisenstabsleiter Pusch nicht mehr seine Zeit damit zu verbringen, von einem Tag auf den nächsten Cent-Produkte wie Mundschutz zu besorgen. Masken, Desinfektionsmittel und Schutzkittel reichten immer nur noch für ein paar Tage, aber keine Woche im Voraus. „Wir gehen nicht durch ein Tal, sondern den Grand Canyon.“ Darf man es Staatsversagen nennen? Der Onkel in China soll jetzt Schutzmasken besorgen, und weil das nicht zertifiziert ist, bat er Chinas Staatschef Xi Jinping um Hilfe. Des weltbesten Gesundheitssystems Achilles-Ferse ist bereits ein Cent-Artikel.
Jetzt fehlt plötzlich auch das Plastikmaterial

Aber nein, es ist  auch Plastikware, die bald fehlen wird: Pipetten etwa. Die Decke ist halt überall zu kurz und schrumpft weiter, obwohl der Tsunami bei Corona noch gar nicht da ist, wie im Film vor dem Tsunami der Chefarzt der Essener Intensivstation sagt: Augenblicklich zieht sich das Meer ja erst zurück; wie groß die Woge sein wird, die dann anrollt, weiß noch kein Mensch. Also gut, so ist das halt in Corona-Land, das keinerlei Vorkehrung getroffen hat auf eine Entwicklung, die schon in einer Risikoanalyse 2012 bestens analysiert war.

Das macht schaudern. Denn im Zuge der Selbsttäuschung werden jetzt die teuren Intensiv-Betten vermehrt, zum Stückpreis von bis zu 80.000 €. Ganz stolz ist da Sabine Bätzing-Lichtenthäler, SPD, Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit sowie Demografie des Landes Rheinland-Pfalz. Bei ihr sind Namen und Titel deutlich umfangreicher als ihre Kompetenz, die sie sich als Verwaltungsangestellte der Verbandsgemeinde Altenkirchen antrainiert hat und jetzt aber so was von ausspielt. „Auf diese Ausmaße waren Bund und Länder nicht vorbereitet,“ sagt sie zum Mangel am Grundsätzlichem. Sie hat auf alles eine Antwort, davon wird allerdings die Schutzkleidung nicht mehr und man darf nur nicht nachfragen. Das macht Plasberg durchaus, und sofort bröckelt der Putz von der Fassade der besten Gesundheitsministerin im besten Gesundheitssystem. Sie spricht die üblichen Floskeln von „Solidariät zu zeigen“ und „Wie schön es ist, dass Nachbarschaftshilfen entstehen“, gerne genommen wird auch „gelebte Solidarität.“

Die Frage ist aber: Wäre es nicht vielleicht klüger, Risikogruppen gut versorgt abzusondern und den anderen Aktivität zu erlauben? Es ist der Gegenentwurf zum totalen Abschalten einer Gesellschaft, die ja von Aktivität lebt, also von Wirtschaft. Zu erklären wäre es das wert, denn jetzt wird die Wirtschaft dieses Landes entwertet. Darf man da über Preise reden?

Wir sind fast Gorillas

Der Virologe ist dem nicht abgeneigt. Hendrik Streeck von der Uni Bonn spricht von den wenigen Studien und Erkenntnissen, die es gibt. Es geht ums Abwägen dessen, was man aus wenigen Studien weiß, zum Teil von Erfahrungen mit Gorillas und mit Rückgriff auf die Spanische Grippe von 1918 und ihre gänzlich unterschiedlichen Bedingungen. Und kurz blitzt die Fragwürdigkeit auf, weil extreme Zahlen und Todesfälle erst in zwei Wochen sichtbar würden und wenn es wenige sind, war es auch kein Erfolg. Weil sich dann die Dauer der Durchseuchung nur verlängert. Wenn wir also Erfolg haben mit der Kontaktsperre, dauert es zu lange bis zur Herdenimmunität, dann wird halt etwas später gestorben, aber nicht weniger. Mit freundlichem Gesicht spricht Streeck davon, dass man eben langsam ran müsse an die Maximalgrenze der Belastung der Intensivstationen, um die richtige Methode herauszufinden.

Auch Virologen sind uneinig
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Wenn man schon beim Begriff der Herdenimmunität zusammenzuckt, dann spätestens bei dieser Analyse, die einen in den Rang einer Laborratte versetzt, die unter den neugierigen Blicken der kühlen Forscher ihrem sicheren Ende entgegenrennt. Aber gut. Die Wirklichkeit bricht also ein, nicht nur in das weltbeste Gesundheitssystem, sondern auch in die wohlhabendste Luxusgesellschaft hedonistischer Einzelwesen. Jetzt müssen wir uns also mit dem Tod auseinandersetzen, und zwar mit dem eigenen und dem nächster Freunde und Familienangehöriger. Nicht mehr Schulstreik für den Weltuntergang kommendes Jahr, sondern Home Office bis zum ungewissen Zeitpunkt besagter Maximalgrenze der Belastung der Intensivstationen durch suboptimale Herdenimmunität, und das noch im Mai. So schnell kann es gehen, so dünn ist nicht bloß der Lack der Zivilisation, sondern unseres Lebens. Darauf hat allerdings der, der dazu was sagen soll, kein Wort zu sagen.
Es ist ein Kreuz mit diesem Mann ohne Kreuz

Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der EKD, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist der größte Schwätzer vor dem Herrn, der von allem spricht, nur nicht von seinem obersten Auftraggeber. Aus „alten Texten“ Kraft ziehen, empfiehlt er, und aus WhatsApp. Der Tod rückt näher, er nennt mal die Bibel, aber immer im zweiten Halbsatz soziale Medien gleich dazu. Könnte ja einer drauf kommen, die Bibel oder das Wort Gottes wichtiger zu nehmen als Zuckerbergs Facebook. Die Relativierung von Gottes Wort scheint bei ihm Programm; Trost vermittelt er nicht. Aber auch auf eine Gefahrenzulage für das Pflegepersonal angesprochen, kann er nichts sagen, obwohl sein Konzern, die evangelische Kirche, einer der größten Arbeitgeber von Pflegekräften ist. Der Herr Bischof verhungert zwischen dem Himmel, der für ihn vermutlich eine Cloud ist, und der Erde, von der er nur nimmt, aber der er nichts gibt. Nur kurz geht es um die Bezahlung. Da haut der Herr Heinsberger Landrat wieder einen seiner Sprüche raus, nämlich den, dass für die Pfleger das Geld gerade nicht so wichtig ist wie angemessene Schutzkleidung. Gevatter Tod ist der Nachbar in der Krankenhauskantine; aber das ist nur konkret für den Landrat und nicht für Bischof-ohne-Kreuz.

Also gut, es war notwendig, sich das noch mal vor Augen zu führen: Wir haben es verpatzt durch Abwarterei, nichts Gewisses weiß auch die Wissenschaft nicht und es fehlt der Hygiene-Kittel. Nicht einmal ein tröstendes Wort von den Kirchen. Auweia.

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