Tichys Einblick
Bei Hart aber Fair

Der Lockdown schädigt Kinder fürs ganze Leben – die Bildungsministerin will weitermachen wie bisher

Bei Hart aber Fair wird geschildert, wie dramatisch die Folgen des Lockdowns für die Jüngsten sind - es geht von Gewichtszunahme und Depressionen bis hin zu Kindern, die das Laufen wieder verlernen. Aber Alternativen gibt es keine. Gesundheitsschutz habe Priorität.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Denkt denn einer an die Kinder? Ja – Frank Plasberg! Der Moderator widmet „Hart aber Fair“ gestern Abend ganz den Schülern. Unter dem Titel „Ungeimpft, ungeschützt, unbeschult: Lässt der Staat die Familien im Stich?“ Diskutiert die fünfköpfige Runde „Remote Learning“ und Homeschooling – und was das mit den Kindern macht.

Eröffnen dürfen die Eltern. Thorsten Frühmark ist Familienvater, Bürgermeister – und beinharter „NoCovid“-Advokat. Daher ist sein Urteil auch direkt klar. Auf eine Vorlage von Plasberg stimmt er zu: Die Politik hätte „Strenger mit uns Erwachsenen“ sein müssen. Auf Twitter findet sich direkt Beifall: „Keiner spricht darüber, was Kinder durchmachen, die ihre Eltern verlieren, oder über Kinder, die Angst haben, ihre Eltern zu verlieren. Die Kinder fühlen sich nicht sicher in den Schulen, weil die Schulen nicht sicher sind!“ Damit wäre es ja eigentlich schon fast getan. Ein paar Querulanten melden sich doch noch zu Wort.

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Mareile Höppner folgt zunächst. Sie attestiert ihrem Nachwuchs „Tapferkeit“ im Online-Unterricht. Die Sehnsucht, zum normalen Schulbetrieb zurückzukehren, sei jedoch „sehr sehr groß“. Homeschooling funktioniere – irgendwie, weil die Fernsehmoderatorin es noch gewuppt kriege. „Aber Eltern sind nicht richtig als Lehrer“ konstatiert sie.

Der Lockdown sei hart für die Kinder – das stellt Susanne Epplée jeden Tag fest. Sie ist Kinderärztin und Sozialpädiatristin in Hamburg-Billstedt, kümmert sich auch um äußere Einflüsse auf Gesundheit und Entwicklung im Kindes- und Jugendalter. Ihre Beschreibungen sind dramatisch, die Anzahl der Kinder und Familien, die Hilfe in Anspruch nehmen müssen, sind dank Lockdown massivst angestiegen, die Wartelisten werden länger und länger mit Familien „die Leid haben, die Sorgen haben, die nicht versorgt werden und die kaum eine Chance haben, einen Termin zu bekommen.“ Sie berichtet von behinderten Kindern, die das Laufen wieder verlernen, und von Monaten an Therapieerfolgen, die der Lockdown zerstört hat. Da bleibt Plasberg die Luft weg.

Aber nur kurz, denn dann muss der Bundesbildungsministerin das Wort erteilt werden. Anja Karliczek sitzt in der Runde als Verantwortliche – kaum eine Ministerin muss so aus der Defensive arbeiten wie sie, was bei Deutschlands desolater Schulpolitik allerdings auch kein Wunder ist. Sie wolle ja wirklich Bildung in den Vordergrund stellen und auf Präsenzunterricht setzen, beteuert sie – aber Gesundheitsschutz habe Priorität. Als Plasberg als Antwort darauf erstmal aufzählt, wo es in Deutschen Schulen überall hadert (vom Internet bis zum kaputten Fenster) kann sie nur bedröppelt gucken – es ist wirklich nicht leicht, eine Merkel-Ministerin zu sein.

Was anderthalb Jahre ohne Schulunterricht für Kinder bedeutet, macht der Soziologe Aladin El-Mafaalani deutlich. Die Effekte des Lockdowns auf die Schüler sind gravierend: „Ein Jahr für ein Grundschulkind entspricht fünf bis zehn Jahre für einen Erwachsenen.“ Die Jungen verpassen viel in ihrem Leben. Und Aufholen? Fehlanzeige „Unser Bildungssystem war bislang nicht gut darin, Defizite auszugleichen.“ Er liefert auch eine migrantische Perspektive: Für viele Kinder mit Migrationshintergrund sei die Schule oft der einzige Ort, wo sie wirklich Deutsch sprechen könnten. Dank Homeschooling geht der Zugang zur Sprache verloren. „Sorgen machen sollte man sich unbedingt“, konstatiert der Osnabrücker Forscher.

„Ob es reicht, wird sich zeigen“.

Diesen Sorgen begegnen müsste eigentlich Karliczek. Doch die schwurbelt stattdessen lieber herum – wirkliche Antworten kann sie ohne Zugabe des eigenen Versagens wohl auch nicht liefern. Stattdessen folgt ein Plattitüden-Bombardement und Langstrecken-Schweigen – während 20 Minuten über Kinder diskutiert wird, bekommt die Ministerin kein Wort heraus. Beim Thema Luftfilter wieselt sie sich aus der Verantwortung, stattdessen kommen nur große Bekenntnisse, was man alles machen wollte: Zum Beispiel ein groß aufgezogenes Nachhilfeprogramm, was die massiven Lücken aus den letzten drei Halbjahren nun irgendwie ausbessern soll. „Ob es reicht, wird sich zeigen“.

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 Und die Schulen habe man immer offen halten wollen – aber dank Inzidenzen geht das nicht. Denn 200er-Inzidenzen seien den Gesundheitspolitikern der Koalition „zu Hoch“ gewesen. Stattdessen einigte man sich auf die mehr oder weniger im Losverfahren gewählte 165. „Natürlich ist das jetzt eine Zahl, die gegriffen ist. Aber es ist natürlich auch bei 200 eine Zahl, die nicht allein auf Evidenz basiert“ gibt sie da unumwunden zu – ja hoppla, Lockdowns und Co. basieren gar nicht auf Fakten? Für diesen Einblick – den der Moderator natürlich umkommentiert vorbeiziehen lässt – sollten wir der Ministerin dankbar sein. Der fällt wohl auf, dass sie gerade die Sinnlosigkeit der eigenen Regierungsmaßnahmen offenbart hat – deswegen nickt sie nur noch eifrig, wenn der Rest der Runde ihr ihren Job erläutern will, und gelobt, sie sehe es ja alles genau so. Ansonsten friemelt sie nervös an ihrem Wasserglas herum – eine gute Figur macht sie an diesem Abend absolut nicht, die Ausstrahlung passt zum inhaltlich ziemlich dünnen Auftreten.

Der NoCovidianer Frühmark findet die willkürliche 165er-Inzidenz natürlich viel zu hoch. Er gelobt, seine Kinder nicht in die Schule zu schicken, wenn er dem Sicherheitskonzept vor Ort nicht vertraut – fast vergisst man, dass da der verantwortliche Bürgermeister spricht.

Viel Spannendes bietet die Runde ansonsten nicht. Auch das Gespräch mit einer jungen Syrerin, die ihre Geschwister de facto alleine im Homeschooling betreuen muss, sorgt zwar für viele gerührte Blicke und eifriges Klatschen bei den Gästen – zu einem Umdenken führt es aber nicht. Mal wieder wagt keiner den Ausbruch aus der selbstgegebenen Eingrenzung der Diskussion auf den politisch-korrekten Bereich, der Öffnungen und ähnliches als Teufelszeug verschreit. Alle wollen Öffnungen, aber keiner fordert sie. Immerhin sind wir hier immer noch im Öffentlich-Rechtlichen.

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